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"Bush-Regierung hat total versagt"

Der amerikanische Soziologe und Politikwissenschaftler Andrei Markovits hat die amerikanische Invasion im Irak als Riesenfehler bezeichnet. Die Regierung von Präsident Georg W. Bush habe total versagt und damit dem Kampf gegen den Terror nach dem 11. September 2001 geschadet, sagte der Wissenschaftler von der Universität Michigan.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Über die Folgen des 11. September für die USA habe ich vor der Sendung mit dem amerikanischen Soziologen und Politikwissenschaftler Andrei Markovits gesprochen. Er lehrt an der Universität Michigan in Ann Arbor. Zuerst habe ich ihn gefragt, wie und wo er die Anschläge miterlebt hat.

    Andrei Markovits: Ich habe es genau erlebt, mit meinem Hund. Da haben wir spazieren gehend auf einer kleinen Nebenstraße hier in Ann Arbor - Wayne Street heißt die zufällig, das weiß ich, werde ich nie vergessen -, und da waren Leute, Elektrik-Mechaniker, die irgendetwas auf der Straße und auf einem Mast gemacht haben. Und plötzlich, das Radio läuft - die hören natürlich dauernd Musik, Rap-Musik -, und die stehen alle herum um das Auto. Und ich sagte: "What ist going on?" und einer sagte, das werde ich nie vergessen: "Hey man, we are under attack." Da sagte ich: "Wie? Wer? Wir? Wo?" Da sagte er: "New York wurde angegriffen."

    Klaus Remme: Haben Sie eine besondere Beziehung zur Stadt, zu New York?

    Markovits: Zu New York? Ich bin da aufgewachsen. Ich bin in New York und Wien aufgewachsen. Also ich bin total beidkulturig und bikontinental, und ich war in New York Taxi-Chauffeur.

    Remme: Herr Markovits, hat es Sie unmittelbar nach den Anschlägen hingezogen in diese Stadt?

    Markovits: Ja, absolut. Ich konnte natürlich nicht, ich war mitten im Semester. Ich wollte unbedingt irgendwie gehen. Ich bin dann auch später gegangen, aber das war schon November, also viel später.

    Remme: Herr Markovits, wenn wir auf die amerikanische Gesellschaft als Ganzes schauen, ich habe es in der Anmoderation erwähnt, die Terrorgefahr, sie ist allgegenwärtig, in Bild, in Ton, in der Zeitung. Hat sich die Psyche des Landes dauerhaft verändert?

    Markovits: Ja, das ist so etwas Ähnliches ein bisschen wie in den 70er, 80er Jahren, wo ich oft in England war, natürlich auch in Irland oder Nordirland, wo es natürlich viel mehr Terroranschläge gegeben hat. Also eigentlich so im Alltagsleben nicht. Gestern war ich mit 109.000 Zuschauern im Michigan Stadium bei einem Footballspiel. Zu Rockkonzerten, natürlich, beim Flugzeug muss sich jeder die Schuhe ausziehen. und jetzt dürfen wir keine Rasierseifen und all diese Sachen mitnehmen. Natürlich hat sich etwas geändert und -

    Remme: Sie haben gerade gelacht, Herr Markovits. Halten Sie das für übertrieben?

    Markovits: Wiederum jein. Ich halte es für übertrieben, aber man muss damit leben. Also natürlich halte ich es für übertrieben, wenn vor mir eine 80-jährige Frau mit ihren Enkelkindern ihr Shampoo dort lassen muss. Aber man kann eben kein racial profiling machen - oder zumindest offiziell kann man es nicht machen. Es muss eben Gleichheit herrschen. Das heißt, es ist genauso: Gestern waren wir in einem Restaurant, und ich habe für einen Kollegen ein Bier bestellt und ich selber auch. Und natürlich hat die Kellnerin mich um eine ID-Card gefragt, weil, es war ein Studentenlokal. Ich fühlte mich sehr geschmeichelt, weil, ich bin jetzt 58, wissen Sie und schaue nicht wie 18 aus. Aber trotzdem muss man eben das machen.

    Remme: Herr Markowitz, eine viel gestellte Frage von Amerikanern kurz nach den Anschlägen war: Warum hassen sie uns so?

    Markovits: Das kam später erst, das kam erst im Oktober. Und warum hassen sie uns, das habe ich in meinem Buch "Amerika, dich hasst sich's besser" glaube ich, sehr schön beschrieben. Es ist auch in der dritten Auflage in Deutschland.

    Remme: Und wie lautet Ihre Antwort auf die Frage?

