Engels: Steht die Terrorfahndung damit wieder am Anfang?
Buß: Nein, das tut sie natürlich nicht. Aber, natürlich ist es ein bitteres Ergebnis, wenn Motassadeq auf freien Fuß gesetzt wird, wenn auch mit sehr, sehr strengen Auflagen, alleine, wenn Sie bedenken, dass ein ganzes Heer von Beamtinnen und Beamten eingesetzt werden muss, um jetzt die Einhaltung der Auflagen durch Motassadeq zu überwachen.
Engels: Klar geworden ist ja durch dieses Urteil des Bundesgerichthofes, dass die Gerichte stärkere Beweise brauchen und alle Aussagen. Wie sind die denn beizubringen ohne die Aussagen des mutmaßlichen Terrorhelfers Binalshib aus den USA?
Buß: Wir leben in einem Rechtsstaat und ich sage das immer wieder, das ist gut so. Die Jurisdiktion, also die Gerichte sind an die klaren Beweisregeln gebunden, die wir in unseren Gesetzen haben und wenn die Beweise nicht ausreichen, dann müssen sie entsprechend entscheiden. Das wollen wir für uns selbst, wenn wir betroffen sind. Das gilt natürlich auch für alle anderen. Wenn jetzt Beweise fehlen, die die USA beibringen könnten, dann ändert das für das Gericht nichts, wir müssen, das heißt die Bundesrepublik muss in Verhandlungen mit den USA versuchen, dass die USA diese Beweismittel, in diesem Fall geht es ja im Wesentlichen um einen Zeugen, freigeben und den USA klar machen, dass in unserem Rechtssystem ein solches Beweismittel, der Zeuge, unverzichtbar ist, um eine Sache wirklich ausleuchten zu können und zu richtigen Entscheidungen zu kommen.
Engels: Sind also die USA Schuld daran, dass Motassadeq wieder frei kam?
Buß: Nach dem, was man liest, ich würde nicht sagen, das Wort Schuld ist schnell gebraucht, aber zumindest haben sie mit der Verweigerung, den Zeugen nach Deutschland zu überstellen und durch ein Gericht verhören zu lassen, eine ganz wesentliche Ursache dafür gesetzt, da beißt keine Maus den Faden von ab.
Engels: Nun bedauern die Vereinigten Staaten die Freilassung Motassadeqs. Wird diese Freilassung, ihrer Einschätzung nach, nun die Wirkung in den USA haben, künftig besser zu kooperieren?
Buß: Das kann ich nur hoffen, aber Voraussetzung ist, dass man den Amerikanern klarmacht, wie unser Rechtssystem, das ja dem angelsächsischen doch ziemlich verschieden ist, wie unser Rechtssystem funktioniert. Das muss einfach klar werden in den amerikanischen Köpfen, dass es so, wie man es sich dort vorstellt, hier nicht funktioniert. Wir haben unser Rechtssystem, ich betone noch einmal, ich bin stolz darauf, in einem solchen Rechtsstaat leben zu können.
Engels: Muss das denn vielleicht auch Konsequenzen für die Kooperation mit den USA haben, wenn sie weiterhin nicht kooperieren, das heißt wird dann auch die deutsche Zusammenarbeit mit den US-Ermittlern etwas zurückgefahren?
Buß: Nein, das wird sie mit Sicherheit nicht. Wir haben ja ein hohes Interesse daran, zusammenzuarbeiten und, ich darf noch einmal daran erinnern, nach dem 11. September 2001 ist die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der USA und den Behörden der verschiedenen Nationalstaaten in Europa, vor allem auch mit Deutschland, ja ganz erheblich verbessert worden. Aber, sie ist immer noch, wie wir an diesem Fall sehen, nicht optimal und daran gilt es weiterhin zu arbeiten.
Engels: Der Fall geht ja nun auch noch weiter. Wenn man sich den Fall Binalshib anschaut, dann muss man ja, sowohl bei ihm, als auch bei anderen Terrorverdächtigen, sagen, dass diese Terrorverdächtigen in den USA gar nicht vor regulären Gerichten stehen, von dem Gefangenenlager Guantánamo gar nicht zu reden. Nehmen wir an, es gäbe eine weitere Aussage Binalshibs, hätte die dann überhaupt vor Gericht Bestand?
Buß: Das kann ich nicht beurteilen, das unterliegt der Wertung des Gerichts. Entscheidend scheint mir, dass das Gericht, das zuständige deutsche Gericht, diesen Zeugen direkt vernehmen kann. Ob in den USA oder hier bei uns, aber direkt vernehmen kann und dann muss sich das Gericht ein eigenes Urteil bilden, ob das, was es gehört hat auch unter den Umständen unter denen die Vernehmung stattgefunden hat, ausreichend ist, um sich jetzt eine Überzeugung bilden zu können.
Engels: Das Hamburger Oberlandesgericht gab ja gestern bekannt, Motassadeq sei nach wie vor dringend verdächtig, Mitglied in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein, dies rechtfertige aber nicht die Fortdauer der Haft. Wieso eigentlich nicht?
Buß: Das Oberlandesgericht hat das ja damit vor allem begründet, dass der Strafrahmen deutlich kleiner wird, als bei der Beihilfe zu einem dreitausendfachen Mord, nämlich ein Strafrahmen zwischen ein und zehn Jahren, zum einen und zweitens hat es gesagt, dass die sozialen Bindungen des Angeschuldigten, des Angeklagten so sind, dass davon ausgegangen wird, dass keine Fluchtgefahr besteht. Darüber kann man natürlich streiten, aber es unterliegt der Wertung des Gerichts und das Gericht hat dann so entschieden.
Engels: Leiten Sie aus dem Fall Motassadeq und dessen Freilassung jetzt irgendetwas ab, wo Gesetze verändert werden müssten?
Buß: Wir streiten ja intensiv oder diskutieren, besser gesagt, intensiv darum, ob man hier eine Verschärfung, immer unter der Überschrift unseres Rechtsstaates, überhaupt vornehmen kann. Zur Zeit wäre ja eine Ausweisung und mein Kollege Nagel hat darüber ja schon gesprochen und gesagt, dass er das versuchen wird. Wobei sich das immer nur auf einen Zeitpunkt beziehen kann nach einer rechtskräftigen Verurteilung. Zur Zeit ist eine solche Ausweisung möglich nach Paragraph 47 in Verbindung mit Paragraph 8, Ausländergesetz. Dort heißt es, Tatsachen müssen belegen, also beweisen, dass der Angeklagte einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt. Diese Beweise sind außerordentlich schwer zu erbringen und man strebt an, diese Formulierung sozusagen nach unten zu öffnen in der Form, dass man sagt, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört, die den Terrorismus unterstützt. Das sind die Positionen. Ob das aber und das werden wir am 30. April und 1. Mai in der Arbeitsgruppe zum Zuwanderungsgesetz diskutieren, ob das unter den rechtsstaatlichen Vorgaben, die wir in Deutschland, ich sage es noch einmal, glücklicherweise haben, tatsächlich möglich ist, das wage ich im Augenblick noch zu bezweifeln, das muss wirklich sehr, sehr intensiv diskutiert werden.
Engels: Das war Klaus Buß, er ist Innenminister in Schleswig-Holstein und Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Buß: Ich danke Ihnen.