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Bundeswehr reagiert auf Misshandlungen von Rekruten

Elke Durak: Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelt gegen 20 Unteroffiziere und einen Hauptmann wegen Misshandlung und entwürdigender Behandlung von Untergebenen. Bundesverteidigungsminister Struck hat von unverantwortlichen Ausbildungsmethoden gesprochen und Konsequenzen angekündigt. Der Anlass, Sie kennen ihn sicher unterdessen: Am Bundeswehrstandort Coesfeld soll es im Sommer zu Misshandlungen von Rekruten durch Ausbilder gekommen sein im Zusammenhang mit Übungen zum Verhalten in Geiselhaft, so heißt es. Betroffen ist eine ganze Reihe ehemaliger Rekruten. Ein einziger hat wohl darüber gesprochen am neuen Standort und erst der Kommandeur dort hat gehandelt, ist aufmerksam geworden. Wie konnte es dazu kommen? Ist das wirklich ein Einzelfall? Welche Rückschlüsse sind zulässig und notwendig? Nur drei der in diesem Zusammenhang drängenden Fragen auch an die militärische Führung der Bundeswehr, also auch an Brigadegeneral Robert Bergmann, Kommandeur des Zentrums innere Führung der Bundeswehr. Schönen guten Morgen Herr General.

Moderation: Elke Durak |
    Robert Bergmann: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Als Sie davon gehört haben, was haben Sie gedacht und gefühlt? Oh Gott, nicht schon wieder wir oder das glaube ich nicht?

    Bergmann: Nun ich habe eigentlich drei Gefühle in mir gehabt. Das eine war Betroffenheit darüber, dass das in der Bundeswehr noch passieren kann und dass dieses jungen Männern, die zu uns gekommen sind, widerfahren ist. Es war Unverständnis darüber, dass Vorgesetzte in unserer Bundeswehr so gehandelt haben, und es war eine gewisse Verärgerung darüber, dass einige weniger wieder ein Image beschädigt haben, für das tagtäglich fast 400.000 Menschen arbeiten, um ein gutes Image für die Bundeswehr zu schaffen.

    Durak: Die Sache kam nur durch Zufall heraus. Ich habe es in etwa geschildert. Daran knüpfen sich mehrere Fragen, General Bergmann. Ist das tatsächlich wirklich nur ein Einzelfall? Sie werden jetzt sagen natürlich, aber können Sie verstehen, dass manche denken, das glaube ich nun wieder nicht?

    Bergmann: Ja ich kann verstehen, wenn der eine oder andere nun hinterfragt, ob es wirklich ein Einzelfall ist. Mit 35 Jahren Erfahrung in dieser Bundeswehr habe ich immer wieder diese Rückschläge hinnehmen müssen, dass einzelne versagt haben. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass es wirklich ein Einzelfall ist, weil ich glaube, dass die Bundeswehr so transparent ist und auch einer sehr starken Kontrolle durch das Parlament unterliegt, aber auch durch die Medien, dass wenn es kein Einzelfall wäre diese Dinge wirklich ans Licht kämen. Wir haben sehr viele Wehrpflichtige in unseren Reihen, die tagtäglich nach Hause gehen und erzählen, und ich glaube auch auf ähnliche Weise ist dieser Fall hochgekommen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es ein Einzelfall ist, aber einer zu viel.

    Durak: Wenn sich denn alles so als wahr herausstellt, denn die Staatsanwaltschaft ermittelt ja auch noch. Aber eins ist auch wirklich verwunderlich. Sie sprechen vom Einzelfall. Klar, aber es waren 80 bis 100 Menschen beteiligt, Täter und Opfer sozusagen, also viele Rekruten, mehre Grundausbildungsjahrgänge. Weshalb haben sich diese Rekruten nicht beschwert? Haben die das für normal gehalten?

    Bergmann: Das ist eine Frage, die mich persönlich und meine Mitarbeiter sehr beschäftigt, weil wir hier in die Tiefe gehen müssen und abwarten müssen, was die Ermittlungen ergeben. Aber auch das ist ein Punkt, der mich sehr beschäftigt, dass hier ein großer Teil der Rekruten nicht von dem Recht der Beschwerde oder der Eingabe Gebrauch gemacht hat. Ich glaube wenn hier nur einer beim Wehrbeauftragten angerufen hätte, es hätten sofort alle Alarmglocken geklingelt, oder wenn sich einer eher an seinen Kommandeur gewandt hätte.
    Mir ist das noch nicht klar, warum die Soldaten sich nicht beschwert haben. Es könnte sein, dass sie eingeschüchtert waren.

    Durak: Das wäre schlimm! General Bergmann, das wäre schlimm!

