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Bundesverfassungsgericht zu Sampling
"Kein Ende des Hip-Hops"

Kraftwerk vs. Moses Pelham: Egal, wie das Bundesverfassungsgericht im jahrelangen Streit um das Verwenden eines Samples entscheide, an der Praxis werde das Urteil nichts ändern, sagte der DJ und Musikproduzent Hans Nieswandt im DLF. Entscheidend für den Umgang mit gesampelter Musik sei ohnehin der "moralische Kompass" der Künstler.

Hans Nieswandt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.05.2016
    Hans Nieswandt, DJ und künstlerischer Geschäftsführer des Instituts für Populäre Musik an der Folkwang-Universität, auf der Musikmesse 2016 in Frankfurt
    Hans Nieswandt, DJ und künstlerischer Geschäftsführer des Instituts für Populäre Musik an der Folkwang-Universität. (Deutschlandradio/Jan-Martin Altgeld)
    Das Bundesverfassungsgericht verkündet heute sein Urteil zum Thema Sampling. Im konkreten Fall hatte die Gruppe Kraftwerk dagegen geklagt, dass in dem Song "Nur mir" von Sabrina Setlur eine zwei Sekunden lange Rhythmussequenz von ihnen als "Loop", also in Endlosschleife, verwendet wurde.
    Er glaube nicht, dass das Urteil die Samplingpraxis ändern werde, so Nieswandt im Deutschlandfunk. Grundsätzlich werde ja gefragt, ob ein Sample verwendet werden darf, deshalb sei "kein Ende des Hip-Hops" zu erwarten. Beats, also die verwendeten Samples, seien das "monumentale Rückrad des Hip-Hops" und eine "Ware". Sehr viel gesampelter Musik finde komplett unter dem Radar der Öffentlichkeit statt. Sobald der kommerzielle Aspekt ins Spiel komme, ändere sich das.
    "Ethisches Augenmaß entwickeln"
    Nieswandt plädiert dafür, beim Samplen immer nachzufragen: Es könne "nicht angehen, dass man Big Business machen will, dass man Elemente benutzt, die jeder erkennt, ohne dafür zu bezahlen". Auf der anderen Seite dürfe man den "Kontrollwahn nicht zu weit treiben", so Nieswandt. Künstler müssten "ethisches Augenmaß entwickeln und kommunizieren".
    Vor dem Bundesgerichtshof hatte Kraftwerk-Gründungsmitglied Ralf Hütter Recht bekommen. Gegen diese Entscheidung hatten der Produzent Moses Pelham und andere Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Gericht muss grundsätzlich entscheiden, ob das sogenannte Sampling, also die Interpretation eines fremden Beats in neuem musikalischen Kontext, auch ohne ausdrückliche Genehmigung erlaubt bleibt.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Ausschnitt, um den es geht, ist nur zwei Sekunden lang, und doch beschäftigt der Streit die deutschen Gerichte bereits seit fast 20 Jahren. Denn es geht um eine wichtige Grundsatzfrage: Dürfen Musiker und Produzenten Ton- und Rhythmussequenzen anderer Künstler verwenden und daraus etwas Neues machen, oder müssen sie dafür deren Einverständnis einholen? Das Bundesverfassungsgericht wird heute darüber urteilen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben. Eine ganze Musikrichtung wie Hip-Hop stehe auf dem Spiel, so die Warnung, denn ohne Sampling sei Hip-Hop überhaupt nicht denkbar.
    Hans Nieswandt ist Buchautor, DJ und Musikjournalist, außerdem künstlerischer Leiter des Instituts für populäre Musik an der Folkwang-Universität der Künste. Er hat selbst unter anderem mit dem Projekt Whirlpool Productions auch viel gesampelt. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, wie wichtig das heutige Urteil aus seiner Sicht ist.
