Freitag, 29. März 2024

Archiv

Bundeswehr-Einsatz im Irak
"Nicht nur danebenstehen und kommentieren"

Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter, befürwortet die Pläne der Bundesregierung für eine Ausbildungsmission im Irak, um diesen im Kampf gegen die Terrormiliz IS zu unterstützen. Im DLF sagte er, dort dürften keine Verhältnisse wie in Syrien entstehen.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Martin Zagatta | 23.10.2014
    Roderich Kiesewetter im Porträt
    Roderich Kiesewetter befürwortet einen Bundeswehr-Ausbildungseinsatz in Erbil. (dpa / picture-alliance / Daniel Naupold)
    Kiesewetter bestätigte, dass die Bundesregierung nun zunächst eine Aufklärungsmission eingesetzt habe, die die Lage vor Ort prüfe. "Wenn sie zurückkommen, werden wir sehen, ob wir das mit oder ohne Mandat machen können", sagte Kiesewetter. Wichtig sei, dass die Soldaten vor Ort gut geschützt seien. "Am besten ist, wenn sie sich selbst schützen können", so Kiesewetter. "Dann kämen wir um ein Mandat nicht herum." Ein solches Mandat hatten auch die Grünen bereits gefordert.
    Wichtig sei zu wissen, welche Hilfe benötigt werde. Dänemark oder Belgien setzten Kampfbomber ein, Deutschland wolle Aufbauhilfe und Ausbildungshilfe leisten. "Aber daneben stehen und kommentieren, das sollten wir nicht tun."
    Kiesewetter forderte auch einen größeren Druck auf die Türkei, sich stärker am Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu beteiligen, der im Irak und in Syrien auf dem Vormarsch ist: "Es ist politisch nicht hinzunehmen, dass die Türkei auf Zeit spielt und einen Massenmord in Syrien zulässt", sagte er. "Die Forderung kann ja nicht sein, dass man dem Massenmord dort zuschaut." Vielmehr müsse der IS entschieden bekämpft, dessen Finanzströme ausgetrocknet und Unterstützer entlarvt werden.
    Im kanadischen Ottawa hatte gestern ein islamischer Konvertit einen Mann erschossen und war ins Parlamentsgebäude eingedrungen, Behörden vermuten einen Zusammenhang mit Kanadas Beteiligung am Kampf gegen den IS. Bislang gebe es in Deutschland keinerlei Hinweise auf einen derartigen Anschlag, sagte Kiesewetter - allerdings sei man davor auch nicht gefeit.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Nach den Waffenlieferungen an die irakischen Kurden denkt Berlin nun offenbar daran, auch Ausbilder der Bundeswehr in den Nordirak zu schicken.
    Wir sind jetzt verbunden mit Roderich Kiesewetter, dem Obmann der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Kiesewetter, wenn wir mit dem Anschlag in Ottawa beginnen und hören, dass der mutmaßliche Attentäter ein Islamist sein soll, der polizeibekannt war und der als besonders gefährlich gegolten hat, wie sehr beunruhigt Sie das?
    Kiesewetter: Unruhe ist natürlich kein guter Ratgeber. Aber wir müssen uns auch in Deutschland vorbereiten. Es ist ja bekannt, dass die IS gesagt hat, dass sie sich gegen die Staaten, die die internationale Koalition unterstützen, richten wollen. Sie haben auch zu Anschlägen aufgerufen. Bisher haben wir allerdings noch keinerlei Hinweise, dass es in Deutschland droht, aber wir sollten uns darauf einstellen, dass auch wir vor solchen Anschlägen nicht gefeit sind.
    "Verfassungsschutz muss sorgfältig arbeiten"
    Zagatta: Das war ja, soweit man im Moment sagen kann, ein Einzeltäter. Kann man sich auf so etwas überhaupt vorbereiten? Kann man sich ernsthaft gegen so etwas schützen?
    Kiesewetter: Zunächst ist natürlich eine Sache, dass unser Verfassungsschutz hier sehr sorgfältig arbeiten muss. Auch unsere Nachrichtendienste müssen kooperieren mit entsprechenden Diensten im Ausland. Und gegen Einzeltäter können Sie nie etwas machen, weil das ja keine weitverbreiteten, sorgfältig vorbereiteten Netzwerke sind. Wir haben es letztes Jahr in Belgien erlebt, wo es einen Anschlag gab in Brüssel, und auch in Kanada gab es ja diese Woche Montag bereits einen getöteten Soldaten durch einen bekannten Islamisten. Hier geht es schlichtweg um Sorgsamkeit. Aber wir müssen keine Sicherheitsstufe jetzt erhöhen, weil es noch keine konkreten Anschlagswarnungen gibt.
    Zagatta: Jetzt gibt es aber auch in Deutschland zahlreiche vielleicht "Verdächtige" oder Menschen, die für so etwas in Frage kämen, auch viele Islamisten, die aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrt sein sollen. Da gibt es seit Wochen, seit Monaten eine Diskussion. Muss da irgendetwas im Umgang mit diesen Menschen verschärft werden? Gibt es da noch Handlungsbedarf von der Politik, oder ist der ausgeschöpft?
