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Byung-Chul Han: "Die Errettung des Schönen"
Essays über Ästhetik im digitalen Zeitalter

Der aus Südkorea stammende und an der Universität der Künste in Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han hat sich mit seinen Essays und Büchern eine Schneise durch die Gegenwartsliteratur geschlagen. Seine Bücher möchten nicht gefallen, sondern wachrütteln. Nun widmet er sich dem Phänomen der Schönheit in unserer Kultur.

Von Annette Brüggemann |
    Eine Person tippt mit dem Finger auf ein Tablet.
    Byung-Chul Han spricht vom "Digitalschönen" als dem "glatten Raum des Gleichen". Oder aber er parodiert "Facebook", wo "Likes" und "Friends" zur Popularität gehören - als ein "Markt der Charakterlosigkeit." (imago / Jochen Tack)
    "Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander. Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es herrscht Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt."
    Jede Zeit hat ihre Schönheitsideale und diese haben viel damit zu tun, was einer Gesellschaft wichtig ist. Schauen wir in den Spiegel der Zeit so erblicken wir heute einen Hype für das pornografisch glatte Shades of Grey, für sexy Selfies der amerikanischen Schauspielerin Kim Kardashian oder Daily Instagram Shots. Schon viel wurde darüber geschrieben, wo in dieser Matrix der Bilder, der narzisstischen Zurschaustellung und Wiederkehr des Gleichen das Geheimnis bleibt. Die Intimität. Der Andere in all seiner Echtheit und Zärtlichkeit.
    So schrieb die Philosophin Ariadne von Schirach 2007 von der Pornografisierung der Gesellschaft. Der Autor Sven Hillenkamp 2009 vom Ende der Liebe. Und der Philosoph Robert Pfaller 2011 davon, wofür es sich zu leben lohnt in einer Welt "neurotischer Unlust", in der Sicherheit, Gesundheit und Kosteneffizienz an erster Stelle stehen. Byung-Chul Han selbst hatte in Büchern wie "Müdigkeitsgesellschaft", "Transparenzgesellschaft" und "Agonie des Eros" auf die existenziellen Schattenseiten einer neoliberalen Gesellschaft hingewiesen. Und nun gilt sein achtsamer und zugleich schonungsloser Blick dem Phänomen der "Schönheit":
    "Dem Schönen wird heute jede Weihe genommen. Es ist kein Ereignis der Wahrheit mehr. Keine ontologische Differenz, kein Eros schützt es vor der Konsumtion. Es ist ein bloß Seiendes, ein in seiner Selbstverständlichkeit bloß Vorliegendes und Vorhandenes. Man findet es einfach vor als Gegenstand des unmittelbaren Gefallens. Das Zeugen im Schönen weicht dem Schönen als Erzeugnis, als Gegenstand des Konsums und des ästhetischen Gefallens."
    Feste philosophische Linien
    Und auch Informationen und Daten liegen einfach vor, vollkommen hüllen- und geheimnislos, konstatiert Byung-Chul Han treffend und prägnant. So spricht er vom "Digitalschönen" als dem "glatten Raum des Gleichen". Oder aber er parodiert "Facebook" - die Social Media Plattform, auf der "Likes" und "Friends" zur Popularität gehören - als ein "Markt der Charakterlosigkeit". Denn es gelte nur noch "nice", also anschluss- oder kommunikationsfähig zu sein.
    Was er diesem "charakterlosen Meer", wie er es nennt, entgegen setzt, sind feste philosophische Linien und Markierungen. Byung-Chul Han untersucht die Phänomene des Schönen in der Gegenwart - im Sinne der Phänomenologie, die den Ursprung ihrer Erkenntnis in den unmittelbar gegebenen Erscheinungen sieht. Und er bringt das Schöne im Sinne Hegels auf den "Begriff". Mit dieser klugen philosophischen Geste macht er das "Schöne" wieder zu einem ethischen Imperativ - ohne dessen inhärente Spannungen von Ewigkeit und Flüchtigkeit zu negieren. Vielmehr holt er die Negativität wieder herein und erweitert unser poliertes Schönheitsideal um die Sensibilität, Vulnerabilität und Gebrochenheit, dem das Schöne seine Verführungskraft und seinen Eros verdankt.
    Poesie des Schönen
    Und auch wenn es beim ersten Lesen scheint, als verharre Byung-Chul Han in Negativbestimmungen, so zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass er besonders zum Ende seines Buch leise eine Poesie des "Schönen" entfaltet:
    "Die Schönheit ist ein Beziehungsereignis. Sie entzieht sich dem unmittelbaren Genuss, denn die Schönheit einer Sache erscheint erst viel später im Licht einer anderen als Reminiszenz. Sie besteht aus geschichtlichen Ablagerungen, die phosphoreszieren. Die Schönheit ist ein Zögerling, ein Nachzügler. Schönheit ist kein augenblicklicher Glanz, sondern ein stilles Nachleuchten. In dieser Zurückhaltung besteht ihre Vornehmheit."
    Diese Art der Schönheit als Ereignis und ästhetische Distanz geht in einer Bildkultur der schnellen Effekte und Affekte verloren. Dem setzt Byung Chul-Han das Verbindliche als Wert entgegen:
    "Die zunehmende Volatilität betrifft nicht nur die Finanzmärkte. Sie erfasst heute die ganze Gesellschaft. Nichts hat Bestand und Dauer. Angesichts radikaler Kontingenz erwacht die Sehnsucht nach Verbindlichem jenseits der Alltäglichkeit. Errettung des Schönen ist Errettung des Verbindlichen."
    Was in der Verbindlichkeit entsteht, ist auch die Liebe zum Anderen. Nur wo ist dieser Andere in Byung-Chul Hans Text? Denn zeigt sich unser Umgang mit dem Schönen nicht am besten im Umgang mit uns selbst und anderen Menschen? Hier klafft eine Lücke in Byung-Chul Hans Buch, das sich allein auf der Ebene theoretischer Abstraktion bewegt. Trotzdem ist "Die Errettung des Schönen" wie ein dunkler Schmetterling, der um den Augenblick weiß, um das jähe Verschwinden und Geheimnis der Schönheit, dem wir staunend begegnen.
    Byung-Chul Han: "Die Errettung des Schönen"
    S. Fischer Verlag. Hardcover, 112 Seiten, 19,99 Euro.