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Cambridge Analytica
Happy new Leak!

Ob Trump seinen Wahlsieg auch den Daten von Cambridge Analytica verdankte, konnte nie ganz geklärt werden. Nun kommen neue Dokumente ans Licht: Sie könnten vor der nächsten US-Wahl Klarheit bringen, hofft Samira El Ouassil.

Von Samira El Ouassil | 08.01.2020
Menschen in der Zentrale von Cambridge Analytica in London
Menschen in der Zentrale von Cambridge Analytica in London. Inzwischen ist das Unternehmen insolvent. (AFP / Daniel LEAL-OLIVAS)
Das neue Jahr birgt zwar bisher leider keine Fortsetzung des Ibiza-Videos, dennoch beginnt es mit geleakten Inhalten - und ein bisschen geht es auch um Österreich. Auf dem Twitter-Account HindsightFiles tauchen seit Neujahr interne Dokumente der insolventen Datenfirma Cambridge Analytica auf und geben Aufschluss über das Vorgehen, mit der das Unternehmen Wähler weltweit manipuliert haben soll.
Laut dem "Guardian" zeigen die über 100.000 Dokumente die Tätigkeit von der Datenfirma in 68 Ländern. Die bisher veröffentlichten Dossiers enthalten Daten zu Wahlen in Malaysia, Kenia, Brasilien und Iran sowie Informationen zu John Bolton, dem ehemaligen nationalen Sicherheitsberater Trumps. Und es sollen noch weitere Dossiers folgen.
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.
Geleakt hat sie die Whistleblowerin und Ex-Mitarbeiterin Brittany Kaiser. Sie sagt, das Material gehe "weit über das hinaus, was die Leute über den Cambridge Analytica-Skandal zu wissen glauben". Die Firma sei in wesentlich größerem Ausmaß aktiv gewesen.
Gefahr für kommende US-Wahl
Ausschlag zur Veröffentlichung gab die Wahl in Großbritannien im Dezember. Es sei derart offensichtlich, dass unsere Wahlsysteme sehr leicht missbraucht werden können, weshalb sie große Befürchtungen davor habe, was bei der US-Wahl später in diesem Jahr passieren wird.
Man hört und liest dies und ist erstmal alarmiert. Was könnte die Firma in noch größerem Ausmaß gemacht haben, die wegen ihrer Mitarbeit an der Wahlkampagne von Trump 2016 und ihrem Einsatz für Pro-Brexit-Gruppen als wahr gewordene Prämisse einer "Black Mirror"-Episode gilt?
Auch Obama nutzte digitale Daten
Als Anfang 2018 bekannt wurde, dass die Firma rechtswidrigerweise in Besitz der Facebook-Daten von 87 Millionen Nutzern war, entwickelte sich ein kritisches Interesse an deren Nutzung und vor allem an den Funktionsmechanismen personalisierter Wahlwerbung.
Obwohl zum Beispiel auch Obama Datensätze nutzte um Wähler passgenau anzusprechen (und als innovativ galt), war man im Falle von Cambridge Analytica befremdet - zum Teil auch wegen der missverständlichen Berichterstattung und der überzogenen Selbsterzählung der Firma.
Wahlwerbung nach Psychogramm
Unbehaglich dystopisch muteten ihre Datenauswertungen für psychologische Verhaltensanalysen an, die sogenannten Psychogramme, die in Kombination mit Ad-Targeting nach eigener Aussage Wahlsiege bewirken. Ad-Targeting, das ist personalisierte Werbung, die an den Charakter eines einzelnen Nutzers respektive potentiellen Wählers angepasst ist. Dadurch sollen nicht nur die Inhalte zielgerichteter sein, also das Was, sondern auch die Art der Ansprache, das Wie.
Was das konkret heißt, beschrieben die Journalisten Hannes Grassegger und Mikael Krogerus in ihrem kurz nach dem Skandal erschienenen Text "Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt" aus der Schweizer Autorenzeitschrift "Das Magazin". Dieses viel gelesene Stück trug zur Erzählung um Cambridge Analytica als Zauberer-von-Oz-haften Manipulator bei.
Keine Autonomie der Wähler mehr
Anhand einer Waffengesetz-Kampagne beschreibt der damalige CEO Alexander Nix darin, wie die zielgerichtete Werbung mit den Psychogrammen konkret aussieht: "Für einen ängstlichen Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten verkaufen wir die Waffe als Versicherung", erklärt er und zeigt das Bild einer Einbrecher-Hand, die eine Scheibe einschlägt. Dann zeigt er ein zweites Bild, einen Mann und ein Kind im Sonnenuntergang, beide mit Flinten auf Entenjagd. Das ist für konservative Typen mit hoher Extraversion, erklärt er.
Die kulturpessimistische Erzählung der durch diese digitale, schwarze Magie manipulierten und schlagartig ihrer Autonomie beraubten Wähler wurde als Erklärung für den Trump-Sieg dankbar, ja fast erleichtert aufgenommen – Gott sei Dank, es war doch nur dieses undurchdringliche Neuland, das den Facebook-Dorothees die Sinne vernebelt hatte. Jedoch konnte bis heute nicht bewiesen werden, ob diese Instrumente ausschlaggebend waren für den Wahlsieg oder ob dies selbstbewusste Firmen-PR war.
"Beweise für sehr verstörende Experimente"
Daran könnten die neuen Dokumente vielleicht etwas ändern. Die vom "Guardian" zum Leak befragte Propaganda-Expertin Emma Briant sagt, dass diese weit besser als bisher bekannt erklären, was bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 passiert sei. Das habe große Auswirkungen auf die Wahl 2020, denn es werde weiterhin mit denselben Techniken gearbeitet. Es gäbe "Beweise für sehr verstörende Experimente an amerikanischen Wählern mit auf Angst aufbauenden Nachrichten".
In den Unterlagen findet sich auch eine E-Mail von Philipp Maderthaner, Kampagnenmann und politischer Stratege von Sebastian Kurz, in welcher er Kontakt zu Cambridge Analytica suchte, was jedoch im Sande verlief - es kam zu keiner Zusammenarbeit.
Das zeigt zumindest: Auch ohne psychografisch personalisierte Entenjagd und Einbrecher kommen Populisten an die Macht – das muss uns vielleicht noch viel mehr alarmieren.