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"Cameron muss seinen Wirtschaftskurs neu überdenken"

Die Austeritätspolitik - Kürzungen von Ausgaben - führe in Großbritannien zu Steuerausfällen und Wachstumsverlusten, sagt Rudolf Hickel. Der Wirtschaftswissenschaftler ergänzt, dass der britische Premier David Cameron die Stärkung der industriellen Entwicklung im Auge haben müsse.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Christiane Kaess | 23.02.2013
    Christiane Kaess: Auch Großbritannien steckt seit der Finanzkrise 2008 tief in der Schuldenfalle. Jetzt hat das Land seine Top-Bonität am Finanzmarkt verloren, die Ratingagentur Moody's hat die Kreditwürdigkeit herabgestuft. Großbritannien läuft also damit Gefahr, für Kredite künftig höhere Zinsen zahlen zu müssen. Tobias Armbrüster Herabstufung Großbritanniens (MP3-Audio) berichtet aus London .

    Zur Herabstufung Großbritanniens kommen weitere Indikatoren, dass sich die europäische Finanz- und Schuldenkrise wieder verschärfen könnte, denn auch in der Eurozone selbst kommen neue Unsicherheiten dazu. In Zypern wird an diesem Sonntag gewählt, danach soll über finanzielle Hilfen für das kriselnde Euroland beschlossen werden. Die Wahl in Italien sorgt für Unruhe, denn je nach Wahlergebnis könnten die dortigen Reformbemühungen erlahmen, und Frankreich ist mittlerweile das große Sorgenkind geworden. Am Telefon ist der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, guten Tag!

    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!

    Kaess: Herr Hickel, kommt denn die europäische Finanz- und Schuldenkrise mit voller Kraft zurück?

    Hickel: Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen die Dinge sehr genau auseinanderhalten. Wir haben ja, was die EU betrifft, durchaus jetzt ein Reglement mit dem Fiskalpakt, der vorschreibt sozusagen, und 25 Länder haben den unterschrieben, übrigens Großbritannien nicht, der zusagt, dass die Schulden gebremst werden sollen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite muss man sehen, Großbritannien, was jetzt passiert, ist, dieser Signaleffekt, der ist doch sehr problematisch. Man muss einerseits sehen, es war ja bekannt, dass Großbritannien in einer wirtschaftlich schwachen Wirtschaftsentwicklung befindet erstens. Zweitens, dass die Schulden ansteigen. Und ich frage mich jetzt wirklich ganz ernsthaft heute Morgen oder heute Nachmittag, warum eigentlich überhaupt diese Ratingagentur Moody's dieses Urteil abgegeben hat. Die Finanzmärkte wissen das alles. Das löst jetzt eine große Schockwirkung aus und natürlich auch eine Debatte über die richtige Politik. Ich finde, dass die Labour-Opposition ganz richtig reagiert hat: Cameron muss sehen, dass diese Politik des Sparens, diese Austeritätspolitik, dass die am Ende natürlich Wachstum schwächt. Und interessant finde ich die Formulierung des britischen Finanzministers, der gesagt hat, die EU sei schuld, und zwar sei die EU schuld, weil sie Sparkurs durchsetzt. Also hier zeigt sich, dass Großbritannien Riesenaufgaben braucht und hat, aber das Moody's-Urteil war völlig überflüssig.

    Kaess: Aber Moody's Begründung ist ja, dass das Wirtschaftswachstum Großbritanniens trotz seiner wirtschaftlichen Stärke gering bleiben werde. Also ist das doch ein begründetes Urteil.

    Hickel: Ja, das Urteil ist begründet, aber es hat keinen Neuigkeitswert auf der einen Seite, und auf der anderen Seite haut es natürlich wie so eine informationelle Bombe rein. Mir war das alles schon bekannt, vielen anderen auch, und deshalb frage ich mich, woher nimmt eigentlich Moody's sozusagen das Recht jetzt, mit dieser ihr zugesprochenen, vielleicht auch gar nicht zustehenden Gewalt im Grunde genommen Information zu verbreiten. Aber wichtig ist jetzt, dass Großbritannien die richtigen Konsequenzen zieht. Denn Moody's sagt ja nur die Ursachen und sagt aber nicht die Lösungen. Ich bin ganz sicher, wenn jetzt beispielsweise Cameron seine Strategie ändern würde und sagen würde, okay, wir haben gesehen, wir werden mit dieser massiven Sparpolitik, die ja in dem Einspieler vorher gut beschrieben worden ist, werden wir die Konjunktur nicht retten, sondern das wirtschaftliche Wachstum belasten, und wir machen jetzt einen veränderten Kurs, wir machen jetzt die Strategie der Wachstumsstärkung, dann bin ich ganz sicher, dass Standard & Poor's und Moody's ganz schnell dabei sind, wieder schlechte Noten auszuteilen, weil sie die Politik nicht brauchen. Wir müssen uns ...