    Hans Nieswandt: Es ist meiner Meinung nach eher ein interessantes als ein wirklich bewegendes, Dinge veränderndes Urteil. Ich glaube nicht, dass es die Sampling-Praxis groß verändern wird, die auf ganz viel verschiedenartige Weise ja schon gehandelt wird. Und ich glaube auch nicht, dass es das Ende von Hip-Hop ist.
    Heckmann: Aber jetzt gibt es doch einige, die sagen, das wäre das Ende von Hip-Hop, weil Hip-Hop ohne Sampling ist nicht denkbar. Weshalb sehen Sie das anders?
    Nieswandt: Grundsätzlich finde ich die Behauptung, das ist das Ende von Hip-Hop, irgendwie großartig und ganz toll und sehr hip-Hop-mäßig, weil es dem Ganzen so eine Dramatik gibt, und das ist Hip-Hop. Allerdings wird ja permanent Hip-Hop produziert mit Samples, bei denen gefragt wird. Das hat jetzt nicht unbedingt damit zu tun, dass die Leute, deren Musik man gerne zitieren möchte, oder mit deren Musik man arbeiten möchte, so was wie Feinde sind, mit denen man möglichst nicht reden braucht, sondern eigentlich auch gute Leute sind und die auch oft genug überhaupt nichts dagegen haben, je nachdem aber einen fairen Anteil daran gerne hätten.
    Heckmann: Das heißt, Sie haben Verständnis für Ralf Hütter von Kraftwerk, dieses Kraftwerk-Urgestein, der sagt, wir haben jede Menge Künstler aus den USA, die uns anfragen, und das sei der richtige Weg?
    Nieswandt: Es ist eine gewisse zähneknirschende Zustimmung. Man muss jeden Fall speziell betrachten. Es ist schon ein bisschen sehr gewagt, ein so eindeutiges und auch wenig bearbeitetes Kraftwerk-Sample zu benutzen, wenn man sich damit in einem normalen großen kommerziellen Bereich bewegt. Das ist ja keine Underground-Firma von einem weit entfernten Markt, wo man sich nicht so auskennt mit der Musik.
    Es mag schon sein, dass Moses Pelham nicht eigenhändig die LP genommen hat und davon das gesampelt hat, sondern der Beat irgendwo auf einer CD drauf war und so weiter. Trotzdem war das zu dem Zeitpunkt, als das gemacht wurde, kein Underground-Thema. Die LP hat sich zwei Millionen Mal verkauft, wenn ich das richtig gelesen habe. Da kommt man nicht so einfach damit durch, dass man sagt, na ja, die Kultur verlangt das nun mal so.
    "Beats sind eine Ware"
    Heckmann: Und da würden Sie sagen, da hat dieses Zitat des siebten Gebots seine Berechtigung, nämlich das Gebot, das sagt, Du sollst nicht stehlen?
    Nieswandt: Na ja. Es gibt einen moralischen Aspekt, der vielleicht interessanter ist als der juristische oder der ökonomische Aspekt. Tatsächlich sind Beats ja nicht irgendwas und schon gar keine zweisekündigen Tonfetzen, von denen immer so gesprochen wird, als würde das so in Windeseile vorbeifliegen und man hat es eigentlich gar nicht richtig gehört, sondern Beats sind monumentale Rückgrate des Hip-Hops.
    Es gibt Leute, die von nichts anderem leben, als Beats zu machen. Das ist deren Erwerb. Beats sind eine Ware und wenn man die benutzt und wenn man die, sagen wir mal ganz einfach, plump benutzt, dass es jedem sofort auffällt, vor allem dem Besitzer sofort auffällt, oder auch nicht dem Besitzer, es ist ein ganz kniffliges Thema, weil Musik wird ja veröffentlicht. Und Veröffentlichung bedeutet ja nicht nur, dass die Öffentlichkeit das Recht hat, für jede Benutzung zu bezahlen, sondern vor allem, dass es zu etwas Ähnlichem wie öffentlichem Gut wird, etwas was in der Luft liegt und in unserer Erinnerung arbeitet und so weiter und so fort.
