Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Bundesverfassungsgericht
"Die Richter haben sich ganz konsequent verhalten"

Das Bundesverfassungsgericht habe zu den Rechten der Opposition im Bundestag konsequent geurteilt, meint der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Die Richter hätten mit Blick auf Verfassung und die politische Realität keine Notwendigkeit gesehen, etwas zu ändern, sagte er im DLF. Die Opposition im Bundestag habe darüber hinaus ganz andere Probleme - nämlich eigene.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Dirk Müller | 03.05.2016
    Politologe Gero Neugebauer
    Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer sieht viele interne Probleme bei der gegenwärtigen Opposition im Bundestag. (picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin)
    Dirk Müller: Die Linken und die Grünen kommen im Bundestag nur auf ein Fünftel aller Sitze. Beide sind damit nicht stark genug, um bestimmte Rechte geltend machen zu können. Besonders ärgerlich findet die Fraktion der Linken, dass sie zusammen mit den Grünen keine Normenkontrolle beantragen kann. Dabei geht es darum, ein Gesetz des Bundestages vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Deshalb hat Die Linke nun geklagt. Heute Vormittag kam das Urteil dann aus Karlsruhe: Klage abgelehnt.
    Karlsruhe hat also entschieden: Die Rechte der Opposition reichen aus, auch die Rechte einer kleinen Opposition, vielleicht ein Punktsieg der Großen Koalition. Unser Thema nun mit dem Berliner Politikwissenschaftler Professor Gero Neugebauer. Guten Tag.
    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Müller.
    Dirk Müller: Nehmen wir die Worte von Franz Müntefering. Ist Opposition nach wie vor Mist?
    Neugebauer: Nein, denn auch ein Mistbeet kann zur Erholung gehen, um das mal so kurz zu formulieren. Eine Opposition ist eine Möglichkeit für eine Partei, die in der Regierung verschlissen ist, sich aufzubauen, aber es ist natürlich auch eine Möglichkeit für eine Partei, die vergeblich versucht, in die Regierung zu kommen, doch immer zu behaupten, sie sei regierungsfähig, indem sie attackiert. Nur das ist eine theoretische Möglichkeit; praktisch muss sie das auch realisieren.
    Eine Opposition unter 20 Prozent wird in ihren Möglichkeiten beschnitten
    Müller: Aber wir reden ja von einer ganz besonders kleinen Opposition, weil wir eine Große Koalition haben. Ist das ein besonderes Problem?
    Neugebauer: Ja, es ist eine besondere Problematik, weil zumindest laut Geschäftsordnung des Bundestages und laut Verfassung braucht eine Partei oder eine Fraktion bestimmte Mehrheiten, um Anträge machen zu können, angefangen dabei, einen Minister ins Parlament zu zitieren, bis hin, eine Sondersitzung einzureichen, und die Quoten sind fünf bis 33 Prozent. Und eine Opposition wie gegenwärtig, die keine 20 Prozent erreicht, wird natürlich in ihren Möglichkeiten beschnitten.
    Müller: Also ein klarer Nachteil, der sich jetzt auch wieder nicht verändern lässt?
    Neugebauer: Nein, der wird sich nicht verändern, selbst wenn eine spezifische Interpretation jetzt hervorgezogen wird. Im Grunde wird sich nichts ändern.
    Müller: Also der Wähler ist schuld?
    Neugebauer: Ja, der Wähler ist schuld. - Nein, der Wähler ist nicht schuld; der Wähler ist verantwortlich. Der Wähler entscheidet mit seiner Stimme über Mehrheit und Minderheit, allerdings dann natürlich variiert durch die Entscheidung der Parteien, Koalitionen zu bilden, und da kann es natürlich manchem Wähler passieren, dass er dann eine Koalition vor sich sieht, die er nicht so haben wollte. Das ist dann Pech, aber es wird eben akzeptiert.
    "Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung vorzuführen"
    Müller: Die Kontrollrechte werfen wir ein bisschen über Bord?