    Kaess: Aber dennoch, Herr Hickel, die Fakten liegen ja auf dem Tisch. Was soll an dem Urteil falsch sein?

    Hickel: Nein, die Frage ist, warum wir überhaupt Ratingagenturen - Sie merken schon, bei Ratingagenturen bin ich sehr kritisch - warum wir überhaupt die brauchen. Niemand hat die sozusagen auf die Palette gerufen, das ist im Grunde genommen eine Beanspruchung von Urteilen - übrigens wissen wir ja, dass Standard & Poor's zurzeit gerade eine Klage hat wegen seiner völligen Fehlbewertungen der Finanzprodukte, die später dann sich als vergiftet und toxisch erwiesen haben. Aber wichtig ist sozusagen insgesamt, und Großbritannien bekommen wir immer das Signal von Moody's, das ich für überflüssig gehalten hab, aber Großbritannien muss sozusagen seinen Wirtschaftskurs, Cameron muss seinen Wirtschaftskurs neu überdenken, und ich bin ganz sicher, dass die Politik, die er eingeschlagen hat, dass die am Ende das Wachstum bremst, dass die Wachstumsverluste einbringt, dass es zu Steuerausfällen kommt und die brauchen einen dringenden Kurswechsel. Großbritannien muss endlich die Lehre ziehen aus der Finanzmarktkrise, nämlich eine Wirtschaftsstruktur aufzubauen, in dessen Mittelpunkt, der Mittelpunkt dann eben auch die Stärkung der industriellen Entwicklung steht.

    Kaess: Herr Hickel, Sie haben gesagt, das Urteil schlägt ein wie eine Bombe. Welche Auswirkungen auf die europäische Finanz- und Schuldenkrise wird das haben?

    Hickel: Ja, jetzt könnte man, müsste man eigentlich differenziert vorgehen, da es sich ja, sozusagen Großbritannien abgekoppelt hat vom Euro, bisher beim nicht dabei ist, könnte man sagen, es hat damit nichts zu tun, aber ich finde Ihre Frage sehr berechtigt, nämlich das zeigt insgesamt, dass wir in Europa, also jetzt auch in dem Land Großbritannien, das nicht zur Eurozone gehört, dass wir da ein großes Problem haben der Schuldenkrise, und das die Schuldenkrise bekämpft werden muss. Man muss natürlich jetzt sehen, dass beispielsweise für Großbritannien die Finanzierung auf den Kapitalmärkten teurer wird, das ist ja der Sinn dieses Urteils, dieses Downgradings. Der Sinn ist ja, dass am Ende sozusagen die Risiken des Landes höher eingeschätzt werden, damit die Staatsanleihen teurer werden, aber daraus folgt eigentlich - ich würde daraus ganz schlussfolgern, ähnlich wie gestern Gauck in seiner Europarede, der Bundespräsident gesagt hat, Großbritannien müsste eigentlich dieses Signal aufnehmen, zurückkommen in die Gemeinschaft und eine gemeinschaftliche Politik der Stärkung des europäischen Raums mit Großbritannien einfädeln beziehungsweise zusammen beginnen. Das ist eigentlich die Lehre am heutigen Tag aus dieser Aburteilung.

    Kaess: Herr Hickel, Großbritannien und Frankreich auch vielleicht, wenn der Vergleich hinkt, weil eben Großbritannien nicht Teil der Eurozone ist, aber Großbritannien und Frankreich führen eine völlig unterschiedliche Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wie ist zu erklären, dass das Ergebnis für die Finanzmärkte im Endeffekt das gleiche ist?