    Es ist schon sehr wichtig, dass aus diesem gigantischen Meer von Tonaufnahmen, die die Menschheit produziert hat, dass damit gearbeitet werden kann. Aber es sollte auf der Seite des Samplenden auch ein moralischer Kompass vorhanden sein, wie auch auf der Seite dessen, der die Aufnahme einmal gemacht hat. Ralf Hütter, Kraftwerk sind nun auch sehr bekannt dafür, dass sie den Kult ums eigene Genie bis aufs Äußerste ausreizen, und gleichzeitig nicht unbedingt dafür bekannt, viel Probs oder Respekt, wie man als DJ sagt, an die afrikanischen Rhythmuswurzeln zum Beispiel zu haben, weil die Beats von Kraftwerk, die haben sie zwar selber aufgenommen und vielleicht auch andere Instrumente verwendet oder andere Quellen, aber die Grooves haben Sie sich nicht ausgedacht.
    Heckmann: Jetzt haben Sie gerade gesagt, auch derjenige, der samplet, der muss einen moralischen Kompass haben. Was heißt das denn für Sie konkret? Würden Sie dann nachvollziehen können, was der BGH geurteilt hat, dass nämlich Sampling okay sein kann, wenn nämlich der ursprüngliche Beat so modifiziert ist, dass er mit dem Ursprünglichen gar nicht mehr so viel zu tun hat?
    Nieswandt: Na ja, das ist natürlich eine sehr weiche Sache. Wo kann man sagen, jetzt ist es so viel verfremdet, dass man es nicht mehr erkennt oder dass etwas wirklich Neues entstanden ist? Im Zweifelsfall würde man sagen, na ja, wenn es keinem auffällt, dann ist es ja offensichtlich passiert.
    Dafür fallen mir unzählige Beispiele ein, die ich als Musikkenner, als DJ, als Nerd oder so was vielleicht mehr Chancen habe zu erkennen, weil ich viel mehr Musik kenne als vielleicht Durchschnittshörer, aber auch das ist dann wiederum sehr relativ.
    "Den Kontrollwahn nicht zu weit treiben"
    Heckmann: Sie haben eingangs gesagt, Sie glauben nicht, dass das Urteil so wahnsinnig große Folgen haben wird. Sie sind ja auch DJ und haben gesampelt, samplen. Was würden Sie denn für Konsequenzen ziehen aus einem Urteil, wenn es jetzt so ausfallen würde, dass Karlsruhe sagt, dieses Sampling ist in der Tat nicht okay, man muss das Einverständnis des Urhebers erst mal einholen, möglicherweise auch Lizenzgebühren zahlen?
    Nieswandt: Es kann nicht angehen, dass man Big Business machen will und dafür Elemente verwendet, die auch noch offensichtlich erkennbar sind, und das einfach für umme. Das widerspricht, glaube ich, Jedermanns Gerechtigkeitsempfinden. Auf der anderen Seite sollte man wie gesagt als Rechtebesitzer den Kontrollwahn nicht zu weit treiben und den Umgang, was andere Leute mit Musik machen, die man selbst produziert hat, wie damit verfahren werden soll, sollte man auch nicht zu weit treiben. Sonst könnte ja Kraftwerk zum Beispiel auch mir als DJ sagen, nein, wenn unsere Stücke nicht im Klub komplett ausgespielt werden, dann ist das eine Verhunzung und Verschandelung, das erlauben wir nicht. Ich denke, man sollte da ethisches Augenmaß entwickeln und kommunizieren. Es wäre schon meiner Meinung nach eine ganz schöne Vorstellung zum Beispiel, wenn ich Dinge, die ich verwendet habe, ganz einfach angeben kann und daraus so eine Art autoratischer Anteil entsteht.
