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Cailloux' Haschgeschichten
Zwischen Pot und Protest

Schriftsteller Bernd Cailloux legt mit "Surabaya Gold" seinen fünften Erzählungsband vor – Haschischgeschichten verheißt der Untertitel. Darin begegnet man ständig kleinen und größeren Runden, die zusammensitzen und kiffen. Und die auf der Suche nach dem Eigentlichen der Existenz sind.

Von Thomas Palzer | 26.07.2016
    Eine Joint und Marihuana
    Zwischen Pot und Protest, so der Autor in seinem Nachwort, bestünde eine unauflösbare Verwandtschaft. (Imago)
    Surabaya ist mit rund drei Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Indonesiens, die aber kein Mensch zumindest dem Namen nach kennen würde, hätten 1929 nicht Kurt Weill und Bert Brecht das alte Lied vom Schuft unter dem Titel Surabaya Johnny angestimmt.
    "Surabaya Gold - Haschischgeschichten" lautet der Titel des neuen, hanffarbenen Erzählungsbandes von Bernd Cailloux – ein Titel, der dem Spitzfindigen, während er durch die sechs Geschichten blättert, zu der Vermutung anregt, dass hier der Kiffer der Betrogene ist – und das Gras der Schuft. Doch die Wahrheit ist viel profaner: Surabaya Gold ist der tatsächliche Name für gutes indonesisches Cannabis.
    In seinen von der Kritik zu Recht gepriesenen Erzählungen und Romanen bestätigt Bernd Cailloux eine Ansicht des österreichischen Philosophen Ivan Illich, die da in etwa besagt, dass Erzählungen sich auf die Welt beziehen müssen, Texte dagegen auf den Verstand. In diesem Sinn sind Cailloux' Geschichten tatsächlich keine Texte – sie beziehen sich vielmehr auf Erlebnisse des Autors, darauf, was dieser in den Jahren zwischen den späten 1960ern bis in die Mitte der 1970er erlebt hat – ein Zeitraum, mit dem sich im Übrigen auch die beiden Romane "Gutgeschriebene Verluste" aus dem Jahr 2012 und vor allem "Das Geschäftsjahr 1968/69" auseinandersetzen. Das ist kein Nachteil, im Gegenteil. Cailloux macht aus dem Erlebten ja Literatur– und keine Autobiografie.
    Verblassten Ideologeme der 68er-Generation in Geschichten
    Der Autor ist ein Meister darin, Geschichte mit feinem Spürsinn in Geschichten aufzulösen – also die verblassten Ideologeme seiner, der 68er-Generation in Geschichten, die den Abgrund zwischen Euphorie und Scheitern ausmessen, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Richtig verstanden, könnte man sagen, dass "Surabaya Gold" wie praktisch alle Erzählungsbände des Autors die eigentlich unverzichtbaren Begleiter sind für die Lektüre von Büchern wie Philipp Felschs "Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960 – 1990."
    "Im Sommer des Jahres 1967 kam ein Fernsehreporter ins Düsseldorfer Künstlerlokal Creamcheese und fragte, von Gerüchten aufgeschreckt, ob hier vielleicht Haschisch, Gras oder sonstiges Rauschgift vorhanden wäre. Der diensthabende Barmann, Big Martin, zog an seinem lässig in der Hand gehaltenen, dicken Joint, blies den Rauch in Millionen Tagesschau-Gesichter und sagte: 'Nö, nicht dass ich wüsste' ... "
    Cailloux ist ein Sympathisant des Hippies und dessen Lebensform, aber mit Nostalgie hat das ganz und gar nichts zu tun. Es ist eher dem Protest geschuldet - der Einsicht, dem trostlosen Leistungskonzept der Gegenwart, das dringend einer Korrektur und einer Alternative bedürfte, etwas dagegen halten zu müssen. Prinzipiell bleibt der Schriftsteller gegenüber zeitgenössischen Verheißungen skeptisch – und das bleibt er übrigens auch der eigenen notorischen Skepsis gegenüber, die sein Markenzeichen ist. Cailloux' Prosa ist prototypischer Ausdruck jener skeptischen Generation, die der Soziologe Helmut Schelsky in den Fünfzigern in der Generation nach '45 erkannt haben wollte – wozu Cailloux gehört. Im Nachwort von "Surabaya Gold" schreibt dieser:
    "Bekanntlich entwickelten die Hippies ein anderes als das von Staat und Gesellschaft dies- und jenseits des Atlantiks bestimmte Leistungskonzept. Geld und Karriere interessierten sie erst mal gar nicht, abhängige Lohnarbeit ebenso wenig, den wirtschaftswunderbaren Konsum verweigerten sie glatt (ausgenommen Stereoanlagen und ein paar andere Kleinigkeiten). Anleiten ließen sie sich von einem einfachen Gedanken: Ein einfaches Leben verringert den Zwang, in ungeliebten Berufen oder mit sonst wie entfremdeter Arbeit Geld verdienen zu müssen ... bloß kein Stress."
    Suche nach dem Eigentlichen der Existenz
    "Surabaya Gold" ist eine Verteidigung der Verweigerungshaltung, die zur damaligen Zeit unweigerlich an das Kiffen gebunden war. Zwischen Pot und Protest, so der Autor in seinem klugen Nachwort, bestünde seitdem eine unauflösbare Verwandtschaft. Die allerdings droht, auch das ahnt Cailloux, durch die Bestrebungen des Neoliberalismus, Cannabis zu legalisieren und dem Markt einzuverleiben, Geschichte zu werden.
    In "Surabaya Gold" begegnet man ständig kleinen und größeren Runden, die zusammensitzen und kiffen. Und die auf der Suche nach dem Eigentlichen der Existenz sind. Erinnert sich eigentlich noch wer an Adornos Jargon der Eigentlichkeit, mit welchem Essay der Frankfurter Soziologe Heidegger eins auswischen wollte? Jedenfalls kifften die einen, die anderen diskutierten, wieder andere verbanden beides miteinander. Es war eben die Zeit der locker zusammengesetzten Runde, der Freunde ad hoc und auf Zeit.
    Abseits von Verherrlichung oder Verteufelung und erst rechts abseits der gängigen Kiffer-Klischees bleibt Cailloux der wunderbare Alchemist, dem es gelingt, in "Surabaya Gold" liebevoll und mit sanfter Ironie eine Welt auferstehen zu lassen, die nicht mehr existiert – eine Welt von Gestern, die aber, weil wir sie vermissen, eine große Zukunft hat.
    Bernd Cailloux: "Surabaya Gold - Haschichgeschichten". Suhrkamp Verlag, Berlin 216, 139 Seiten, 10 Euro.