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Bundeswehrverband fordert "Klartext" beim Türkei-Einsatz

Der Wehrbeauftragte hat in einem Brief an das Parlament Schikanen gegen deutsche Soldaten beim Patriot-Einsatz in der Türkei und die Bedingungen vor Ort angeprangert. Bei seinem Besuch habe Verteidigungsminister Thomas de Maizière offenbar nur ungenügend nachgefragt, klagt Bundeswehrverbandschef Ulrich Kirsch.

Das Gespräch führte Bettina Klein | 04.03.2013
    Bettina Klein: Da hat sich der eine oder andere am Wochenende dann doch die Augen gerieben. Wenige Tage, nachdem unter anderem der Bundesverteidigungsminister und die Bundeskanzlerin Bundeswehrsoldaten in der Türkei besuchten und dabei offenbar keine allzu beklagenswerten Zustände vorgefunden hatten, überraschte der Wehrbeauftragte des Bundestages, der ebenfalls dort unten war, mit einem Brief an das Parlament, in dem er über Schikanen gegen Soldaten und andere kritikwürdige Umstände klagt. Nanu? Schien nicht alles in Ordnung zu sein und sogar der Minister selbst hatte sich davon überzeugt? Wir wollen versuchen, da einige mögliche Widersprüche aufzuklären.
    Mitgehört hat jetzt Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes. Guten Morgen, Herr Kirsch.

    Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Wenn Sie das hören aus dem Bericht des Wehrbeauftragten, geht unter dem Strich heraus, die Deutschen sind da eigentlich nicht erwünscht. Sollten sie abziehen?

    Kirsch: Ja, den Eindruck, dass wir dort nicht erwünscht sind, den kann man nun in der Tat haben. Und wenn die deutsche Flagge nicht gehisst werden darf, dann ist das nicht nur eine Sache für Soldatinnen und Soldaten, die das klären müssen vor Ort, sondern es ist eine politische Herausforderung, und deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass hier ein Gespräch des deutschen Verteidigungsministers mit seinem türkischen Kollegen stattfinden muss und dann muss da Klartext geredet werden. Darauf kommt es doch jetzt an.

    Klein: Thomas de Maizière war ja inzwischen schon unten. Das heißt, diese Art der Gespräche werden nicht stattgefunden haben bisher?

    Kirsch: Ganz offensichtlich nicht. Ihm hat sich das ja ganz offensichtlich auch nicht erschlossen. Wie sagte er: Man hätte ihm wohl nur die Schokoladenseite gezeigt. Aber wenn ich mich nun intensiv für etwas interessieren will – und das kann man sich doch vorstellen, dass es da Anpassungsschwierigkeiten gibt -, dann muss man vielleicht auch danach fragen. Nun war ich nicht dabei, weiß nicht, wie das gelaufen ist. Aber wenn man das erfahren will, dann geht das. Und der Wehrbeauftragte macht es ja deutlich, dass man all diese Dinge sauber erkennen kann, und listet das ja auf. Sind wir mal froh, dass wir den Wehrbeauftragten haben, und gleiche Briefe bekomme ich im Moment, und von daher gilt es, hier nun schleunigst was zu tun.

    Klein: Kommentatoren spitzen im Augenblick die Angelegenheit zu auf die Aussage: Wenn sich daran nichts ändert und wenn da keine Klärung hergestellt werden könnte auf der politischen Ebene, dann müsse eben am Ende der Abzug stehen. Wäre das für Sie auch die letzte Konsequenz aus dieser Angelegenheit?

    Kirsch: Ja, so sind Soldaten eigentlich nicht gestrickt. Sie fragen mich jetzt als Soldaten. Soldaten sind so gestrickt, dass sie sagen, wir müssen das jetzt lösen, wir müssen das hinkriegen und ...

    Klein: Das ist eine politische Entscheidung, darauf zu reagieren!