    Hickel: Ja, weil beide Modelle nicht erfolgreich sind, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen. Großbritannien, warum Großbritannien nicht erfolgreich ist mit dieser Austeritätspolitik, Einsparpolitik, mit dieser Kürzung in den Ausgaben, haben wir jetzt gerade schon besprochen. In Frankreich stehen die Probleme anders, da gibt es zurzeit kein absehbares Konzept, aus der Schuldenkrise vor allem über die Leitgröße des Wirtschaftswachstums rauszukommen, da gibt es kein Konzept, und insoweit ist am Ende die Einschätzung in der Tat, wie Sie sagen, der Ratingagenturen von Frankreich und Großbritannien ähnlich. Wir haben ja ähnliche Einschätzungen auch in Italien. Sicherlich wird jetzt in Italien auch der Ausgang der Wahl am Sonntag eine große Rolle spielen, nämlich in der Frage, in der zentralen Frage, inwieweit ist Italien bereit, seinen Beitrag zum Abbau, so wie Monti es versucht hat, der Schuldenkrise zu leisten, und insoweit ist es schon wichtig, dass die Politik jetzt die Führungsrolle hat, und so weit die Politik in den Ländern und auch im Euro-Land die Führungsrolle nicht übernimmt, wird es zu solchen Fehlentwicklungen, die dann immer wieder zu diesen externen Urteilen von Ratingagenturen führen, immer wieder kommen.

    Kaess: Ist im Vergleich zu diesen großen Ländern, über die wir jetzt gesprochen haben, der Fall Zypern und die Diskussion um Hilfen vergleichsweise klein?

    Hickel: Ja, ist vergleichsweise klein und ist anders gelagert. Zypern ist ja fast eine Provokation. Wir wissen, dass die Banken gerettet werden müssen, wir wissen auf der anderen Seite, dass Zypern eine Steueroase ist, dass das wirklich ein Land ist, in dem im Grunde genommen auch Geldwäsche stattfindet, und deshalb würde ich sagen, ganz klar konditionalisiert, die Bundesregierung tut es nicht so, die lehnt es ab, aber ich würde klipp und klar sagen, eine Zypern-Hilfe, die ja maßgeblich eine Hilfe der Banken in Zypern ist, muss gekoppelt werden, sozusagen eine Regulierung des Bankensystems und vor allem einen klaren Auftrag, Steueroasen, Steuerhinterziehungsmöglichkeiten abzubauen. Das wäre, und da bin ich ganz entschieden, das wäre auch in Deutschland der Bevölkerung nicht mehr zumutbar, dass wir ein Land retten, vergleichsweise klein, aber es wichtig ist, dass es gerettet wird, aber nicht unter der Bedingung, dass beispielsweise russisches Geld, was dort geparkt und gewaschen wird, dass wir das im Grunde genommen subventionieren. Da muss die europäische Politik, da muss Euro-Land auch mal zu einer konditionalen Politik bereit sein, nicht nur bei Griechenland immer nur einsparen, sondern sagen, Hilfen nur dann, wenn ihr wirklich grundlegend das Bankensystem reformiert und auf einigermaßen vernünftige europäische Verhältnisse bringt.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch auf Deutschland selbst, das besitzt immer noch das Spitzenrating. Ist das Ihrer Meinung nach ein stabiler Zustand?

    Hickel: Ich glaube, dass der Zustand sehr stabil ist. Es hat einen entscheidenden Grund. Das ist der Unterschied zu Großbritannien und zu Frankreich und all die anderen Beispiele, die wir diskutiert haben. Deutschland hat ja eine industriell sehr starke Struktur. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist sehr stark, das heißt also, das, was im Grunde genommen am Ende auch die Haushalte, die öffentlichen Haushalte bestimmt, nämlich die Steuereinnahmen vor allem auf der Basis einer ökonomischen Stärke, das ist gegeben, und insoweit werden wir von einer Rating-Aburteilung wohl nicht betroffen werden, aber wir haben eigene Hausaufgaben, und die eigene Hausaufgabe lautet, dass jetzt auch noch die Binnenwirtschaft gestärkt wird, aber wir haben in dem Sinne sozusagen eine viel bessere Ausgangssituation bezüglich der Entwicklung der öffentlichen Haushalte. Schließlich haben wir ja gestern die Mitteilung des Statistischen Bundesamts, dass im letzten Jahr vergleichsweise sogar der Überschuss, der erzeugt worden ist, etwas größer war. Wegen der ökonomischen Stärke sind wir nicht bedroht.

    Kaess: Sagt der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Danke für das Gespräch, Herr Hickel!

    Hickel: Schönen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.