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Carstensen: Die Bahn mauert und wirft Nebelkerzen

Christian Carstensen, Mitglied im Verkehrsausschuss, hat seinen Unmut über das Verhalten von Vertretern der Deutschen Bahn geäußert. Auf Nachfragen habe man nicht richtig geantwortert. Die Vorfälle zeigten aber, dass es primär darum gehen müsse, wie das Unternehmen strukturiert sei. Die massenhafte Ausspitzelung von Mitarbeitern werfe die Frage auf, wie bei der Deutschen Bahn mit Recht und Gesetz umgegangen werde, sagte der SPD-Politiker.

Christian Carstensen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.02.2009
    Tobias Armbrüster: Die Führung der Deutschen Bahn steht seit Wochen in der Kritik. Sie soll massenhaft Mitarbeiter ausspioniert haben. Wie der Konzern selbst einräumt, wurde dabei möglicherweise gegen Gesetze verstoßen. Die Bahn ist nach wie vor ein Staatsunternehmen; sie ist deshalb dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort schuldig. Gestern hat das Unternehmen dem Verkehrsausschuss einen Untersuchungsbericht vorgelegt. Heute hat sich der Ausschuss damit befasst.
    Mitgehört hat Christian Carstensen. Er sitzt für die SPD im Verkehrsausschuss. Guten Tag, Herr Carstensen.

    Christian Carstensen: Guten Tag!

    Armbrüster: Was ist Ihr Eindruck bislang? Wie hat sich die Bahn hier im Ausschuss am Vormittag präsentiert?

    Carstensen: Es ist ja so, dass die Beratungen und die Befragungen noch laufen. Wir haben im Prinzip ja gerade erst angefangen. Bisher muss man leider feststellen, dass die Bahn mauert, versucht, Nebelkerzen zu werfen, und keine Frage, die auf Grundlage ihres eigenen Zwischenberichtes gestellt wurde, richtig beantwortet hat.

    Armbrüster: Welche Fragen sind es denn genau, die Sie gerne noch beantwortet haben möchten?

    Carstensen: Wir haben ja schon vor einiger Zeit einen Fragenkatalog mit 119 Fragen eingereicht. In der Zwischenzeit ist viel passiert. In der Zwischenzeit gibt es auch den Zwischenbericht. Dieser Fragenkatalog ist uns heute Morgen per Tischvorlage beantwortet worden. Zumindest hat es den Versuch von Antworten gegeben. Und jede Nachfrage, die es daraufhin gibt, wie sind sie zu dieser, von ihnen selbst formulierten Erkenntnis gekommen, wer hat das Anwaltsbüro beauftragt, von dem sie selber uns in ihrem Zwischenbericht in Kenntnis setzen, und vieles mehr, all das wird uns immer nicht beantwortet und es wird darauf hingewiesen, das sei noch laufendes Verfahren, so dass der Unmut nach der ersten guten Stunde der Runde des Verkehrsausschusses schon wieder sehr groß ist.

    Armbrüster: Welches Druckmittel gegen die Bahn haben sie denn da als Mitglieder im Verkehrsausschuss überhaupt in der Hand?

    Carstensen: Formal ist es so, dass der Vorstand natürlich dem Aufsichtsrat verpflichtet ist. Der tagt in der nächsten Woche. Aber natürlich muss allen Beteiligten klar sein, dass man dem Verkehrsausschuss und damit dem Deutschen Bundestag Rede und Antwort zu stehen hat. Schließlich vertreten wir das gesamte Volk und damit auch den Besitzer der DB AG und es gibt ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, der Beschäftigten, aber auch aller Menschen in diesem Land zu erfahren, wie die DB AG denn da mit Recht und Gesetz umgegangen ist.

    Armbrüster: Nun ist es gerade auch im Bericht von Melanie Hinter angeklungen: Josef Bähr, der Leiter der Konzernrevision bei der Deutschen Bahn, war nicht dabei, ist auch heute nicht dabei, weil er beurlaubt ist. Hätten Sie zum Beispiel eine Möglichkeit, den noch mal vorzuladen?

    Carstensen: Herr Bähr hat sich nun – so wurde uns berichtet – auf eigenen Wunsch beurlauben lassen, interessanterweise genau bis zum Abschluss der Aufklärungsversuche. So ist die Formulierung von Herrn Wiesholl gewesen. Natürlich wäre es sehr hilfreich, denjenigen, der Leiter der Konzernrevision war, die in diesem Zwischenbericht praktisch die alleinige Verantwortung übernehmen muss, zu hören. Wir werden versuchen, ihn einzuladen. Das wird, muss man ehrlicherweise sagen, natürlich schwierig, weil er im Moment ja nicht als Bahnmitarbeiter dort sprechen kann, aber wir werden es versuchen.

    Armbrüster: Es dreht sich ja bislang alles vor allem um die Figur von Hartmut Mehdorn und um die oberste Führungsspitze bei der Bahn. Aber muss man sich nicht eigentlich fragen, was in der Unternehmenskultur in diesem Unternehmen falsch läuft, dass ein derartiges massenhaftes Ausspähen von Mitarbeitern jahrelang unbemerkt blieb?