    Kiesewetter: Die Bundesrepublik Deutschland bereitet sich ja darauf vor, auch in Umsetzung einer UN-Resolution. Die Länder haben ja bereits mit zugestimmt, die Innenminister. Es geht darum, dass Pässe entzogen werden bei bekannten Dschihadisten. Da soll also an der Ausreise gehindert werden. Des Weiteren müssen wir uns um die kümmern, die wieder zurückkommen. Es sollen ja rund 450, 500 Deutsche ausgereist sein, um sich solchen Extremistenorganisationen wie der ISIS anzuschließen. Etwa 150 sollen zurückgekehrt sein. Das werden unsere Dienste besser wissen. Aber ich hoffe, dass unsere Dienste ausreichend ausgestattet sind, die entsprechenden zu überwachen. Ferner brauchen wir natürlich auch therapeutische Hilfe, weil diese natürlich auch in Teilen traumatisiert sind.
    "Wachsamkeit und vor allem Information ist wichtig"
    Zagatta: Was ist mit den Pässen? Das ist ja sehr umstritten. Wird das kommen?
    Kiesewetter: Ich denke, dass dort, wo Doppelpässe vorliegen, der deutsche Pass sicher entzogen werden kann. Aber wir können niemandem die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen. Und wir haben ja auch Erfahrungen gemacht mit entsprechenden Sensoren an Körpern, dass die auch sehr leicht zu entfernen sind. Nein: Insgesamt müssen wir uns schon darauf einstellen, dass wir unsere Sicherheit sehr ernst nehmen müssen. Pässe ist nur das eine, aber insgesamt Wachsamkeit und vor allen Dingen auch Information ist sehr wichtig. Wie viele Deutsche kennen sich denn aus über die verschiedenen islamistischen Strömungen? Ich glaube, wir brauchen etwas mehr Aufklärung auch in unserer Bevölkerung.
    Zagatta: Aufklärung fordert heute die Öffentlichkeit zu Plänen der Bundesregierung, angeblich gegen den IS auch in der Form vorzugehen, dass man jetzt erwägt, Bundeswehr-Ausbilder in den Nordirak zu schicken. Was können Sie uns dazu sagen? Sie sollen ja zu den wenigen gehören, die da schon informiert worden sind.
    Kiesewetter: Aus meiner Sicht ist es doch ein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung vorab informiert. Für die Opposition ist es natürlich immer zu spät, oder sie wünscht sich das immer anders, aber das gehört zur Opposition. Wichtig ist doch, dass unsere Bundesregierung jetzt eine Aufklärungsmission eingesetzt hat aus Experten vom Außenministerium und auch aus dem Verteidigungsministerium, die jetzt erst mal die Lage vor Ort betrachten. Und dann, wenn sie zurückkommen, dann werden wir auch erfahren, ob das mit oder ohne Mandat geht. Grundsätzlich ist es gut, dass der Bundestag beteiligt ist, und wir wollen natürlich auch, dass unsere Soldaten sehr gut geschützt sind. Als ehemaliger Soldat und auch als Präsident des Reservistenverbandes sage ich, es ist am besten, wenn sich die Truppe auch selber schützen kann. Dann kämen wir aber um ein Mandat nicht herum. Aber ich halte auch ein Mandat nicht für falsch. Wichtig ist, dass wir etwas leisten, nämlich die Ausbildungshilfe leisten. Die ist auch zwingend erforderlich.
    "Wir Deutschen wollen Aufbauhilfe und Ausbildungshilfe leisten"
    Zagatta: Das wäre aber jetzt auch meine Frage gewesen. Ist es denn überhaupt denkbar, dass man Ausbilder der Bundeswehr in ein so gefährliches Gebiet schickt und dann sagt, der Bundestag hat da nicht mitzureden? Wäre das überhaupt denkbar?
    Kiesewetter: Das wird ja nicht gesagt, sondern es wird jetzt ja geprüft, wo man das machen kann. Wir haben ja schon Erfahrung in der Region aus den 90er-Jahren mit der Luftwaffe, Überwachungsflüge, und aus 2003 mit der ABC-Abwehrausbildung in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wir kennen uns dort aus, es gibt Expertise. Wichtig ist, jetzt zu wissen: Was für Hilfe wird benötigt? Es gibt ja andere Staaten aus der Nachbarschaft wie Dänemark oder Belgien, die mit Kampfbombern dort unten sind. Wir Deutschen wollen Aufbauhilfe und Ausbildungshilfe leisten. Aber daneben stehen und kommentieren, das sollten wir nicht tun.
    Zagatta: Sollten wir den syrischen Kurden nicht dann auch konsequenterweise Waffen liefern?