    Markovits: Die Antwort darauf: dass 9/11 damit nichts zu tun hat. Und die Antwort lautet, dass Antiamerikanismus immer schon ein wichtiger Bestandteil europäischer Eliten war, besonders kultureller Eliten, besonders konservativer Eliten. Seit dem Vietnamkrieg natürlich auch linker Eliten.

    Remme: Aber es waren doch weder Europäer noch Eliten, die die Anschläge am 11. September verübt hatten.

    Markovits: Nein, nein, nein, eben, natürlich. Aber es gab natürlich bei den Eliten eine absolut - besonders bei den Kultureliten, Stockhausen und so weiter und so fort, lesen Sie die "taz", lesen Sie den "Guardian" - sofort, ein paar Tage später, eine Art "Recht geschieht es ihnen, sie waren eh zu groß, sie haben eine auf den Deckel bekommen. Gut ist es." Die Schadenfreude war massiv. Ich glaube, dass die Amerikaner das erst nicht verstanden haben. Jetzt fangen sie es an, zu verstehen, aber sie sind viel zu insulär. Aber das ist so, wie Julia Sweig in ihrem herrlichen neuen Buch schreibt: "The american century has now become the anti-american century." Sie hat vollkommen Recht. Es ist eine Lingua franca geworden, die britische Eliten, Kultureliten, "Guardian", et cetera wunderbar eint, mit Leuten aus der Türkei und Malaysia.

    Remme: Aber ich will noch einmal zurück, weg von dem europäischen Antiamerikanismus, hin zu den Männern, die hinter den Anschlägen von New York und Washington stehen. Auch sie waren erfüllt von einem Hass auf die USA oder aber auf die westliche Zivilisation. Wie erklärt sich der?

    Markovits: Dazu bräuchten wir wirklich Stunden. Natürlich hat das sehr viel mit einer Diskussion innerhalb des Islams zu tun, die ich viel zu wenig kenne. Aber es ist ganz klar, dass da ein Prozess im Gange ist, wo es natürlich eine Reaktion auf Modernisten und so gibt, die sich natürlich so artikuliert. Dieser Hass ist nebenbei nicht nur von Armen, natürlich auch von gut situierten arabischen jungen Männern, die auch den Westen sehr gut kannten, sondern das haben wir jetzt auch in England, von Leuten, die natürlich Britten sind, dort aufgewachsen sind, aber auch in anderen Teilen der Welt.

    Remme: Wie fällt die Bilanz nach fünf Jahren Kampf gegen den Terror aus Ihrer Sicht aus?

    Markovits: Aus meiner Sicht eigentlich sehr schlecht und zwar deswegen, weil die Bush-Regierung einen Riesenfehler und meines Erachtens auch eine Art Kriminalität - aber das englische Wort crime ist besser hier - begangen hat, nämlich das Ganze auf Irak zu münzen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich fand den Baathismus unter Saddam Hussein, der Stalin verehrte, einen unglaublich miesen Massenmörder, aber deswegen hätte man trotzdem nicht diesen Krieg führen müssen. Und wenn man ihn schon geführt hat, dann hätte man ihn richtig führen müssen. Und die Bush-Regierung hat in allem, von Anfang, A bis Z, total versagt, aus ihrer Hybris, aus ihrer Ignoranz, et cetera, et cetera, et cetera. Und das hat meines Erachtens den Krieg gegen den Terror, war nicht dienlich, sondern hat ihm meines Erachtens nur geschadet.

    Remme: Letzte Frage: Im November stehen Wahlen an und die ersten Ausläufer des nächsten Präsidentschaftswahlkampfs sind auch schon zu spüren. Glauben Sie an einen Richtungswechsel?

    Markovits: Schwer zu sagen. Ich hoffe sehr, aber letztendlich bin ich mir nicht sicher. Wenn dann der Wähler in die Box geht, dort - natürlich ist Irak eine absolut entscheidende Sache und eine Mehrzahl der Amerikaner wollen den Krieg beendet haben -, aber ob da nicht wieder ökonomische und natürlich - das versteht man in Europa oft nicht, fast alle diese Sachen sind lokal, das geht alles hier um Jobs und ob Google herkommt und warum Daimler-Benz nicht mehr investiert und solche Fragen - also ich bin mir eben nicht sicher, dass ein Umschwung in Washington kommen wird, obwohl die Marge relativ gering ist, so dass es dazu kommen kann.

    Remme: Das war der amerikanische Soziologe und Politikwissenschaftler Andrei Markovits.