    Kirsch: Ja, ja. Die politische Entscheidung – ich spreche jetzt als Soldat – ist in der Tat unter diese Fragestellung zu setzen. Wenn jemand sagt, ihr setzt hier euere Flagge nicht, obwohl ihr uns unterstützt, und wenn die Dinge nach dem NATO-Truppenstatut nicht eingehalten werden, dann sind das sehr ernst zu nehmende Dinge.

    Klein: Welches Entgegenkommen erwarten Sie von türkischer Seite dabei?

    Kirsch: Ich erwarte, dass einfach diese ganzen Mängel gelöst werden. Das ist ja nun auch kein Problem. Ich bin ja nun auch schon in der Türkei gewesen, ich weiß, dass es da auch normale Toiletten gibt, und ich weiß, dass es dort auch Möglichkeiten gibt, Schimmel zu entfernen, genauso wie in Deutschland. Also das sind nun die einfachsten Dinge. Und der Umgang untereinander – nun haben die Türken ein anderes Soldatenbild als wir. Aber dass ein türkischer General eine Feldjägerin anfasst, ist überhaupt nicht zu tolerieren und das muss Konsequenzen haben auch für diesen Mann.

    Klein: Beobachter weisen ja jetzt auf die kulturellen Unterschiede hin zwischen Deutschland und der Türkei, die sich eben auch in den Streitkräften bemerkbar machten. Das hat auch der Minister eingeräumt. Ist es angemessen, das auf diese Ebene zu schieben, und müssen die Soldaten das dann eben vor dem Hintergrund doch hinnehmen?

    Kirsch: Nein, Soldaten müssen überhaupt nichts hinnehmen. Es gibt ganz klare Regeln, auch zwischen Alliierten. Und überlegen Sie mal: Es kann doch nicht sein, dass ein türkischer General eine deutsche Soldatin überhaupt anfasst. Das geht nicht. Das ist abwegig und das muss deutlich kommuniziert werden.

    Klein: Wenn wir das Wort von den kulturellen Unterschieden noch einmal wiederholen, wird so etwas im Vorfeld eines solchen Einsatzes ausreichend thematisiert, oder überhaupt in den Blick genommen?

    Kirsch: In der Vorbereitung geben wir uns da außerordentlich viel Mühe, die unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten in den Ländern, in denen wir im Einsatz sind, deutlich zu machen. Das ist garantiert auch passiert. Aber es kann ja nicht sein, ich wiederhole mich noch mal, dass ein türkischer General seine Art des Umgangs mit seinen Soldaten bei Alliierten gleichermaßen anwendet. Das weiß der ganz genau und die meisten türkischen Offiziere haben ja auch schon in der Vergangenheit Umgang mit deutschen Soldaten gehabt. Viele sind bei uns ausgebildet worden an der Führungsakademie. Also das ist nun nichts Fremdes, das kann mir keiner erzählen. Das hätte der wissen müssen.

    Klein: Also es gilt Vorbereitung, aber an bestimmten Stellen müssen dann eben auch Grenzen gezogen werden?

    Kirsch: Ja.

    Klein: Herr Kirsch, halten Sie es eigentlich für normal oder für verständlich, dass man einem Minister möglicherweise ein schöneres Bild zeigt, als es der ganzen Wahrheit entsprechen würde, und die Soldaten sich dann beim Wehrbeauftragten offenbar erst Luft machen, der dann selbst erst das Parlament informiert, obwohl ja auch Parlamentarier selbst unten waren?

    Kirsch: Soldaten sind so veranlagt, dass sie erst mal das zeigen, was sie können, und das, was vielleicht noch nicht klappt und was man vielleicht noch nicht so ganz gut kann, das wird erst mal ein bisschen beiseitegelegt. Das liegt so etwas in der Natur der Sache. Und wenn der oberste Dienstherr kommt, dann ist das vielleicht noch mal besonders ausgeprägt. Aber man muss sich natürlich auch selber fragen von seinem Führungsverhalten her: Wenn das denn keiner anspricht, wenn diese Mängel da sind – und ich komme noch mal auf so etwas zurück wie das Setzen der deutschen Flagge neben der NATO-Flagge und der türkischen Flagge -, dann muss das natürlich kommuniziert werden. Und der Wehrbeauftragte, der nimmt sich natürlich wesentlich mehr Zeit. Der führt die Gespräche mit allen Beteiligten, auch mit den Vertrauenspersonen, und dann erschließt sich dem das. Das kann aber nicht nur der Wehrbeauftragte, das kann jeder.

