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Cannabis als Arzneimittel
Stadt München prüft Anbau eigener Pflanzen

Cannabis auf Rezept zu kaufen, ist nicht einfach: In vielen Apotheken gibt es Lieferengpässe. Um Patienten im Raum München eine bessere Versorgung zu gewährleisten, denkt die Stadt darüber nach, ihr eigenes Gras anzubauen. Dafür braucht es aber eine Mehrheit im Stadtrat - und grünes Licht von Juristen.

Von Susanne Lettenbauer | 21.01.2019
    Eine Frau dreht sich einen Joint.
    Einige Patienten, die zum Beispiel dauerhaft starke Schmerzen haben, bekommen Cannabis seit März 2017 auf Rezept verschrieben. (Thought Catalog on Unsplash)
    Noch liegt Schnee auf den Feldern der landwirtschaftlichen Güter der Stadt München. Ruhe für die Pflanzen, Zeit für die Planung der neuen Erntesaison. Die gängige Anbaumethode der Landeshauptstadt – klassische Dreifelderwirtschaft. Gewächshäuser inklusive.
    Ginge es nach Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, könnten hier unter Glasdach bald verschiedene Sorten der bis zu vier Meter hohen Cannabispflanzen mit den typischen gezackten Blättern gezogen werden. Keimen unter Folie, kontrollierte Aufzucht bei konstanten Temperaturen von 24 Grad, danach das Trocknen der bis zu 500 Gramm Blüten pro Pflanze - alles kein Problem:
    Lieferengpässe bei Apotheken
    "Der Grundgedanke ist einfach, dass es hier darum geht, Cannabis dazu zu benutzen, Menschen zu helfen, die tatsächlich eine schwere Krankheitssituation haben."
    Anlass für den Vorstoß ist eine Petition des Deutschen Hanfverbandes DHV. Darin fordert der Münchner Ortsverband "einen Runden Tisch zum Thema Versorgungssicherheit von Cannabispatienten auf der kommunalen Ebene". Vergangene Woche übergab der Hanfverband die Unterschriftenliste an Oberbürgermeister Reiter:
    "Es waren natürlich auch Betroffene bei der Delegation und mit denen konnte ich sprechen und habe festgestellt, es ist eigentlich schon ein großes Problem für die Menschen, die in der Apotheke die Medizin, die sie brauchen, nicht wie alle anderen holen können. Sondern da heißt es eben, die Sorte Cannabis ist aus."
    Anbau verspricht enorme Gewinnspannen
    Nur drei bis sechs der 32 in Deutschland zugelassenen Sorten seien in den Apotheken erhältlich, wenn überhaupt, erklären die Betroffenen in München. Immer wieder komme es zu Lieferengpässen bei den sieben Anbietern aus Kanada und Holland. Alexandra Scheiderer, Mit-Antragstellerin der Petition und anerkannte Cannabispatientin:
    "Ich werde von Arzt zu Arzt geschickt, ich bekomme Sachen zu hören, ich solle das auf dem Balkon anbauen, das Gras oder solle es mir illegal beschaffen."
    Seit der Legalisierung 2017 soll die eigens eingerichtete Cannabis-Agentur am Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte den geplanten Cannabis-Anbau in Deutschland kontrollieren und Anbaulizenzen vergeben. Etliche Firmen warten auf die begehrte Anbaulizenz. Denn die Gewinnspanne ist enorm: Ein Gramm Cannabis kostet in der Apotheke rund 25 Euro, auf dem Schwarzmarkt 7-12 Euro, im Anbau aber nur etwa einen Euro. Ein kommunaler Anbieter wirkt da wie unliebsame Konkurrenz.
    Politischer Kurswechsel bei der Stadt München
    Um Gewinnmaximierung ginge es der Stadt angesichts der überschaubaren, dreistelligen Zahl von betroffenen Patienten in München aber nicht, beschwichtigt OB Reiter. Und wirbt mit Zuverlässigkeit.
    "Wenn wir das jetzt als Stadt, also als öffentliche Hand tun, dann kann ich auch die Bedenken gegenüber Gewerblichen ein wenig entkräften, weil wir ziemlich sicherstellen können, dass wir den Transfer von den Stadtgütern zu den Apotheken ziemlich genau steuern können, dass der Transfer auch gesichert ist. Also ich habe da keine Bedenken. Die Frage wird sein, ob wir das rechtlich tatsächlich dürfen und ob wir die entsprechende Genehmigung bekommen."
    Ein ähnliches Begehren des Hanfverbandes im vergangenen Jahr hatte noch zu einer deutlichen Absage der Stadtverwaltung geführt. OB Reiter zum plötzlichen Kurswechsel:
    "Politik sollte zumindest ab und zu darüber nachdenken, ob man nicht Rechtslagen, die seit vielen Jahren gelten, auch mal verändert, insbesondere, wenn es einem einleuchtet. Und deswegen ist es, glaube ich, ganz nachvollziehbar, dass die Verwaltung gesagt hat: Nein, können wir nicht machen. Deswegen kann der Politiker und Oberbürgermeister Dieter Reiter aber sagen: Ich will aber geprüft haben, warum wir es nicht machen und ob wir, wenn wir es entsprechend beantragen, dann doch machen dürften."
    Mehrheit im Stadtrat gilt als wahrscheinlich
    Im März wird das Thema im Stadtrat behandelt. Dann muss die Stadt München bei der Cannabisagentur des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Antrag für das Modellprojekt stellen. Bis dahin prüfen die Behörden die Machbarkeit eines solchen Projektes. Bis auf die CSU-Stadtratsfraktion hätten alle Parteien schon Unterstützung signalisiert, zeigt sich Michael Greif, Sprecher des Ortsverbandes München des Deutschen Hanfverbandes, optimistisch:
    "Also wir haben ja mittlerweile positive Reaktionen von den Grünen, die haben einen eigenen Antrag gestellt, von der SPD, die haben eine eigene Anfrage gestellt, zusätzlich noch von den Linken und der FDP, und wenn die alle zustimmen würden, hätten wir schon die Mehrheit im Stadtrat sicher."
    Für die Münchner Cannabispatienten geht das Warten aber erstmal weiter: Die Cannabisagentur des Bundes geht davon aus, dass frühestens im kommenden Jahr Cannabis aus Deutschland zur Verfügung stehen wird.