Freitag, 19. April 2024

Archiv

Canaletto
Pinakothek holt Bellotto aus dem Schatten des Onkels

Hinter dem berühmten Künstlernamen Canaletto verbergen sich zwei Maler: Bernardo Bellotto und sein Onkel und Lehrer, Giovanni Antonio Canal. Auf den ersten Blick sind die Bilder der beiden kaum auseinanderzuhalten, wie eine Ausstellung in der Pinakothek in München zeigt. Auf den zweiten Blick aber offenbaren sich die mutigen Darstellungen Bellottos.

Von Julian Ignatowitsch | 18.10.2014
    Eine Besucherin betrachtet in München in der Alten Pinakothek in der Ausstellung «Canaletto. Bernardo Bellotto malt Europa» die Bilder "Das Schloss Nymphenburg von der Stadtseite" (l, München 1761) und "München von Osten" (r, 1761).
    Eine Besucherin betrachtet in München in der Alten Pinakothek in der Ausstellung "Canaletto. Bernardo Bellotto malt Europa" die Bilder "Das Schloss Nymphenburg von der Stadtseite" (l, München 1761) und "München von Osten" (r, 1761). (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    König August III. muss ein schwergewichtiger Mann gewesen sein. Zumindest, wenn man der Darstellung von Bernardo Bellotto, kurz Canaletto, glauben darf. Nicht, dass er ihn im Porträt gemalt hätte, oder in höfischer Szene. Nein. Canaletto war Vedutenmaler. Er braucht dafür nur ein kleines Detail auf seiner Stadtansicht; ein paar Zentimeter auf seinem mehr als zwei Meter langen und eineinhalb Meter hohen Bild, das den Dresdner Neumarkt um 1750 zeigt. Hinten ragt majestätisch die Frauenkirche empor, links erstrahlt imposant die Gemäldegalerie im Sonnenlicht und im Vordergrund, klein, aber doch im Zentrum der Aufmerksamkeit, fährt die königliche Edelkarosse vor - gezogen von sechs Schimmeln, ein Passant grüßt mit Verbeugung. Die Kutsche indes hat mächtig Schlagseite, hängt nach links über. Dort sitzt er, kaum sichtbar und doch so präsent, was seinen physischen Effekt anbelangt: der König höchstpersönlich, gleichzeitig Auftraggeber des Bildes.
    "Das ist schon mutig, dass ein Künstler in dieser Weise seine Auftraggeber karikaturartig ins Bild setzt, in kleinen versteckten Bildnissen. Es zeigt aber auch, dass wir uns im Zeitalter der Aufklärung befinden. Das heißt: Der Kult der absolutistischen Herrscher, was die Repräsentationsformen angeht, vielleicht nahmen die das selbst alles nicht mehr so ernst. Die merkten, das ist überholt und läuft sich tot, der ganze Prunk und Pomp", sagt Kurator Andreas Schumacher. Genauso viel wie über den Zeitgeist verrät dieses Detail aber auch über seinen Schöpfer: "Er arbeitet natürlich immer vor dem Hintergrund der Tradition der venezianischen Vedute. Aber seine Art der Blickführung, der gesamten Bildsprache, ist aus heutiger Sicht so fotografisch und innovativ, dass er sich ganz deutlich von den Alten Meistern und seinem Onkel absetzt."
    Ironische Kommentare
    In München will man Bellotto endgültig aus dem Schatten des Onkels hervorholen. Giovanni Antonio Canal, der Onkel, prägte die venezianische Vedutenmalerei des 18. Jahrhunderts entscheidend. Er nannte sich Canaletto, der kleine Canal, um sich seinerseits vom Malervater zu lösen. Der Onkel bildete den Neffen in seiner Werkstatt aus und genehmigte ihm früh, den gleichen Künstlernamen anzunehmen. Mehr als ein Vertrauensbeweis: Canaletto - das ist zu dieser Zeit ein Markenzeichen und steht für herausragende Qualität in der Vedutenmalerei.
    Auf den ersten Blick sind die Ansichten des Älteren und des Jüngeren, bei gleicher Motivwahl sowieso, kaum zu unterscheiden. Die Ausstellung zeigt Gemälde beider Künstler, auch nebeneinander, wie "Das Hafenbecken von San Marco am Himmelfahrtstag". Mit 17 Jahren malt Bellotto dieses Thema meisterhaft. Zum einen eifert er dem Onkel nach, zum anderen setzt er aber auch schon eigene Maßstäbe: Auf den zweiten Blick erscheint Bellottos Darstellung des regen Treibens der Gondolieri vor dem Markusplatz direkter, aufgrund des tieferen Standpunktes. Der junge Canaletto emanzipiert sich nach und nach vom Älteren: "Er sucht sich neue Blickwinkel und er sucht einen neuen Markt, einen neuen Auftraggeberkreis. Er malt nicht mehr nur für den englischen Adel und die Grand Tour-Touristen, sondern er macht sich auf an die Höfe Europas, in die großen Residenzstädte und wird als Hofmaler dort eine prägende Figur."
    Von all diesen Stationen versammelt die Ausstellung Zeugnisse: Venedig, Florenz, Verona, Rom, Dresden, Warschau, Wien. Mit all ihren bekannten Motiven, aber immer auch einer Spur von Alltag. Hier hängt eine Frau Wäsche auf, dort verrichtet ein Hund seine Notdurft. Bellotto verlässt sogar das klassische Sujet der Vedute, malt Landschaftsansichten, erfundene Capricci, Architekturfantasien und fertigt Radierungen an. Auch hierin liegt seine Innovation.
    Besonderes Augenmerk legt man in der Alten Pinakothek natürlich auf seine Veduten von München. 1761 flüchtet Bellotto vor dem Siebenjährigen Krieg und der Belagerung Dresdens an den Hof von Max III. Joseph. Er malt das Nymphenburger Schloss und eine Stadtansicht von Osten. Auch den bayerischen Kurfürsten selbst nimmt er einmal minutiös ins Bild. In einer reich verzierten Gondel neben seiner Gemahlin Maria Anna hat er Platz genommen - und guckt ganz griesgrämig. Ein weiterer ironischer Kommentar Canalettos. Auch die Könige und Fürsten sind eben letztlich - und gerade vor der Mächtigkeit ihrer Bauwerke - nur: Menschen.