    Bergmann: Das wäre schlimm, aber ich glaube nicht, dass es eine Einschüchterung war, weil sich diese jungen Männer auf Dauer einfach nicht einschüchtern lassen und weil sie tagtäglich wieder nach Hause gehen und aus dem System rauskommen. Ich glaube eher, dass viele es einfach hingenommen haben, ohne sich dessen vielleicht wirklich bewusst zu sein wie schwerwiegend das ist, was man da mit ihnen gemacht hat.

    Durak: Der von Ihnen erwähnte Wehrbeauftragte des Bundestages Willfried Penner hat eben auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, dass es ja möglich sein kann, dass diese Rekruten nichts anderes repräsentieren als diese Gesellschaft und dass diese Gesellschaft ein solches Verfahren, solche Ausbildungen einfach hinnimmt oder gar schätzt.

    Bergmann: Nun wir müssen als Bundeswehr aufpassen, dass diese Dinge nicht geschehen. Tagtäglich aber flimmern den jungen Leuten über das Fernsehen Bilder, wo Dinge gezeigt werden, die als selbstverständlich hingenommen werden, die ich auch nicht dulden würde. Nehmen Sie als Beispiel, dass sich Menschen im Urwald mit Maden beschütten lassen oder Ähnliches. Hier werden Wertevorstellungen durcheinandergebracht bei jungen Menschen, die dann möglicherweise auch zu dem führen, was Herr Penner angesprochen hat, dass wir abstumpfen. Diese Gefahr darf einfach nicht eintreten. Deshalb müssen wir insbesondere in den Streitkräften darauf achten, dass unsere Vorgesetzten sensibel sind in diesen Dingen, äußerst sensibel. Hier müssen alle Antennen ausgefahren sein. Wir müssen uns auch an die jungen Männer wenden und ihnen klar machen, mit welchen Wertvorstellungen wir in diesem Lande leben und dass das, was da in Coesfeld passiert ist, wenn es sich so abgespielt hat, verwerflich ist. So was darf einfach nicht passieren.

    Durak: General Bergmann, die jungen Männer müssen sich eigentlich an Sie wenden, an das Zentrum innere Führung der Bundeswehr, dessen Kommandeur Sie sind, denn was bedeutet denn innere Führung in der Bundeswehr, dass man die Streitkräfte bei der Auftragserfüllung ans Grundgesetz bindet und Spannungen ausgleicht - so habe ich es nachgelesen -, die sich zwischen Grundrechten und militärischen Pflichten ergeben. Das heißt es gibt Spannungen. Das heißt es gibt möglicherweise Diskrepanzen zwischen dem Recht des Einzelnen und den Pflichten bei der Armee. Was haben Sie da getan?

    Bergmann: Nun diese Spannungen, die Sie ansprechen, gibt es in jeden Streitkräften, weil allein das Prinzip von Befehl und Gehorsam, was bei uns verankert ist, außerhalb in der Gesellschaft nicht in dieser krassen Form an allen Plätzen vorhanden ist. Sie haben es richtig gesagt. Diese Konzeption bindet uns als Streitkräfte in unserer Auftragserfüllung an die Werte des Grundgesetzes. Das heißt wir Soldaten sind in ganz besonderer Weise in unserem Handeln an Recht und Gesetz gebunden, alle, auch die in Coesfeld, und sie haben es nicht getan. Die Spannungen, die zwischen den Rechten liegen, die unsere Staatsbürger haben, und den Pflichten, die ein Soldat in Uniform hat, sind vielfältig. Nehmen Sie als Beispiel den Einsatz, in den wir einen Teil unserer Soldaten schicken, oder nehmen Sie Aufgaben im Landesinneren, wenn eine Hochwasserkatastrophe bekämpft wird. Hier werden Soldaten Kraft Befehls ihrer Vorgesetzten erhöhtem Risiko ausgesetzt und das kann im Einsatz bis zur Frage des Einsatzes des eigenen Lebens gehen. Diese Spannungen auszugleichen in vielfältiger Weise, ist die Aufgabe der inneren Führung, die sich ja nicht nur mit den Fragen des Rechts beschäftigt, sondern auch mit den Dingen, die jenseits einer juristischen Betrachtung liegen. Ich sage mal die Frage von Vertrauen zwischen Führern und Geführten. Das sind alles Fragen, mit denen sich unser Haus beschäftigt.

    Durak: Die Spannungen - Entschuldigung, General Bergmann - scheinen sich aber in den Köpfen der beteiligten Täter dort, sofern alles so zutrifft, müssen wir noch sagen, in Verspannungen im Kopf umgewandelt zu haben. Wie können Unteroffiziere - und der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Gertz informiert; er will wissen, dass fünf Unteroffiziere direkt beteiligt gewesen sind, die anderen hätten es gewusst, aber nicht gemeldet. Was geschieht in den Köpfen? Was hat sich da vorher an innerer Führung abgespielt?