    Neugebauer: Die Kontrollrechte werden ja eigentlich, das sagt das Bundesverfassungsgericht, jedem Abgeordneten zugestanden. Die Praxis zeigt allerdings, dass die Abgeordneten der Regierungsfraktionen ihre Kontrollrechte de facto nicht wahrnehmen, höchstens vielleicht in den Fraktionssitzungen. Aber dass ihnen die Möglichkeit zur Opposition durchaus offenbleibt, das sieht man an den Abgeordneten der Union, die seinerzeit beispielsweise den europapolitischen Plänen oder den Sparplänen gegenüber den Griechen nicht zugestimmt haben und gesagt haben, nein, so wollen wir das nicht, wir wollen es anders haben.
    Müller: Aber das hört sich ja doch ein bisschen frustrierend an, was Sie jetzt sagen. Wenn wir über die Kompetenzen, über die Machtfülle, über die Möglichkeiten der Opposition reden, frage ich noch mal das, was ich zu Beginn gefragt habe, dann hört sich das doch ein bisschen so an, als sei das alles irgendwie nicht ganz so gut, als sei das ein bisschen Mist.
    Die Themen der AfD schaffen es ins Parlament, ohne dass sie selbst drin ist
    Neugebauer: Ja natürlich ist es schon ein bisschen Mist. Das ist deshalb Mist, weil eine Partei, die versucht, das nächste Mal aus der Opposition heraus in die Regierung zu kommen, dem Wähler sich so kompetent zu präsentieren, dass die Wähler sagen, ja okay, die ist fähig. Aber es ist ohnehin Aufgabe der Opposition, die Regierung "vorzuführen". Wähler entscheiden sich eher dafür, eine schwache Regierung abzuwählen, als eine starke Opposition zu wählen.
    Und der zweite Punkt ist: Die Opposition, die wir gegenwärtig haben, ist eigentlich eine Opposition aus dem virtuellen linken Lager, aber sie tritt nicht einmal geschlossen auf, denn nur die Linken haben beispielsweise die Klage beschlossen, die Grünen haben sich seinerzeit nicht angeschlossen. Und wenn man dann auch sieht, wie sich die Opposition gegenwärtig aufführt, kann man sagen, wer ist hier Opposition - doch eigentlich nur die CSU im Parlament und außerhalb ist es die AfD. Aber deren Themen oder Begriffe werden ja zeitweilig auch in Parlamentsdebatten aufgenommen und da wird ihr dann eine Bühne verschafft im Parlament, ohne dass sie im Parlament ist.
    Müller: Weil Sie in Wirklichkeit doch virtuell ist?
    Neugebauer: Ja, weil sie in Wirklichkeit virtuell ist.
    Müller: Aber trotzdem präsent bei allen?
    Neugebauer: Ja, trotzdem präsent bei allen, und am deutlichsten zu sehen in den Talkshows, die ja zeitweilig dann genau die Ersatzbühne sind für die parlamentarischen Debatten, die öffentlich geführt werden.
    Müller: Zum Glück haben wir die Talkshows.
    Neugebauer: Wir haben sie. Wir haben einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ob wir den noch haben, wenn die AfD an die Regierung kommt, ist ja zu bezweifeln. Sie nehmen ihn zwar gerne in Anspruch, aber bezahlen wollen sie ihn nicht.
    Seit "Gysis Stilllegung" fehlt der Linken ihr einziger talentierter Redner
    Müller: Aber die Frage war jetzt dahingehend gemünzt, Herr Neugebauer: Zum Glück haben wir die Talkshows, jetzt als meine These formuliert, weil offenbar nicht alle Funktionsmechanismen des Parlaments in der jetzigen politischen Konstellation funktionieren.
    Neugebauer: Ja, einerseits schon. Andererseits aber müssen Sie sich auch den inneren Zustand der Parteien angucken. Die Grünen sind ja immer hin und hergerissen: Soll ich jetzt Opposition sein, oder soll ich jetzt Regierungspartei sein. Sie sind Regierungspartei in den Bundesländern, sie sind Opposition im Bund, hoffen, möglicherweise über den Bundesrat Einfluss ausüben zu können.
    Die Linken sind in sich zerstritten. Deshalb sind sie auch kaum wahrnehmbar. Seitdem Gysi "stillgelegt" worden ist, haben sie auch nicht mal mehr einen talentierten Redner da. Und was ist dann schon eine 64 Mann starke Fraktion, die dann sich stärkste Oppositionspartei nennt, aber dann, wenn man darauf guckt, sagt, das ist aber eine kleine Stärke.
