
Sie sind weder Richter noch Anwälte oder Schöffen. Dennoch kann man sie seit über sechs Jahren auf den Polizeistationen und in den Amts- und Landgerichten von Mecklenburg-Vorpommern treffen: die sogenannten psychosozialen Prozessbegleiterinnen wie Nadine Schomann:
"In jedem Landgerichtsbezirk gibt es eine Prozessbegleiterin. Ich bin für den Landgerichtsbezirk Schwerin zuständig. Dazu gehört das Amtsgericht Ludwigslust und ich begleite heute eine Zeugin und die Mutter."
Falsche Vorstellungen von Prozessdauer, Ablauf und Strafmaß
Die Zeugin - inzwischen Abiturientin - wurde schon als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs. Jahre später zeigte sie den Täter an. Sofort schlugen die Polizei und der Opferschutzverband "Der Weiße Ring" dem Mädchen vor, Kontakt zu Nadine Schomann aufzunehmen. Gesagt, getan:
"Sie hat mir erzählt, dass sie mir vorher den Gerichtssaal zeigen möchte. Wie das denn so aussieht, den Richter vorstellen, und wenn gegebenenfalls eine Zeugenaussage ansteht, dass ich dann einfach drauf antworten soll und mich nicht beeinflussen lassen soll und dass es dann schon irgendwie klappt."
Nadine Schomann: "Erst mal denken viele ganz zu Anfang, alles geht ganz schnell. Also: Wir machen die Strafanzeige und - ich sag mal übertrieben - in zwei Wochen ist die Gerichtsverhandlung. Dann sind ganz falsche Vorstellungen vom Strafmaß da. Also lebenslänglich und Todesstrafe wird gefordert. Das haben wir natürlich nicht. Und dann die Situation im Gerichtssaal. Kreuzverhör ist eine ganz große Angst. So was gibt es nicht. Kein Verteidiger nimmt ein Kind in ein Kreuzverhör."
"Zu 99 Prozent sind es Fälle von sexuellem Missbrauch"
Kein Täter, keine Täterin soll davon kommen, nur weil ihre jungen Opfer Angst vor der unbekannten Welt von Polizei und Gericht haben, sagt das Schweriner Justizministerium. Deshalb auch das 2010 gestartete Modellprojekt der psychosozialen Prozessbegleitung durch Fachleute wie Nadine Schomann. Allein sie hat seitdem 185 Mädchen und Jungen durch Strafermittlungen und Gerichtsprozesse geführt. Zur Zeit kümmert sie sich um 34 Fälle:
"Zu 99 Prozent muss man sagen, sind es Fälle von sexuellem Missbrauch, von schwerem sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung. Das sind alles Kinder und Jugendliche von ganz klein bis 21 Jahren. Und jetzt sind wir wirklich sehr, sehr stolz, dass es seit dem 01.01.2017 einen Rechtsanspruch auf die psychosoziale Prozessbegleitung gibt. Selbst besonders schutzwürdige Erwachsene haben nun einen solchen Anspruch. Da sind wir wirklich stolz, zumal Mecklenburg-Vorpommern ja Vorreiter war, dass es nun einen deutschlandweiten Anspruch auf Prozessbegleitung gibt."
Opfer müssen die Prozessbegleitung nun förmlich beantragen
Als "besonders schutzwürdig" gelten nach dem Bundesgesetz Erwachsene, die Opfer schwerer Gewalttaten wie etwa eine Vergewaltigung geworden sind. Diese Erweiterung ist auch für Mecklenburg-Vorpommern neu. Ungewohnt ist hier zudem, dass die Opfer die Prozessbegleitung nun beim zuständigen Gericht förmlich beantragen müssen. Bislang reichte ein Anruf bei der zuständigen Prozessbegleiterin. Doch ansonsten werde sich aus Sicht der Opfer in Mecklenburg-Vorpommern nichts ändern, sagt Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU):
"Für die Betreuung der Opfer und die Begleitung der Opfer bleibt es genauso, wie es zunächst im Modellprojekt war."
Anders sieht es schon für die Prozessbegleiter und ihre Trägervereine aus. So lange das Modellprojekt in Mecklenburg-Vorpommern lief, finanzierte das Land vier projektbezogenen Stellen. Der Bund hat nun jedoch geregelt, dass die Prozessbegleitung nach einer einheitlichen Fallpauschale vergütet werden soll.
Einheitliche Fallpauschale von 1.100 Euro für Prozessbegleitung geplant
Katy Hoffmeister: "Die Finanzierung basiert letztlich darauf, dass Erfahrungen berücksichtigt worden sind aus Österreich, aber auch im Rahmen des Projektes in Mecklenburg-Vorpommern selbst. Und insgesamt ist möglich, für eine Prozessbegleitung 1.100 Euro geltend zu machen in verschiedenen Stufen für Ermittlungsverfahren, Hauptverfahren oder das Nachverfahren."
"Aus unserer Sicht ist diese Fallpauschale nicht ausreichend", sagt Prozessbegleiterin Nadine Schomann vom Kinderschutzbund. Die Verfahren dauerten oft sehr lange, und Mecklenburg-Vorpommern sei ein großes Flächenland mit oft weiten Fahrtwegen. Die Begleitung der meisten Opfer erfordere in der Regel viel Zeit und Benzin. Zudem könne man natürlich weder die Anzahl der Fälle noch die Dauer der Verfahren planen. Und damit auch nicht die Einnahmen:
"Man muss wissen, dass wir vier Prozessbegleiterinnen, die bis dato hier tätig waren im Land, alle angestellt sind bei einem sozialen Verein: Kinderschutzbund, Caritas und Opferhilfe. Wir wären ja so, dass unser Träger dann, wenn die Fallpauschale kommt, unsere Stelle vorfinanzieren muss. Jeder weiß, dass soziale Vereine, soziale Träger immer ums Überleben kämpfen, von Spendengelder und Fördergeldern abhängig sind, und diese Vereine sind einfach nicht in der Lage, diese Stellen vorzufinanzieren."
"Dass nicht gesichert ist, dass es weitergeht, ist unverantwortlich"
Und so war zwei Kolleginnen zum Jahreswechsel gekündigt worden. Eine dritte erhielt keine Vertragsverlängerung. Alle drei sind vorerst wieder im Dienst, denn nach einem Krisengespräch erklärte sich die erst seit November amtierende Justizministerin bereit, die bisherige Stellenfinanzierung für ein halbes Jahr beizubehalten. Bis zum Sommer aber will Katy Hoffmeister das auf Länderebene nötige Ausführungsgesetz vorlegen und im Detail regeln, wie Mecklenburg-Vorpommern den vom Bund beschlossenen Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung umsetzt. Also auch die Vergütung. Stand derzeit:
"Es ist richtig, dass wir davon ausgehen, dass die 1.100 Euro eine angemessene Vergütung darstellen".
Doch mit Blick auf das Bundesgesetz hofft Nadine Schomann, dass doch noch mehr geht, denn:
"Es gibt einen Spielraum im Gesetz, der besagt, dass man auch andere Finanzierungsmodelle verwenden kann. Für Mecklenburg-Vorpommern ist sogar empfohlen worden, dass die stellenbezogene Förderung weitergeht, weil das hier auch so toll funktioniert hat. Und dass nicht gesichert ist, dass es weitergeht, ist in meinen Augen unverantwortlich".