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Carolina Setterwall: „Betreff: Falls ich sterbe“
Nicht hier, nicht dort

Das autofiktionale Buch der schwedischen Autorin Carolina Setterwall erzählt von einer intensiven Liebe und dem Schock, als eine junge Mutter ihren Partner eines Morgens tot im Bett findet. Eine literarische Aufarbeitung des Moments, wenn das Unfassbare eintritt.

Von Kolja Unger |
Carolina Setterwall: "Betreff: Falls ich sterbe" Zu sehen sind die Autorin und das Buchcover
Die Autorin Carolina Setterwall veröffentlicht mit "Betreff: Falls ich sterbe" einen Roman über den Tod eines jungen Vaters. (Cover: Verlag Kiepenheuer & Witsch / Foto: Linnea Jonasson Bernholm)
Aksel ist ein komischer Kauz, Carolina seit fünf Jahren mit ihm zusammen. Aber gerade ist sie überlastet mit dem neugeborenen Ivan und damit, wie sich ihre Beziehung verändert - oder eben nicht -, seit sie Eltern geworden sind. Sie öffnet eine beiläufig von Aksel verfasste E-Mail. Betreff: Falls ich sterbe.
"Gut zu wissen, falls ich mal den Löffel abgebe: Mein Computerpasswort ist: ivan2014. Eine ausführliche Liste befindet sich im Dokument 'Falls ich sterbe.rtf'. Hoffen wir das Beste! LG Aksel"
Was sich erst wie ein Beleg für sein ungewöhnliches und bisweilen eigenbrötlerisches Kommunikationsverhalten liest, bekommt fünf Monate und fünfzehn Seiten später eine makabre Note. Carolina wacht morgens auf und geht mit dem kleinen Ivan auf dem Arm ins Schlafzimmer nebenan zu Aksels Bett.
"Ivan will gerade loskrabbeln, als ich sehe, dass etwas nicht stimmt. Du liegst auf eine Weise da, wie du es sonst nie tust, wenn du schläfst. Verdreht und krumm, in vorgekippter Seitenlage, dein Gesicht ins Kissen gedrückt. Irgendetwas ist mit deiner Hautfarbe. Sie ist heller als sonst. Leblos. Ich wage kaum, deinen Knöchel zu berühren, der am Fußende, wo ich stehe, unter der Decke herausragt. Ich tue es trotzdem. Er ist kühl. Hell. Stumm an meinen Fingern. Es fließt kein Blut darin. Du bist nicht mehr da. Du bist tot."

Das Gefühl von Stillstand

In diesem autofiktiven Roman "Betreff: Falls ich sterbe" nimmt uns Carolina Setterwall abwechselnd mit in eine Liebesbeziehung, die ihr nicht schnell genug anläuft und in das Gefühl von Stillstand, in den sie nach dem abrupten Ende dieser durch Aksels Tod verfällt. Die Phasen der Beziehung und die der Trauer, Bindung und Trauma, Verlustängste und Verlust entwickeln sich auf zwei parallelen Zeitachsen. Adressiert an ein gestorbenes Du, das auf diese Weise sehr lebendig wird.
"Es war so spät, dass es schon dunkel war. Wir waren nicht nüchtern. Saßen zusammen mit Freunden auf einer Wiese und plötzlich bist du aufgestanden. 'Wir sind zusammen, Caro und ich', hast du entschlossen deklariert. Jemand lachte. 'Ja? Erzähl was Neues.' Dann hast du dich wieder hingesetzt. Mich geküsst. Mich deine Freundin genannt. Bist still geworden, hast über was nachgedacht. Dann hinzugefügt: Aber Weihnachten möchte ich bei meinen Eltern feiern."
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Sich selbst von außen sehen

Da waren sie schon einige Monate zusammen: Aksel, der bremst, und Carolina, die aufs Gas drückt. Sie möchte sobald wie möglich zusammenziehen, Katze, Kind und mehr Verbindlichkeit von dem Mann, der sich immer weiter zurückzieht in seine Arbeit.
Schonungslos geht Carolina rückblickend mit sich ins Gericht, ihn nicht in seinen Bedürfnissen gesehen und damit zu seinem Tod beigetragen zu haben. Wir erleben sie, sowohl im fiebrigen Hadern mit der Beziehung als auch in völliger Apathie und Leere:
"Ich sah mich selbst von außen, und das, was ich sah, erfüllte mich mit Scham und Selbstverachtung. Ein ausgehöhlter Körper. Ein graues und viereckiges Gesicht mit dicken Tränensäcken, eine nackte Frau unter der Dusche, die den Namen von jemandem flüstert, der nicht da ist."
Setterwalls ausdrucksstarker Blick nach Innen ermöglicht ihr eine erst aktive Protagonistin, der ihr Leben von einem Moment auf den anderen nur noch zu passieren scheint. Tage, Wochen Monate, die nicht vergehen wollen. Die immer gleichen Gedanken, Sätze wie Kreise, ein Lamento aus Schuld, Depression und Kraftlosigkeit.

Erzählerische Gleichzeitigkeit

Setterwalls TSzenen, Figuren auch ihre Sprache wirken nicht besonders kunstfertig, die dahinterliegenden Gefühle dafür so echt, dass sie einen in ihren Bann ziehen. In einem Moment verhandelt sie mit Aksel, ob sie in eine andere Wohnung ziehen wollen.
"Wer weiß, habe ich gesagt, vielleicht sitzen wir in ein paar Jahren in unserer großen Wohnung und lachen über diese hektische Zeit in unserem Leben. Vielleicht, hast du geantwortet, aber du klangst etwas resigniert. Wirktest zögerlich. Das war ich auch. Das bin ich auch. Ich sollte jetzt wirklich mit dem Packen anfangen." Und der nächste Satz schon lautet: "Übermorgen wirst du begraben werden."
Diese Gleichzeitigkeit macht es unmöglich, nur der Beziehungsgeschichte oder nur der Trauergeschichte zu folgen. Keine der beiden existiert ohne die andere. Meint man kurz im Hier und Jetzt angekommen zu sein, wird man sofort in die andere Zeit gerissen. Und genau darin liegt die performative Kraft des Buches: In den nervösen Sprüngen entsteht dieses Gefühl von Ohnmacht, sein Leben lang nicht mehr hinwegzukommen, über ein Leben, das nicht mehr ist. Gleichzeitig, und das ist besonders lohnend zu lesen, geht es irgendwie immer weiter.
Carolina Setterwall: "Betreff: Falls ich sterbe"
Aus dem Schwedischen übersetzt von Susanne Dahmann.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln. 480 Seiten, 22 Euro.