    Müller: Wenn wir versuchen zu vereinfachen, profitiert die AfD von der Großen Koalition?
    Neugebauer: Die AfD profitiert von der Großen Koalition, weil in der Großen Koalition die Parteien vertreten sind, die sich politisch auf die Mitte konzentrieren, die damit meinen, die meisten politischen Bedürfnisse auch abdecken zu können, und die Opposition trägt ihren Anteil daran, weil sie nicht in der Lage ist, sich auch mit ihrer Minderheit so deutlich rhetorisch beispielsweise zu profilieren, dass man sagen kann, die nimmt bestimmte Positionen auf. Man kann ihnen allerdings auch nicht zumuten, Positionen der AfD aufzunehmen. Das sind nun wirklich andere Parteien.
    Müller: Profitieren die AfD-Politiker oder die Parteien auch davon, weil das gilt, was in den 70ern, 80ern immer zu lesen war, aufgeschrieben stand auch in den großen politischen Lehrbüchern, wenn es eine Große Koalition gibt - so viele gab es ja noch nicht in Deutschland -, dann profitieren automatisch die Ränder?
    Neugebauer: Automatisch nicht, aber in den meisten Fällen. In den Ländern ist das nicht immer der Fall, aber im Bund kann man das beobachten.
    Müller: Sind die Länder korrektiv?
    Neugebauer: Nicht ausreichend, denn im Bundesrat, wo Bundestag und Bundesrat aufeinandertreffen oder beziehungsweise Regierung und Bundesrat aufeinandertreffen, Länder aufeinandertreffen, ist es so, dass die Länder oft nach Länderinteressen entscheiden, und Länderinteressen sind meistens ausgehandelt zwischen den Ländern. Und wenn eine Regierungspartei wie die Union faktisch nur vier oder fünf Ministerpräsidenten hat, dann hat sie kein Gewicht, um innerhalb der Bundesratsmehrheit oder des Bundesrates sich ausreichend Unterstützung zu verschaffen.
    Allerdings müssen die Oppositionsparteien - und wir sehen es bei den Grünen in Fragen der Einwanderung; da ist Kretschmann geprügelt worden, weil er beispielsweise zugestimmt hatte zu sicheren Herkunftsländern, wo die Grünen im Bundestag gesagt haben, das wollen wir nicht mitmachen. Insofern ein Spiel, das sich nicht lohnt. Über den Bundesrat Opposition zu machen, lohnt sich in den seltensten Fällen. Das hat auch schon Oskar Lafontaine erfahren.
    Karlsruher Richter: konsequent immanent
    Müller: Könnte der Bundesrat aber nicht gegebene Rechte oder zu wenig Rechte der Opposition im Bundestag wiederum kompensieren?
    Neugebauer: Nein. Das tut er deshalb nicht, weil er ein ganz anderes Selbstverständnis hat. Der Bundesrat vertritt die Interessen der Länder gegenüber dem Bund und dort Parteiinteressen überzustülpen, das ist etwas, was von verschiedenen Ländern sicherlich dieser oder jener Parteipolitiker sich wünscht, aber das ist nichts, was der Bundesrat als sein Selbstverständnis definieren würde.
    Müller: Wenn ich jetzt die vielen Punkte zusammenzähle, was ich jetzt gar nicht auf Anhieb kann, die Sie jetzt an Kritik geäußert haben, dann könnte man sagen, die Karlsruher Richter haben irgendwie blöde entschieden?
    Neugebauer: Die Karlsruher Richter haben sich ganz konsequent immanent verhalten. Das heißt, sie haben auf die Verfassung geguckt, auf den Verfassungstext, haben auf die politische Wirklichkeit geschaut, haben gesagt, die Demokratie in der Bundesrepublik hat sich auch angesichts unterschiedlicher Mehrheiten bewährt, und von daher sehen wir auch gegenwärtig keine Möglichkeit, das zu ändern, oder keine Notwendigkeit. Und vielleicht haben sie ja im Hinterkopf gehabt, was wir hier in der Realität erleben: Wenn die parlamentarische Opposition nicht funktioniert, dann funktionieren die Medien als Opposition.
    Müller: Bei uns heute mittag im Deutschlandfunk der Berliner Politikwissenschaftler Professor Gero Neugebauer. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Neugebauer: Auf Wiederhören! Ihnen auch, danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.