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Bundeswettbewerb Gesang Berlin
Karrieresprungbrett und Kontaktbörse für Sänger

Der Bundeswettbewerb Gesang ist für den Sängernachwuchs oft ein Karrieresprungbrett. Auch wer am Ende ohne Preis dasteht, kann dort wertvolle Kontakte knüpfen und zukünftige Engagements ergattern. In der Jury sitzen wichtige Sängerinnen, Operndirektoren und Intendanten.

Von Julia Kaiser | 10.12.2018
    Auf einem roten Bühnenvorhang ist die weiße Schrift "Bundeswettbewerb Gesang Berlin" zu lesen
    Viele junge Sängerinnen und Sänger sehen den Bundeswettbewerb Gesang als Sprungbrett (picture-alliance / dpa / SCHROEWIG / Eva Oertwig)
    Ins kalte Wasser springt Paula Meisinger, Mezzosopranistin von der Hochschule für Musik und Theater Hannover, denn sie eröffnet die Finalrunde des Bundeswettbewerbs Gesang. Ganz ohne Ankündigung muss sie hinaus zum Orchester und vor fast 1.000 Zuhörern die als Konzertabend gestaltete dritte Wettbewerbsrunde eröffnen.
    "Welche anderen Stimmen noch dabei sein, auf welchem Niveau die sind und vor allem, auf welchem Niveau ich bin. Das kann ich vorher nicht einschätzen, weil man immer in diesem geschlossenen Hochschulalltag ist und dort kennt man zwar die anderen Stimmen, aber so aus ganz Deutschland hat man keine Einschätzung. Und deswegen habe ich von Runde zu Runde gedacht: Ich stelle mich jetzt hin und singe und schaue, was rauskommt. Und jetzt hat es bis ins Finale gereicht, und das freut mich total."
    Am Ende gewinnt Paula Meisinger unter den elf Finalisten keinen Preis, doch sich zusammen mit dem Orchester der Komischen Oper präsentiert zu haben, das sieht sie als Sprungbrett. So wie der ebenfalls 25-jährige Konstantin Krimmel, in Ulm geboren und gerade Masterstudent in Stuttgart.
    "Ich möchte natürlich, wie wahrscheinlich jeder andere Sänger auch, ganz nach oben und einfach viel erleben, viel mitnehmen, viel singen und das in allen Bereichen. Ich habe seit zwei Jahren ein sehr gut laufendes Lied-Duo und das ist mir ein sehr, sehr großes Anliegen. Lied, Konzert, aber auch Oper. Ich versuche einfach, es alles zu machen, dreispurig zu fahren und so hoch zu kommen, wie es nur möglich ist."
    Kontakte knüpfen und zukünftige Jobs sichern
    Die Rolle des Leporello hat Konstantin Krimmel im vergangenen Sommer bei einer Produktion in der Ukraine einstudiert, was seine Bühnenpräsenz augenscheinlich befördert. Die Jury überzeugt der Bassbariton in allen Bereichen - ein. 3. Platz für Konstantin Krimmel.
    Der Bundeswettbewerb Gesang steht Sängerinnen und Sängern bis zum 29. Lebensjahr offen. Unter den Preisträgerinnen und Preisträgern sind einige, die Ihr Studium bereits abgeschlossen haben. Die zweite Preisträgerin Slávka Zámecniková aus Kroatien ist Absolventin des Opernstudios der Staatsoper Berlin.
    Und Inga Schäfer hat schon einmal am Wettbewerb teilgenommen. Schon die zweite Wettbewerbsrunde war für die Mezzosopranistin vor zwei Jahren eine fantastische Kontaktbörse.
    "Ich habe meine ersten Engagements über den Bundeswettbewerb bekommen und daraus hat sich von viel entwickelt. Eine ganze Folge von Gastengagements am Theater Magdeburg zum Beispiel. Und daraus resultiert mein jetziges Festengagement am Theater Freiburg."
    Ein Großteil ihres vorbereiteten Wettbewerbsrepertoires sei Zeitgenössisches gewesen.
    "Ich habe meinen Schwerpunkt auf neue Musik gelegt, weil ich mich damit gern beschäftige und durchs SWR Vokalensemble viel Erfahrung damit gehabt habe. Man hat mit wunderbaren Leuten zu tun, lernt ganz viele interessante neue Klangfarben kennen und neue Ideen, kann damit spielen und Dinge ausprobieren, manchmal über die Grenzen zum Hässlichen gehen und zum Geräuschhaften, das finde ich wirklich spannend."
    Und so wurde Inga Schäfer beim Bundeswettbewerb Gesang mit dem Preis des Deutschen Bühnenvereins für den besten Vortrag einer zeitgenössischen Komposition ausgezeichnet.
    Zehn Minuten für den ersten Auftritt
    Die achtköpfige Jury besteht aus drei Sängern, einer Pianistin und vier Programm-Entscheidern, etwa dem Operndirektor der Deutschen Oper am Rhein und der Komischen Oper Berlin oder dem Intendanten des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden. Eine Bandbreite an persönlichen Anforderungen an Sängerinnen und Sänger ist also gegeben. Und doch ist die Auswahl eine sensible Sache, sagt die Juryvorsitzende, die Lied- und Konzertsängerin Ingeborg Danz.
    "Es haben sich 77 angemeldet, was ja sehr, sehr viel ist. Wenn man diese Zahl sieht, ist das eigentlich gar nicht so großzügig. In der ersten Runde, die drei Tage dauerte, haben wir jeden Sänger zehn Minuten anhören können. Zehn Minuten sind nicht viel. In zehn Minuten einen Sänger und einen Menschen beurteilen zu müssen – das ist fast unwürdig, weil man weiß, dass man in dieser Zeit fast gar nicht jede Facette ermessen kann. Dennoch mussten wir es tun."
    Über alle Runden wurden Bewertungspunkte gesammelt, aber nie über die Kandidaten gesprochen, um die Reihenfolge der Preisträger möglichst objektiv zu halten. Und so kann die erste Preisträgerin des Bundewettbewerbs Gesang 2018 sicher sein, dass sie wirklich alle Juroren auf das Höchste überzeugt hat. Auch das Publikum bejubelt die risikofreudige 28-jährige Schwedin Ylva Sofia Stenberg, die mit "Gliiter and be gay" aus Leonard Bernsteins "Candide" die sprühende Abschlussarie des Abends singt.
    "Ich bin so drauf, dass ich denke: Das, was ich jetzt tue, ist das wichtigste in meinem Leben. Und ich gehe gern über die Grenze, um zu sehen, wo die ist. Sodass ich versuche, alles zu bieten für das Publikum, an Kontakt und Vermittlung, wobei dann nicht mehr die Konzentration auf dem schönen Ton liegt – das passiert im Überzimmer. Und wenn man dann auf der Bühne ist, vergisst man das alles und macht nur."
    Und wie Ylva Stenberg "macht" – ohne dass ihre eindrucksvolle stimmliche Flexibilität und ihre Pointensicherheit leiden. Sie ist wirklich im Moment, authentisch, schillernd und überaus sympathisch.