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Cameron-Rede hat "wichtigen Anstoß geleistet"

Für Großbritannien und auch für die EU hätte ein Austritt Großbritanniens schwere Folgen, fürchtet der Politikwissenschaftler Wichard Woyke. David Cameron habe mit seiner Rede aber wichtige Themen für eine Reform der EU angesprochen.

Wichard Woyke im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.01.2013
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Wichard Woyke, Politikwissenschaftler an der Universität Münster. Guten Tag, Herr Woyke!

    Wichard Woyke: Guten Tag, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Woyke, ist Cameron der einzige ehrliche europäische Regierungschef?

    Woyke: Nein, das würde ich nicht so sagen, sondern Cameron ist ein Regierungschef, der unter ganz besonderem innenpolitischen Druck steht und deswegen die Europapolitik als eine Maßnahme nimmt, mit der er gleichzeitig zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, nämlich einmal seinen eigenen, wenn ich das Mal so sagen darf, radikal auf Austritt gebürsteten Tory-Flügel beruhigen kann und zum anderen, was ihm aber viel wichtiger erscheint, wenn man sich die Reden anschaut, dass die EU eine Reform vornehmen muss.

    Kaess: Da sprechen Sie die Reform an. Wenn jetzt schon einige Politiker sagen, Cameron hat insofern Recht, dass die Aufgabenverteilung zwischen Brüssel und den Mitgliedsländern überprüft werden muss, hat er da schon was in Bewegung gesetzt?

    Woyke: Nein, ich würde nicht sagen, dass das etwas Neues ist. Das haben wir ja seit dem Verfassungsprozess, der also von 2003 bis 2005 ging, als dieser Verfassungsentwurf abgelehnt worden war durch die negativen Voten in Frankreich und in den Niederlanden, da haben wir das ja auch schon überprüft. Und das ist ein ständiges Thema. Nur Cameron hat das jetzt noch mal sehr deutlich gemacht. Also das ist nichts Neues.

    Kaess: Aber hat er den Druck noch mal verschärft und glauben Sie, dass konkrete Schritte folgen werden?

    Woyke: Er hat natürlich den Druck verschärft, das ist vollkommen klar, denn aus den Einlassungen, die wir gerade von Ihrem Korrespondenten hörten, ging ja hervor, dass eigentlich alle in der EU den britischen Beitritt in der EU goutieren und Großbritannien zurecht in der EU weiterhin als Mitglied haben möchten, denn ohne Großbritannien wird die EU ganz sicherlich schwächer. Und so kommt es, dass mit dieser Grundsatzrede – und Cameron versucht, sich in eine Reihe zu stellen mit Churchill in Zürich 1946, Thatcher in Brügge und Tony Blair in Warschau. Das ist ihm meines Erachtens aber nicht ganz gelungen. Aber er hat ganz sicherlich mit dieser Rede dazu beigetragen, dass der Reformbedarf innerhalb der EU stärker in den nächsten Monaten diskutiert werden wird als bisher.

    Kaess: Auf der anderen Seite, Herr Woyke, muss man nicht sagen, die Befürchtung eines europäischen bevormundenden Zentralstaats ist völlig überzogen?

    Woyke: Das ist ganz sicherlich der Fall, denn schon heute nimmt ja Großbritannien in ganz verschiedenen Bereichen nicht teil am europäischen Integrationsprozess – ich erinnere nur an den Euro, ich denke an den Schengen-Raum oder an den Fiskalpakt oder auch an den Rettungsschirm. Also, von so zentral kann gar nicht die Rede sein, wie Cameron das gemacht hat. Das geht vor allen Dingen auf die Innenpolitik eben zurück. Aber er hat wichtige Themen meines Erachtens angesprochen, wenn er sagt, die EU muss wettbewerbsorientierter werden, sie muss flexibler werden, sie muss demokratischer werden, subsidiärer. Dieses Subsidiaritätsprinzip ist ja seit dem Maastrichter Vertrag drin. Aber man muss darüber weiter diskutieren. Und das beinhaltet ja auch, wie das Verhältnis von Nationalstaat, Mitgliedsstaat zu der EU als Ganzes gelöst wird.