    Kiesewetter: Im Irak gibt es noch eine funktionsfähige Regierung und die Bundesrepublik Deutschland ist vom Irak gebeten worden, das zu prüfen. Wir wollen uns nicht in die inneren Angelegenheiten eines völlig unregierbaren Syriens einmischen. Hier geht es eher darum, dass man an der Grenze schützt und überwacht, dass man für die Flüchtlinge einigermaßen stabile Zonen schafft. Aber wir müssen uns um den Irak kümmern, dass dort nicht syrische Verhältnisse herrschen.
    Zagatta: Dann müsste man notgedrungen auch hinnehmen, wenn die Kurden an der Grenze zur Türkei massakriert werden.
    Kiesewetter: Es ist eine äußerst schwierige Lage. Wichtig ist, dass das nicht auch im Irak passiert. Ich habe gestern mit jungen jesidischen Demonstranten, darunter dem Sohn des Löwen von Sindschar gesprochen am Brandenburger Tor. Die haben uns in dramatischer Art und Weise geschildert, was für Hilfe benötigt wird. Das habe ich auch aufgegriffen und heute auch mit der US-Botschaft gesprochen. Hier gilt es, wirklich akut und schnell zu helfen, und vorrangig ist das im Irak der Fall.
    Zagatta: Herr Kiesewetter, wenn wir noch mal zum Ausgangspunkt unseres Gespräches zurückkommen. Der kanadische Premierminister Harper, der hat gestern erklärt, Kanada lasse sich nicht einschüchtern, denke überhaupt nicht daran, auf Forderungen des Islamischen Staates Rücksicht zu nehmen, darauf irgendwie einzugehen. Ist das die richtige Haltung?
    Kiesewetter: Ja. Wir wären ja sonst erpressbar. Und was sollen das für Forderungen sein? Die Forderung kann ja nicht lauten, dass man dem Massenmord dort zuschaut, sondern wir müssen die IS delegitimieren, wir müssen die Finanzströme austrocknen, wir müssen die Leute entlarven, die die IS unterstützen, übrigens auch die Türkei enger in die Pflicht nehmen, dass sie die IS bekämpft und nicht nur Assad. Ich halte es für ganz entscheidend, dass wir von der deutschen Seite aus uns auch nicht einschüchtern lassen. Angst ist der falsche Ratgeber. Wir sind eine wehrhafte Demokratie und ich glaube, dass wir alle gut beraten sind, uns intensiver mit der Frage Islamismus zu beschäftigen, und auch stärker uns um die Integration im eigenen Land zu kümmern, dass solche IS-Touristen bei uns nicht mehr entstehen.
    Zagatta: Zu diesem nicht einschüchtern lassen, da gehört für andere Länder ja auch der Grundsatz dazu, kein Lösegeld zu zahlen. Die Bundesregierung andererseits - das ist ja ein offenes Geheimnis - zahlt offenbar Lösegeld, Millionen auch an diese islamistischen Terroristen. Ist das nicht ein fragwürdiges Vorgehen?
    Kiesewetter: Es ist eine ganz intensive Abwägungsentscheidung und unser Land hat seinerzeit unter Schleyer und dem Schwarzen Oktober 1977 sehr viel gelernt. Ich glaube, dass eine grundsätzliche Härte gegenüber solchen Terroristen erforderlich ist, um Wiederholungserpressungen auszuschließen.
    Zagatta: Aber man ermutigt sich doch gerade dazu, wenn sie damit Millionen kassieren können.
    Kiesewetter: Ich habe Ihnen gerade meine persönliche Auffassung gesagt. Ich halte sehr viel von Härte, auch wenn es dann zu erheblichen Empfindlichkeiten kommen kann, sprich selbst zum Verlust von entführten Opfern.
    Zagatta: Herr Kiesewetter, eine Frage noch zum Schluss, weil Sie die Türkei angesprochen haben. Das ist ja ein NATO-Partner. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in der Türkei, auch dort zum Schutz des Landes eingesetzt. Gleichzeitig nimmt man hin, dass die Türkei sich sperrt, den Amerikanern ihre Flughäfen zur Verfügung zu stellen. Wie passt das zusammen?
    Kiesewetter: Es sind intensive politische Gespräche. Wir sind dort als solidarischer NATO-Partner mit unseren Flugabwehrraketen. Aber wir nehmen es politisch nicht hin, dass die Türkei quasi zuschaut, wie vor ihrer Haustür das Morden erfolgt.
    "Wir erwarten, dass die Türkei sich stärker einbinden lässt"
    Zagatta: Den Eindruck hat man aber!
    Kiesewetter: Eben! Aber das machen wir nicht. Wir wirken da sehr intensiv politisch. Die Türkei muss jetzt enger eingebunden werden und es ist politisch nicht mehr hinzunehmen, dass die Türkei auf Zeit spielt und damit das Massenmorden noch befördert. Wir erwarten, dass die Türkei sich stärker einbinden lässt und die Flughäfen zur Verfügung stellt. Das ist sie als NATO-Partner schuldig, denn die Türkei hat über Jahrzehnte von der NATO profitiert.
    Zagatta: Roderich Kiesewetter, der Obmann der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herr Kiesewetter, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Kiesewetter: Schönen Dank, Herr Zagatta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.