    Bergmann: Anscheinend leider Gottes wenig oder gar nichts, obwohl diese jungen Männer alle im Rahmen ihrer Ausbildung mit diesen Fragen der inneren Führung - und ich meine besonders damit das Recht - intensiv sich zu beschäftigen hatten. Jeder, der Vorgesetzter in der Bundeswehr wird, erhält ein erhebliches Paket an Ausbildung zu der Frage was er befehlen darf und wann seine Soldaten ihm zu gehorchen haben. Jeder von denen hätte wissen müssen, dass mit dem, was dort vermutlich passiert ist, er weit jenseits dessen liegt, was zulässig ist. Wenn dort oben irgendwelche Fehlkoppelungen in den Köpfen waren, dann ist das nicht eine Frage mangelhafter Ausbildung, sondern dann ist zu ergründen - und das ist auch eine der Fragen, denen ich in meinem Hause nachgehen muss -, wie es dazu kommt, dass einzelne in dieser krassen Form versagen.

    Durak: Und welche Schlussfolgerungen könnten ins Auge gefasst werden?

    Bergmann: Nun ich denke, es gibt ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Das erste ist die Dienstaufsicht aller Vorgesetzten, die in der Bundeswehr tätig sind, in ihren jeweils unterstellten Bereich hinein wachsam zu sein, dass solche Dinge nicht passieren, und zweitens alle zu sensibilisieren über solche Dinge, dass es Unrecht ist, wenn man in dieser Art und Weise ausbildet.

    Durak: Herr Bergmann Entschuldigung, dass ich Sie wieder unterbreche, aber es haben so viele Leute davon gewusst. Sie haben es nicht gemeldet. Es hat niemanden interessiert. Da nutzt es doch nicht, wenn Sie die Dienstaufsicht verstärken?

    Bergmann: Doch! Ich denke, dass es nutzt, und der Fall zeigt ja auch, dass derjenige, der es letztlich ans Licht gebracht hat, ein Kommandeur war, der Verantwortung trug. Als der Mann davon erfuhr, hat er sofort alle Maßnahmen eingeleitet, um den Fall aufzuklären.

    Durak: Das war der andere Kommandeur, nicht der eigentlich Verantwortliche!

    Bergmann: Das war ein anderer, der davon erfuhr. Ich denke das ist bei all dem Negativen noch der einzige Punkt, den ich positiv bewerte, dass dieser Vorgesetzte4 sofort Maßnahmen ergriffen hat, als er davon erfuhr.

    Durak: Ein aufrechter Kämpfer, aber es gab eben viele, die weggeschaut haben.

    Bergmann: Wir müssen die Sensibilität erhöhen und in der Ausbildung noch intensiver auf die Fragen des Rechtes eingehen, wo die Grenzen unserer Befehlsbefugnis liegen, und wir müssen unseren Mitarbeitern, den Soldaten, die wir führen, noch deutlich klar machen, dass auch ihr Gehorsam kein Kadavergehorsam ist, sondern dass sie solche Befehle, die gegen die Menschenwürde verstoßen, überhaupt nicht ausführen müssen.

    Durak: Und solche Befehle, da meinen Sie die Verhörmethoden, die dort angesprochen wurden, für den Fall nicht sagen wir mal die Übung, plötzlich in der Nacht geweckt zu und abtransportiert zu werden, denn die Bundeswehr soll eine Einsatzarmee werden, es kann zu Geiselnahmen kommen. Das muss doch trainiert werden, auch bei Grundwehrdienstleistenden oder?

    Bergmann: Ja natürlich müssen Soldaten auf ihren besonderen Auftrag vorbereitet werden. Dazu gehört auch, dass man überraschend mal nachts heraus muss, um seine Aufgaben wahrzunehmen. Das ist nicht die Frage, sondern ich meine die Art und Weise, wie dort letztlich in diesem Keller anscheinend Verhörmethoden geübt wurden und Ähnliches. Das sind Dinge, die verstoßen gegen die Menschenwürde, wenn sie in dieser Form dort geübt werden, und das sind Befehle, die ein Soldat nicht mehr ausführen braucht. Er ist keinesfalls gezwungen, das auszuführen, und wenn er es nicht ausgeführt hätte, wäre er auch nicht bestraft worden dafür. Diese Dinge müssen wir noch intensiver vermitteln und das Rechtsbewusstsein dafür verstärken.

    Durak: Brigadegeneral Robert Bergmann, Kommandeur des Zentrums innere Führung der Bundeswehr in Koblenz. Besten Dank Herr Bergmann für das Gespräch.