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Businessplan und Entwicklungshilfe für ein insolventes Land

Enttäuschung über die Ideen- und Tatenlosigkeit der griechischen Regierung empfindet der liberale Finanzpolitiker Wolf Klinz. Er verlangt ein Konzept für die Wirtschaftsentwicklung und sieht im Hafen von Piräus das größte Potenzial.

Wolf Klinz im Gespräch mit Martin Zagatta | 05.11.2011
    Martin Zagatta: Der Tanz in und um Griechenland geht weiter. Mit seinen sprunghaften Bewegungen ist Ministerpräsident Papandreou zwar ins Straucheln geraten, aber er hat die Vertrauensabstimmung im griechischen Parlament in der Nacht gewonnen. Ob er jetzt vielleicht dennoch abtreten muss, was das Vertrauensvotum bedeutet, das lassen wir uns gleich aus Athen erläutern und sprechen dann mit Wolf Klinz, der den für die Finanzkrise zuständigen Ausschuss im Europaparlament leitet.

    Und wir sind jetzt mit dem FDP-Politiker Wolf Klinz verbunden, der im Europaparlament den Sonderausschuss zur Finanzkrise leitet. Guten Morgen, Herr Klinz!

    Wolf Klinz: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Klinz, wie bewerten Sie das, also weiter Unsicherheit, wie bewerten Sie das, dass Papandreou, wenn vielleicht auch nur Stunden oder Tage, aber dass er doch vorerst weitermachen kann? Haben Sie noch Vertrauen in ihn, haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die griechische Politik?

    Klinz: Ja, also, ich habe persönlich relativ wenig Vertrauen in die griechische Regierung. Sie hat immer wieder mit Winkelzügen versucht, Zeit zu gewinnen, aber das eigentliche Problem, die griechische Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen, ist nicht richtig entschlossen angepackt worden. Alle Versprechungen, die wir erhalten haben, die sind zum großen Teil nicht eingehalten worden. Bei der Privatisierung bewegt sich gar nichts. Und insofern ist das Vertrauen sehr schwach. Aber entscheidend ist ja auch, dass vor allem die griechische Bevölkerung kein Vertrauen mehr in die Regierung hat. Und ich muss sagen, wenn Papandreou jetzt abtritt und gewissermaßen einen würdigen Abgang bekommen hat dadurch, dass man ihm noch mal das Vertrauen ausgesprochen hat im Parlament, so hilft das relativ wenig. Denn der jetzige Finanzminister, der ihm möglicherweise nachfolgt, wird nicht sehr viel besser sein.

    Zagatta: Wenn das stimmt, was uns Gerd Höhler gesagt hat, dann sind ja demnächst auch Neuwahlen geplant, da war von einigen Monaten die Rede. Das heißt, die Unsicherheit bleibt. Wie soll die EU da jetzt reagieren?

    Klinz: Ja gut, also, wenn es eine neue Regierung gibt, also, oder eine etwas erweiterte Regierung – die große Oppositionspartei scheint sich ja nach wie vor zu weigern, in die Regierung einzutreten, also, es wird nicht zu einer Großen Koalition kommen, sondern es werden sich vielleicht zwei kleinere Parteien der Regierung anschließen –, dann wird das sogenannte Reformprogramm eine Mehrheit im Parlament bekommen. Und wenn das formell so bestimmt und beschlossen ist, dann wird die Europäische Union Griechenland die zugesagten Hilfsmittel von acht Milliarden auszahlen. Aber das eigentliche Problem ist damit überhaupt nicht gelöst. Da werfen wir wiederum gutes Geld dem Schlechten nach, kommen aber bei der Lösung der Strukturprobleme im Prinzip keinen Millimeter weiter.

    Es ist bis heute nicht klar, wie die griechische Wirtschaft so Tritt fassen soll, dass sie tatsächlich wiederum wächst, dass sie Steuereinnahmen – hoffentlich auch mit einem besseren Steuersystem, vor allem steuerlichen Einziehungssystem –, dass sie steuerliche Einnahmen produziert und dass tatsächlich Aussicht besteht darauf, dass Griechenland peu à peu in die Lage versetzt wird, die Schulden abzutragen. Da machen wir im Moment überhaupt keinen Fortschritt. Mir ist persönlich nicht klar, was Griechenland für konkrete Ideen hat, und ich muss sagen, ich bin auch ein bisschen enttäuscht darüber, dass die Europäische Union, die nun seit fast zwei Jahren weiß, wie schlecht es um Griechenland steht, selber auch nicht mit konkreten Vorschlägen gekommen ist, wie man gewissermaßen der griechischen Wirtschaft einen Adrenalinstoß versetzen kann.

    Zagatta: Sie klingen da sehr skeptisch. Deutschland und Frankreich haben ja jetzt erstmals offiziell auch eingeräumt bei dem Gipfel in Cannes, dass man einen Bruch der Eurozone nicht mehr ausschließe, dass Griechenland möglicherweise die Eurozone verlassen müsse. Wie sehen Sie das heute Morgen?

