Dienstag, 16. April 2024

Bundesweites Rechercheprojekt
Wo der Giftmüll seine Spuren zieht

Ob in Ost oder West – überall wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts Chemieabfälle in Flüsse geleitet oder in Gruben gekippt. Der Reporterpool und Landeskorrespondenten haben gemeinsam recher­chiert, wo der Giftmüll seine Spuren hinterlassen hat.

Von Sabine Adler | 03.04.2019
    Spuren des ehemaligen Braunkohleabbaus: Toxische Stoffe gelangen in die Umgebung
    Spuren des ehemaligen Braunkohleabbaus: Toxische Stoffe gelangen in die Umgebung (Tom Hegen)
    Helmut Kohls versprochene blühende Landschaften trennten Welten vom Silbersee der ehemaligen ORWO-Filmfabrik in Wolfen. Der Silbersee war das Symbol für den rücksichtslosen Umgang der sozialistischen Planwirtschaft mit Mensch und Natur. 5.000 Artikel umfasste die Produktpalette der Film- und Farbenfabrik Wolfen sowie des Chemiekombinats Bitterfeld. "Chemie bringt Brot, Wohlstand und Schönheit", versprach die Werbung, Umweltstandards existierten nur auf dem Papier. Im Silbersee lag weder Silber, noch handelte es sich um einen See, sondern um eine Braunkohlegrube – längst nicht die schlimmste der Hinterlassenschaften der DDR-Chemieindustrie. Nicht weniger verantwortungslos als die DDR hat die Chemieindustrie in der Marktwirtschaft der Bundesrepublik lange die Umwelt verschmutzt. Ob in Ost oder West – überall wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts Chemieabfälle zunächst in Flüsse geleitet oder in Gruben gekippt. Braunkohle-Restlöcher schienen sich besonders gut zu "eignen".
    Giftmüll-Atlas Deutschland
    Als nationaler Hörfunk, der in allen Bundesländern vertreten ist, haben wir unsere Kräfte gebündelt: Reporterpool und Landeskorrespondenten haben gemeinsam recherchiert, wo der Giftmüll seine Spuren hinterlassen hat. Im 30. Jahr nach dem Fall der Mauer haben wir gefragt, wo die Landschaften tatsächlich blühen und wo sie darben, weil Dioxine, Schwermetalle, PCB oder Munitionsreste unsachgemäß gelagert werden und die Umwelt nach wie vor vergiften. Wo bemühen sich Behörden und Sanierungsfirmen redlich um eine umfassende Absicherung der Standorte? Wo tun sie noch nicht, was sie könnten? In zahlreichen Reportagen haben wir einen "Giftmüll-Atlas Deutschland" entworfen, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber doch viele Stationen aufweist.
    Der Umgang mit Giftmüll in der DDR
    Mit der Umweltbewegung, den Vorgaben, möglichst geschlossene Produktionskreisläufe zu schaffen und auf saubere Energien zu setzen, sind die Anforderungen an die Chemiehersteller in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dennoch finden sich in allen Bundesländern nach wie vor Giftstoffe, die bis heute Böden, Grundwasser und Luft belasten und die Lebensqualität der Anwohner einschränken oder sogar ihre Gesundheit gefährden. In unseren Programmen, die stets Ost- und Westdeutschland im Blick haben, erinnern wir an den Umgang mit dem Giftmüll in der DDR, wo auch der Westen gern seine toxischen Stoffe entsorgte. Was die Westberliner loswerden wollten, deponierte Ostberlin für harte Devisen. PCB-Belastung und Fische-Sterben inklusive. Ganze Landstriche haben seit dem Fall der Mauer ihr Antlitz gewandelt, nachdem Werke wie in Bitterfeld, Wolfen, Merseburg, Leuna oder Buna stillgelegt wurden. Unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten haben nachgesehen, ob die abgerissenen Anlagen der volkseigenen Betriebe fachgerecht entsorgt wurden.
    Aktuelle Situation
    Unsere Reporterinnen und Reporter sind bis auf den Grund von Nord- und Ostsee getaucht, unter Tage in Salz- und Kohlebergwerke eingefahren, sind der Nase nach den Ausdünstungen von Deponien gefolgt. Wir haben Experten kontaktiert, die die Gefahren erklären und bewerten. Wir sind dem toxischen "Fingerabdruck" nachgegangen, der hilft, Dioxin-Sünder zu überführen. Wir wollten mit offenen Augen schauen, wo heute moderne Anlagen entstehen, die die Fehler von früher wiederholen, und haben uns gefragt, wie wir Verbraucher künftig umweltfreundlicher konsumieren können. Als öffentlich-rechtlicher Sender fühlen wir uns unserem Programmauftrag verpflichtet, die Lebensverhältnisse in den Bundesländern genau unter die Lupe zu nehmen. Dafür haben wir auch Kooperationspartner gefunden: Regionalzeitungen, die den Umgang mit Giftmüll so wichtig finden wie wir.
    Ab dem 8. April werden Sie in den drei bundesweiten Programmen von Deutschlandradio – Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova – erfahren, was das Rechercheprojekt Giftmüll in Ihrer Region herausgefunden hat.