    Carstensen: Das ist aus meiner Sicht genau der Punkt. Deswegen ist die Frage, ob jemand jetzt zurücktreten muss, noch gar nicht die entscheidende. Im Moment sind wir an dem Punkt, wo wir klären müssen, wie kann das in der Struktur der DB AG passieren, dass solche Fälle auftreten, dass derart massenhaft Mitarbeiter bespitzelt werden und dass auch – auch das haben wir dem Zwischenbericht entnommen – manche Berichte, die man dadurch dann erhalten hat, gar nicht mehr genutzt wurden. Die lagen dann herum, wurden nicht weiter verfolgt, andere hatten gar kein Ergebnis, es gab überhaupt keine Verdachtsmomente. All das müssen wir hinterfragen. Welche Struktur ist da bei der DB AG verantwortlich, dass so etwas passieren konnte.

    Armbrüster: Heißt das, wir konzentrieren uns vielleicht alle etwas zu sehr auf die Führungsspitze bei der Bahn?

    Carstensen: Aus meiner Sicht ist es so: Wir müssen beides tun. Wir müssen erst mal die Strukturen aufklären und dann müssen wir natürlich auch wissen, wer dafür verantwortlich ist.

    Armbrüster: Es wird nun gemunkelt, dass Bahnchef Mehdorn sowieso nach der kommenden Bundestagswahl ausgewechselt werden soll. Erleben wir dieses ganze Hin und Her jetzt eigentlich nur deshalb, weil sich die Politiker in Berlin nicht entscheiden können oder entscheiden wollen?

    Carstensen: Nein. Wir erleben dieses, wie Sie beschreiben, Hin und Her deswegen, weil wir lernen, dass bei der DB AG Recht und Gesetz offenbar missachtet wurden, und das ist ein Vorgang, den wir als Verkehrspolitiker natürlich aufklären müssen, und das ist unsere erste Aufgabe.

    Armbrüster: Hartmut Mehdorn wurde vor zehn Jahren vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Amt gebracht. Hat er den Rückhalt der SPD verloren?

    Carstensen: Ich glaube, man muss sehen, wir haben hier mit einem Vorgang zu tun, der so ungeheuerlich ist, dass es nicht darum gehen kann, jetzt irgendjemandem hier Rückhalt zu gewähren, ohne Fragen zu stellen. Insofern ist ganz klar: Niemand in der DB AG, weder der Vorstandsvorsitzende noch andere Verantwortliche, können damit rechnen, dass der Verkehrsausschuss oder gar die SPD-Fraktion solche Gesetzesverstöße, wie sie hier offenbar werden, irgendwie duldet und einen Schutzmantel über irgendjemanden ausbreitet.

    Armbrüster: Aber wie viel Zeit geben Sie Herrn Mehdorn noch?

    Carstensen: Ich gebe der ganzen DB AG nicht mehr viel Zeit, um den Vorgang aufzuklären, und wir werden ja auch heute noch weiter mit der Bahn reden. Der Ausschuss ist ja jetzt gerade dabei. Wir werden möglicherweise uns noch in Kürze wieder zu einem weiteren Termin treffen. Zumindest wäre das meine Vorstellung und mein Wunsch, dass man sich vielleicht auch im Rahmen einer Sondersitzung noch mal zusätzlich Zeit nimmt, und wir brauchen schnell Ergebnisse – nicht nur einen Zwischenbericht. Nächste Woche tagt der Aufsichtsrat und ich hoffe, dass da wir schon wieder einen Schritt weiter sind.

    Armbrüster: Wird der Ausschuss dann auch Herrn Mehdorn vernehmen?

    Carstensen: Wir sind ja kein Untersuchungsausschuss. Wir können niemanden vernehmen. Wir können den einen oder anderen einladen. Ich wäre genauso wie die gesamte SPD-Fraktion sehr daran interessiert, Herrn Mehdorn einzuladen, und gehe dann davon aus, dass er in seiner Verantwortung auch weiß, dass er uns dann auch Rede und Antwort zu stehen hat.

    Armbrüster: Sie sind jetzt, Herr Carstensen, für uns aus der Sitzung rausgekommen. Wie geht es jetzt weiter?

    Carstensen: Wir haben erst mal über Formalien sprechen müssen, die durchaus nicht immer ganz einfach sind, wenn es um die DB AG geht. Im Moment sind gerade alle Fraktionen dabei, ihre Eingangsfragen zu stellen, und so werden wir jeden einzelnen Block dieser 43 Fälle und die Gesamtstruktur ansprechen. Neben den Vertretern der Bahn ist auch Herr Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte, dabei und so werden wir versuchen, uns ein Gesamtbild zu machen. Das kann aber noch eine Weile dauern.

    Armbrüster: Wir halten sie hier im Deutschlandfunk natürlich weiter auf dem Laufenden. Christian Carstensen war das, das SPD-Mitglied im Verkehrsausschuss. Vielen Dank, Herr Carstensen, und auf Wiederhören nach Berlin.

    Carstensen: Ich danke Ihnen.