    Klinz: Ja, also, ich meine, wenn wir ganz ehrlich sind: Wir wissen seit einem Jahr, dass Griechenland de facto insolvent ist. Man hat das versucht schönzureden und aus taktischen und übergeordneten Gründen hat man sich geweigert, den Tatbestand der Insolvenz zur Kenntnis zu nehmen. Die Frage des sogenannten freiwilligen Schuldenschnittes – erst 21 Prozent, jetzt 50 Prozent des privaten Sektors, also im Wesentlichen des Bankensektors – war ja der Versuch, einen Teil der nicht zu zahlenden Schulden zu eliminieren, ohne den Staat als solches als insolvent zu erklären. Denn eine offizielle Insolvenz des Staates hätte natürlich gravierende Auswirkungen. Und man weiß eben nicht, was konkret die Folgen wären. Deswegen weigert man sich. So wie damals, als Lehman kaputt gegangen ist, Lehman Brothers, hat keiner damit gerechnet, dass es derartige Schockwellen um den Globus auslösen würde. Und so ist es hier auch.

    Man weiß nicht, was passiert, wenn Griechenland sich offiziell als zahlungsunfähig erklären würde. Und deswegen sagt man, um Gottes Willen, das darf nicht passieren. Aber der Tatbestand der Insolvenz ist natürlich gegeben und jetzt muss man versuchen, um diesen Tatbestand herum eine Lösung zu finden. Das ist, ich sage einmal, was die Schulden und den Ausfall der Schulden betrifft, bisher so halbwegs gelungen, aber das Problem, wie man sicherstellt, dass die Wirtschaft wächst, das ist überhaupt nicht gelöst, noch nicht mal im Ansatz gelöst. Und ohne Wachstum, ohne dass die Wirtschaft wieder Tritt fasst, wird Griechenland nicht imstande sein, wieder auf die Beine zu kommen.

    Zagatta: Was heißt das aus europäischer Sicht? Noch mehr Geld dorthin zu geben? Oder jetzt zu sagen, nein, jetzt ist irgendwann doch Schluss?

    Klinz: Na, also, ich glaube, es macht keinen Sinn, jetzt immer noch mehr und noch mehr Geld zu geben. Wir müssen uns verpflichten, Griechenland noch für eine Reihe von Jahren zu unterstützen und unter die Arme zu greifen, ich glaube, ohne das wird es nicht gehen. Aber wir sollten Griechenland vor allem jetzt Hilfe angedeihen lassen bei der Konzeption eines vernünftigen Geschäftsmodells für das Land Griechenland.

    Wenn das ein Unternehmen wäre, dann müsste es jetzt einen Businessplan entwickeln, der wirklich Aussicht auf Erfolg hat, und das muss entwickelt werden. Griechenland hat ja gewisse Ansätze, wo die Wirtschaft tatsächlich, sagen wir mal, aufbauen könnte. Griechenland liegt so, dass es zum Beispiel ein Logistikzentrum werden könnte für den ganzen Mittelmeer- oder zumindest den östlichen Mittelmeerraum. Viele Importe aus Fernost – und wir haben ja sehr viel Handel jetzt mit China und auch anderen Staaten in Südostasien – kommen über den Suezkanal. Und selbst die, die nach Norditalien gehen, werden in der Regel gelöscht in Rotterdam, Hamburg et cetera und gehen dann mit der Eisenbahn runter nach Italien. Das könnte in Athen, in Piräus könnten die gelöscht werden und von dort nach Italien … also, Logistik ist wichtig, Infrastruktur …

    Zagatta: Herr Klinz, doch eine Frage: Hätte die EU da den Griechen auch viel früher die Zähne zeigen müssen…

    Klinz: … ja, ja, ich finde, die EU, ich habe es doch vorhin schon angedeutet: Wir wissen seit fast zwei Jahren von den massiven Problemen der griechischen Wirtschaft und wir wissen auch und sehen, dass die Griechen selber nicht imstande sind, ein vernünftiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Da müssen wir ansetzen. Wir brauchen eine Art Entwicklungshilfe, wenn man so will.

    Zagatta: Aber beruht die EU da auch auf völlig unzureichenden Grundlagen? Denn man kann ja eigentlich mit einem Ausschluss aus der Eurozone gar nicht drohen, der ist gar nicht vorgesehen!

    Klinz: Nein, da haben Sie völlig recht, das wäre ja auch keine Lösung. Ich meine, was … Wenn Griechenland aus der Eurozone austritt, sagen wir mal freiwillig, dann ist es ja immer noch Mitglied der Europäischen Union, davon gehe ich zumindest mal aus. Und als Mitglied der Europäischen Union würde Griechenland – und meiner Meinung nach auch zu Recht – erwarten, dass wir es nicht völlig ins Bodenlose abstürzen lassen. Das heißt, wir müssten so oder so den Griechen zur Seite stehen. Und da erwarte ich eigentlich, dass wir den Griechen jetzt zur Seite stehen mit Vorschlägen, die tatsächlich Aussicht auf Erfolg haben. Nur Geld zu geben, bringt es doch nicht. Wenn wir Griechenland auch sämtliche Schulden erlassen, nicht nur die 50 Prozent, sondern 100 Prozent, aber sonst nichts weiter passiert, dann sind sie in fünf oder in sieben Jahren genau da, wo sie heute sind.

    Zagatta: Der FDP-Politiker Wolf Klinz, der im Europaparlament den Sonderausschuss zur Finanzkrise leitet, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Klinz, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Klinz: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Wolf Klinz (FDP), Mitglied des Europäischen Parlaments
    Wolf Klinz (FDP) (www.wolf-klinz.de)