    Ich könnte es dann auch verschweigen zum Beispiel, dann müsste ich das mit meinem Gewissen ausmachen, ob ich das gut finde, oder vielleicht auch meine eigenen Geringfügigkeitskriterien entwickeln. Das halte ich für mich für ausgeschlossen. Man muss die Menschen nicht immer automatisch für Lügner und Betrüger halten, sobald sie es können.
    Heckmann: Sie haben ja gerade schon gesagt, dieses Sampling, das findet ja schon sehr häufig statt, auch im kommerziellen Bereich. Auf der anderen Seite haben Sie gesagt, es wird eigentlich gar nicht großartig Konsequenzen geben. Aber wenn Karlsruhe jetzt sagen sollte, nein, das ist eine Verletzung von Urheberrechten, dann dürfte sich doch in der Musikbranche was ändern, oder meinen Sie nicht?
    Nieswandt: Sehr viel Sampling-Musik findet komplett unterhalb des Radars statt, des Radars der Charts, des Radars der kommerziellen Verwertung und so weiter und so fort. Da wird auch in alle Zukunft hinein munter gesampelt werden, wie man lustig ist.
    Sobald Dinge auf dem Radar erscheinen und wirtschaftlich interessant werden, stellt sich die Frage, wie der Verteilungsschlüssel ist. Das ist eigentlich das Wichtigste.
    Ich habe neulich mitbekommen, das war im Prinzip ein ähnlicher Fall: Kanye West, auch ein sehr berühmter Rapper, noch berühmter als Moses Pelham, hat die Gruppe Can gesampelt für sein letztes Album. Das habe ich zufälligerweise so ein bisschen am Rande mitbekommen, weil ganz einfach das Management angerufen hat bei Can und gefragt hat: Hier, Can, wir würden gerne dieses Stück von euch samplen. Und dann hat Can sich erkundigt, wer das ist, Kanye West, so ein Rapper und nachdem es ihnen erklärt wurde sagten sie, ja, alles klar, sehr gut, bitte schön. Dann gibt es einen Credit dafür und die entsprechenden Punkte und jeder ist happy.
    "Es sollte sehr viel in der Entscheidungsgewalt des Künstlers liegen"
    Heckmann: Okay. Wenn ich das jetzt zusammenfassen darf, wenn ich das richtig verstanden habe, sagen Sie, Sampling wird es so oder so, egal wie das Urteil heute ausfällt, weiter geben in der Sampling-Szene. Was den kommerziellen Bereich angeht, da wird es Konsequenzen geben, nämlich da wird es darum gehen, wer kriegt möglicherweise Tantiemen, wer bekommt welches Geld, und das ist auch gut so.
    Nieswandt: Ja. Ich kann mich nicht wirklich entscheiden, beziehungsweise es sollte sehr viel in der Entscheidungsgewalt des Künstlers liegen, weil ich tatsächlich, wenn ich ehrlich bin, auch nicht möchte, dass mich jeder samplen kann wie er lustig ist. Und es macht mich auch nicht automatisch zufrieden, wenn ich finanziell einen guten Schnitt dabei mache.
    Heckmann: Das heißt, es sollte schon so eine Art Vetorecht geben, dann aus geschmacklichen Gründen sozusagen?
    Nieswandt: Ja genau. Aber der künstlerische Akt sollte zunächst passieren dürfen. Man sollte Kunst machen dürfen wie man will. Wenn man sie verkaufen will, muss man eventuell noch mal mit den Leuten darüber reden und sich eventuell vorher darüber Gedanken machen, ob das realistisch ist, dass diese Gespräche erfolgreich sind.
    Heckmann: Das Bundesverfassungsgericht urteilt heute im sogenannten Sampling-Streit. Ich habe darüber gesprochen mit dem Buchautoren, DJ und Musikjournalisten Hans Nieswandt von der Folkwang-Universität der Künste.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.