    Klein: Verstehe ich das so, dass da doch ein Klima entstanden ist, wo die Soldaten sich auch bei einem solchen Besuch nicht trauen, die Wahrheit auszusprechen?

    Kirsch: Das denke ich schon, ja.

    Klein: Welche Konsequenzen müssen daraus gezogen werden, Herr Kirsch?

    Kirsch: Ja dann muss derjenige, der das nicht erfährt, was nicht in Ordnung ist, sich nach seinem Führungsverhalten fragen, und dann sage ich noch einmal: Dann sind wir mal froh, dass es Berufsverbände gibt und den Wehrbeauftragten gibt, die die Dinge tatsächlich erfahren. Ich meine, das spricht ja für sich, dass die, die offensichtlich das Vertrauen in diesen Dingen gewonnen haben – und da gehört der Wehrbeauftragte sicherlich dazu, aber auch mein Berufsverband -, dass die das erfahren und dass die dann hinterher auch die Dinge kennen, so wie sie sind.

    Klein: Herr Kirsch, da Sie gerade Kritik an de Maizière äußern, wie ich das verstehe, bleiben wir noch bei einem anderen Punkt, der in der vergangenen Woche für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Das war ein Zitat des Verteidigungsministers, der meinte zu den Soldaten: "Hört einfach auf, dauernd nach Anerkennung zu gieren. Die Wertschätzung anderer bekommt man nicht dadurch, dass man danach fragt, sondern dass man gute Arbeit leistet." de Maizière hat inzwischen mehrfach reagiert, auch bei einer Tagung, und ein Statement würde ich gerne mal vorspielen.

    O-Ton Thomas de Maizière: "”Ich habe mit den Vokabeln gieren und süchtig nicht den richtigen Ton getroffen. Die Melodie bleibt aber richtig.""

    Klein: Nicht den richtigen Ton getroffen, die Melodie aber bleibt richtig. Ihre Reaktion?

    Kirsch: Bei dieser Pressekonferenz bin ich danebengesessen, denn es war eine gemeinsame Pressekonferenz bei den Königsbronner Gesprächen, und ich habe zumindest erst einmal festgestellt, dass der Minister de Maizière für sich die Auswertung so getroffen hat, dass er da daneben gelegen ist und sich im Ton vergriffen hat. Das kann ich so akzeptieren, da karte ich jetzt auch erst mal nicht nach.

    Klein: Aber die Melodie bleibt richtig, sagt er. Also im Grundsatz bleibt er dabei?

    Kirsch: Ja das ist eben der Punkt, über den man reden muss. Das ist nicht vollständig bereinigt. Und wissen Sie, es wird vor allen Dingen darauf ankommen, dass der Minister die Menschen zurückgewinnt, die er durch diese Aussagen verloren hat, und da ist so ein Zwischenklang noch dabei. Ich denke, den wird er noch ausräumen müssen, denn er hat eine Menge Menschen verloren in den Streitkräften durch diese Wortwahl. Darum geht es. Es geht nicht um dieses Interview, da sind ja viele Passagen total in Ordnung, sondern es geht um diese Wortwahl: Gier, Sucht. Das hat tief gesessen und da sind die Frauen und Männer tief getroffen, und zwar durch alle Dienstgradebenen hinweg, und ich weiß genau, wovon ich da rede, denn auch das erfahre ich sehr genau.

    Klein: Und genau dies hat Bundesverteidigungsminister de Maizière jetzt auch bedauert und zurückgenommen. – Das war im Deutschlandfunk heute Morgen ein Interview mit Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Kirsch.

    Kirsch: Gerne, Frau Klein!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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