Simon: Wieso haben wir denn dieses Recht noch?
Kirchner: Weil der deutsche Gesetzgeber sehr langsam arbeitet. Die Vorgaben des europäischen Rechts sind nicht sehr klar, und das Bundesjustizministerium hat aus diesem Grund im letzten Juni ein Gutachten über die Modernisierung des deutschen Rechts gegen unlauteren Wettbewerb angefordert, und dort kommt richtig zum Ausdruck, dass der Paragraph sieben UWG auf der Abschussliste steht.
Simon: Das heißt das liegt längst vor. Warum wird denn in Deutschland trotzdem nichts getan? Es gibt ja nun jetzt auch nicht eine große Stimmung, die sagt, wir schaffen jetzt die Restbestände auch noch ab.
Kirchner: Vielleicht bedurfte es derartiger Aktionen, wie C&A sie unternommen hat. Insofern kann der Verbraucher und auch der Wirtschaftsrechtler C&A dankbar sein, dass sie diesen Vorstoß gewagt haben, und auch riskiert haben, erst mal in der ersten Instanz zu unterliegen. Ich mache darauf aufmerksam, dass dieses Urteil des Landgerichts Düsseldorf natürlich erst die erste Instanz ist. Man kann den Paragraphen sieben auch anders auslegen, man kann ihn Europarecht-kompatibel auslegen.
Simon: Sie sprachen Europa und Europarecht an. Diesen Preisnachlass für Kunden, um bei dem konkreten Beispiel zu bleiben, die bei C&A zur Euroumstellung mit Karte bezahlten, gab es auch in anderen Ländern. Da ging es unbeanstandet durch, Beispiel Belgien. Das müsste ja nach der deutschen Definition ein unlauterer Wettbewerb in diesen Ländern sein. Warum wird es da nicht so gesehen?
Kirchner: Die Länder der EU sind grundsätzlich frei, ihr Lauterkeitsrecht individuell zu regeln. Deutschland hat nachgewiesenermaßen das strengste, das restriktivste Recht gegen den unlauteren Wettbewerb. Das wirkt sich nun sehr negativ für Großunternehmen aus, die eine Marktstrategie für ganz Europa brauchen. Sie müssen dann sozusagen überall in die nationalen Rechtsordnungen sehen und ihre Strategien differenzieren. Das führt zu zusätzlichen Kosten, die letztendlich der Verbraucher zu zahlen hat.
Simon: Stichwort der Verbraucher zahlt. Beim unlauteren Wettbewerb werden ja auch immer die kleinen Betriebe ins Feld geführt. Nur, bei der jetzigen Rechtslage, ist es nicht vor allem der Kunde, der geschädigt wird und draufzahlt?
Kirchner: Es zahlt letztendlich der Kunde drauf, aber es zahlt insbesondere die Intensität des Wettbewerbs drauf. Wenn das UWG gelockert würde, hätten alle Wettbewerber die Chance, fantasievolle, innovative Strategien zu entwickeln. Dieses Wettbewerbsrecht wendet sich zur Zeit hauptsächlich gegen innovative, neue Strategien, er stützt praktisch nicht den Wettbewerb, sondern die Wettbewerber, und das ist falsch.
Simon: Was wären denn innovative, neue Strategien?
Kirchner: Innovative, neue Strategien bestünden darin, etwa derartige Preisnachlässe zu gewähren oder etwa Sonderaktionen zu gestalten, die dem Kunden andere Vorteile geben. Das Besondere an innovativen Strategien besteht ja gerade darin, dass sie erst entwickelt werden müssen.
Simon: Sind das denn auch Möglichkeiten, die kleine Geschäfte, die Einzelhandelsbetriebe haben? Große Ketten haben sie natürlich.
Kirchner: Aber selbstverständlich haben auch kleine Unternehmen die Möglichkeit, sich etwas einfallen zu lassen, gerade in ihrem direkten Umfeld. Sie können dann sehr viel genauer reagieren. Zur Zeit müssen sie immer Angst haben, dass die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs einschreitet.
Simon: Wie sieht es denn konkret in anderen Ländern aus? Gibt es da nicht mehr Macht von großen Ketten, wenn da der Wettbewerb offener ist?
Kirchner: Das kann man so generell nicht sagen, weil gerade ein offener Wettbewerb ja mehr Nischen lässt, und gerade kleineren Unternehmen, die oft flexibler sind, Chancen einräumt. Es ist nicht so, dass automatisch die großen Unternehmen von mehr Wettbewerb profitieren.
Simon: Sie sagten eingangs, es liegt im Justizministerium bereits ein Gutachten vor, das sich dafür ausspricht, diese Wettbewerbsbeschränkung in Deutschland ganz aufzuheben, dass demnach also dieser Terminus des unlauteren Wettbewerbs so nicht mehr verwendet werden kann. Sehen Sie dafür eine politische Mehrheit in Deutschland?
Kirchner: Die politische Mehrheit sehe ich zur Zeit noch nicht, weil es immer eine unselige Allianz gibt, zwischen dem Verband des deutschen Einzelhandels und den Gewerkschaften. Insofern glaube ich nicht, dass die jetzige Regierung sozusagen noch den Elan aufbringt, hier etwas zu tun. Ich nehme aber an, dass in der nächsten Legislaturperiode dieses ansteht. Und gerade diese Aktion ist insofern zu befürworten, als sie diese Thematik jetzt allgemein publik gemacht hat.
Simon: Bislang hat ja auch die Strategie der von Ihnen genannten Akteure verfangen zu sagen, das schadet nur unseren kleinen Geschäften, und es nützt letztendlich nicht dem Kunden. Glauben Sie, dass der Deutsche inzwischen reif für eine andere Situation ist?
Kirchner: Der Deutsche ist sowieso reif. Wenn Sie heute eine Umfrage bei den Verbrauchern machen würden, dann würde sich wahrscheinlich eine sehr große Mehrheit für die Abschaffung dieses unsinnigen Paragraphen 7 UWG aussprechen. Es geht also nicht um die Interessen der Deutschen, sondern es geht um Lobbyinteressen.
Simon: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio