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Cannabis in Kanada
"Ich denke mal, es ist nicht legal, was wir hier machen"

Laut UNO kifft jeder 30. Erdenbürger. Und mehrere Länder bereiten eine Cannabis-Legalisierung vor. Auch in Kanada könnte es Mitte 2018 so weit sein. Doch schon jetzt boomen dort Cannabis-Verkaufsstellen und Tech-Firmen, die großes Geschäft wittern.

Von Kajetan Dyrlich | 02.09.2017
    Cannabis-Verkaufsstelle in Toronto, 2017
    Mitte 2018 könnte Cannabis in Kanada legalisiert sein. Verkäufer gibt es jetzt schon, viele geben ihren Läden eine medizinische Anmutung. (Deutschlandradio / Kajetan Dyrlich)
    Chinatown in Toronto. Menschenmassen quetschen sich durch die Straßen. Es riecht nach asiatischem Essen. Und alle paar Minuten steigt einem der markante Geruch von Marihuana in die Nase. Einen Joint zu rauchen, ist zunehmend beliebt in Kanada.
    Verkauft wird die Droge vor allem in so genannten "Dispensaries". In illegalen Apotheken, die in den letzten Monaten wie Pilze aus dem Boden sprossen. Hunderte gibt es von ihnen allein in Toronto. Besonders hier in Chinatown – rund um den Kensington Market.
    Marihuana-Verkäufer und -Verfechter
    Mit den Betreibern ins Gespräch zu kommen, ist nicht einfach. Schließlich willigt der Leiter einer Dispensary doch einem Interview zu. "Earth Souljah" – wie er sich nennt – hat heute offensichtlich schon einige Joints geraucht.
    "Die Wahrheit ist, wir sind nicht nur eine Dispensary. Wir sind Marihuana-Verfechter und -Aktivisten. Wir riskieren unsere eigene Freiheit und unser Leben dafür, dass Menschen eine sichere und bequeme Möglichkeit haben, um Marihuana zu kaufen."
    Heute zu- und morgen anderswo aufgemacht
    Immer wieder finden in den Dispensaries Razzien durch die Polizei statt. Alle zwei Wochen ist nicht ungewöhnlich. Dann werden Drogen und Geld beschlagnahmt, der Laden zugemacht. Und meist am nächsten Tag an anderer Stelle wieder aufgemacht. Wie oft die Polizei in seiner Dispensary schon vorbeischaute, will Earth Souljah nicht verraten.
    "Marihuana ist in Kanada noch nicht legalisiert. Also ich denke mal, es ist nicht legal, was wir hier machen. Aber das ist der einzige Weg, wie es legalisiert wird. Wenn man in die Vergangenheit schaut, war es illegal für Schwarze, in einem Bus in den ersten Reihen zu sitzen. Es brauchte erst einige, die sich widersetzt und das Gesetz gebrochen haben. Und für ihre Gerechtigkeit gekämpft."
    56 lizenzierte Produzenten Cannabis-Medizinprodukte
    Ein Jahr vor der geplanten Legalisierung von Marihuana in Kanada brummt bereits jetzt das Geschäft. Vor allem mit medizinischen Erzeugnissen wird Kasse gemacht. 56 lizensierte Produzenten gibt es in Kanada bereits – und die Zahl dürfte weiterhin stark steigen. Beobachter sprechen mit Bezug auf den Gold Rush von einem Green Rush.
    Matei Olaru, Gründer eines Start-up für Cannabis, Kanada 2017
    Matei Olaru will eine Art "Amazon für Cannabis" aufbauen, bevor andere den kanadischen Markt erschließen. (Deutschlandradio / Kajetan Dyrlich)
    Und auch immer mehr Tech-Firmen investieren in den Markt, und machen Geld mit dem Gras - ohne auch nur eine einzige Pflanze anzufassen.
    Goldgräberstimmung unter Startups
    Eines dieser jungen Startups ist Lift. Mitten in Toronto haben sich die Gründer einen schicken Arbeitsraum eingerichtet. Lift wächst und wächst: Noch im Januar hatten sechs Mitarbeiter für das Tech-Startup gearbeitet. Jetzt sind es bereits 23. Chef von Lift ist Matei Olaru. Der 27-jährige studierte Jurist wirkt smart – und so gar nicht wie ein Marihuana-Junkie:
    "Es ist eine dieser seltenen, einmaligen Gelegenheiten, dass etwas, was vorher verboten war, nun plötzlich legal wird. Man kann es mit der Legalisierung von Alkohol vergleichen. Firmen, die früh ins Business kamen, gehören heute sehr wahrscheinlich zu einem der größten Alkohol-Konzernen. Und ich denke, das Gleiche passiert jetzt gerade mit Cannabis."
    Unternehmer plant eine Art "Amazon für Cannabis"
    Matei Olarus Vision ist es, Lift zu so etwas wie dem "Amazon für Cannabis" auszubauen. Bisher verdiente das Unternehmen vor allem Geld durch Werbung und durch das Sammeln von User-Daten. Doch sobald Marihuana in Kanada legalisiert ist, könnte seine Firma noch viel mehr vom "Marihuana-Boom" profitieren als die eigentlichen Produzenten, meint Matei Olaru:
    "Wenn man ein Rohprodukt herstellt, wird es immer Kostendruck geben, vor allem dann, wenn mehr Wettbewerber ins Spiel kommen. Man kann dann nur mit dem Preis konkurrieren. Aber wenn man es schafft etwas hinzuzufügen, eine Marke, dann wird das Produkt plötzlich wertvoller. Und genau diesen Weg gehen wir."
    Eine Milliarde Steuer-Einnahmen vorstellbar
    Auch der Staat könnte nach der Legalisierung von Marihuana zu den Gewinnern zählen. Rund eine Milliarde kanadische Dollar könnten laut Schätzungen durch Steuern eingenommen werden.
    Alan Young, Rechtsprofessor an der Osgoode Hall Law School in Toronto wird beim Thema Marihuana besonders emotional. Seit über 20 Jahren hat er sich mit der Rechtslage rund um Marihuana beschäftigt:
    "Als ich vor über 20 Jahren angefangen habe in dem Bereich zu arbeiten, haben mich die Menschen gefragt: Glaubst du, dass Marihuana je legalisiert werden könnte? Und ich sagte: Natürlich! - wenn das Geld stimmt. Es wird rein gar nichts mit Politik oder Prinzipien zu tun haben. Sobald die Regierung realisiert, dass sie auf einem gigantischen Schatz sitzt, wird sie Marihuana ganz anders betrachten. Und ehrlich gesagt, das ist genau das, was jetzt in Kanada passiert."
    Kanadische Firmen investieren schon in Deutschland
    Erst waren es vereinzelte Staaten in den USA, nun folgt Kanada mit der Legalisierung. Man wolle den Anschluss nicht verpassen, so Young:
    "Tatsächlich investieren kanadische Firmen bereits jetzt auch in Deutschland. Beispielsweise übernahm der kanadische Marihuana-Produzent Aurora Cannabis erst vor kurzem den Berliner Arzneimittelhersteller Pedanios GmbH. Ein strategisches Investment und ein mögliches Eintrittssticket in die Europäische Union. Kaum einer zweifelt daran, dass es auch in Deutschland bald so weit sein könnte und Cannabis legalisiert werden wird. Doch hinter vorgehaltener Hand hofft man auch, dass Länder wie Deutschland sich weiterhin so zögerlich in Sachen Legalisierung verhalten wie bisher - und damit den Anschluss verpassen. Kanada könnte so zum weltweiten Zentrum des Cannabis-Booms werden."