    Kaess: David Cameron hat sich heute Vormittag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos noch einmal geäußert. Wir hören mal kurz rein, was er da gesagt hat.

    O-Ton David Cameron:

    Kaess: Er sagt im Grunde, Großbritannien will der EU nicht den Rücken kehren, sondern die EU eben wettbewerbsfähiger machen, wie Sie das auch gerade vorhin schon erklärt haben, und Großbritanniens Platz in Europa sichern. Versucht er da, die Gemüter noch mal ein bisschen zu kühlen?

    Woyke: Ich denke schon. Ob das Gemüterkühlen so ist, weiß ich nicht, aber eine Position klar zu machen, die er eigentlich vertritt, denn Cameron will ja nicht raus aus der Europäischen Union. Er sieht ja auch ganz klar die großen Vorteile, die Großbritannien innerhalb der EU hat. Aber er will eben, dass die EU reformiert wird und dass sie sozusagen neben dieser besseren Wettbewerbsfähigkeit eben auch bestimmte Entwicklungen vornimmt, die auch dazu führen – und das war ein Satz in der Rede von gestern, der sehr, sehr wichtig ist und der von den anderen ja auch gesehen wird -, dass die Bürger immer mehr zur Distanz auf diese EU gehen. Und das will er überwinden. Und ich denke, mit dieser Rede hat er einen wichtigen Anstoß dazu geleistet. Und nur wenn uns das gelingt, auf diesen fünf Gebieten, die er angestoßen hat, in ein Gespräch zu kommen, - und wir werden nicht in allen optimale Leistungen, optimale Lösungen finden, aber doch Verbesserungen in verschiedenen Bereichen finden -, dann wird auch Großbritannien ein wertvolles Mitglied in der Europäischen Union bleiben.

    Kaess: Herr Woyke, Sie haben gerade über die Vorteile für Großbritannien gesprochen. Wie schädlich wäre es denn für Großbritannien selbst, sollte es ausscheiden aus der EU?

    Woyke: Fischer sprach ja eben davon, dass es ein Desaster wäre. Großbritannien hat ja nur ein Viertel seines Exports mit den Commonwealth-Staaten. Das übrige, 48 Prozent, gehen allein in die Euroländer hinein. Das heißt also, wenn hier dieses unterbrochen würde und Großbritannien in die Rolle von Norwegen und von der Schweiz käme, die also ihre Exporte in die Europäische Union nicht alleine bestimmen können, sondern die von der EU bestimmt werden, ohne dass sie eine Mitsprache haben, wenn Großbritannien in solch eine Situation käme, wäre das für Großbritannien schädlich. Es wäre aber weiter schädlich für zukünftige Investitionen, denn darauf machte auch der britische Wirtschaftsverband aufmerksam, dass ja eben auch schon heute, angesichts dieser Ungewissheit, wie es mit Großbritannien weitergeht, eben schon eine große Vorsicht gemacht wird, ob man überhaupt mehr Investitionen in Großbritannien angesichts dieser Situation leisten kann.

    Kaess: Wie schlimm wäre es denn umgekehrt für die EU, würden die Briten ausscheiden?

    Woyke: Für die EU wäre das sicherlich ein großer Nachteil vor dem Hintergrund der internationalen Akteursqualität der Europäischen Union, denn da entfiele nicht nur ein Land mit 62 Millionen Einwohnern, sondern vor allen Dingen ein traditionell starkes außenpolitisches Land, das die Rolle der Europäischen Union in der internationalen Politik sicherlich verbessert. Und das wäre eine schlechte Situation für die EU.

    Kaess: ..., sagt der Politikwissenschaftler Wichard Woyke. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Woyke.

    Woyke: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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