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Castellanos Moya: "Der Traum von Rückkehr"
Geschichte eines Scheiternden

Horacio Castellanos Moya, 1957 in Tegucicalpa geboren, hat mit dem Roman "Der Traum von Rückkehr" das schonungslose Porträt seiner Generation entworfen, die in den 1980er-Jahren Diktatur und Gewaltherrschaft in El Salvador zu bekämpfen versuchte. Der Protagonist Erasmo Aragón ist der gequälte Prototyp dieser Generation. Die Hoffnung auf einen Neuanfang aber zerbricht.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 30.05.2016
    Horacio Castellanos Moya, Schriftsteller aus El Salvador
    Horacio Castellanos Moya, Schriftsteller aus El Salvador (dpa / picture alliance / Susana Gonzalez)
    Horacio Castellanos Moya: "Der Roman "Der Traum von Rückkehr" bezieht sich auf einen bestimmten historischen Kontext. Er spielt 1991 und nimmt über den Protagonisten, seine Krise und seinen Traum Bezug auf die Illusionen und den Traum einer Generation, die während des Bürgerkriegs im Exil lebte und gegen Ende des Kriegs von Rückkehr träumte, um einen Beitrag zum Aufbau der Demokratie zu leisten. Der Protagonist vereint in seiner Person die Erfahrungen einer Generation, die in einen Krieg zog, an dem er nicht teilnahm, der jedoch am Ende des Kriegs sofort beschließt, zurückzukehren."
    In diesen Worten skizziert Horacio Castellanos Moya den historischen Kontext des Romans und seine schillernde Hauptfigur, den Journalisten Erasmo Aragón. Dieser grotesk überzeichnete Anti-Held wird von Ängsten geplagt, gerät leicht in Panik, greift häufig zum Alkohol und muss sich widerwillig eingestehen, dass er ein Feigling ist, was ihn jedoch nicht hindert, von einem verheißungsvollen Neuanfang in El Salvador zu träumen, von einer Art persönlicher und kollektiver Stunde null.
    Horacio Castelanos Moya: "Die Romanfigur drängte sich mir anfangs über ihre Stimme auf, wie in einigen, doch längst nicht in all meinen Romanen. Ich bin dieser Stimme nachgegangen und stellte fest, dass mir der Ton gefällt, diese verschachtelte Prosa über mentale Kreisbewegungen und einen Protagonisten, der sich selbst zerstört."
    Die Aufarbeitung einer Kindheit, die von Gewalterfahrungen geprägt wurde, die Heilung körperlicher Leiden und hartnäckiger Verspannungen erhofft sich Erasmo Aragón von einer Hypnosetherapie bei Don Chente, der wie er im mexikanischen Exil lebt, weil er einen Guerillero behandelte. Die Hypnosebehandlung ist kostenlos, weil der Journalist auf Empfehlung eines gemeinsamen Freundes in die Praxis dieses Arztes kam, der mit alternativen Heilmethoden – Akupunktur, Homöopathie, Hypnose - vertraut ist.
    Horacio Castellanos Moya: "In der Hypnose gehen ein paar Schubladen seiner dunklen Seite auf. Wenn sie sich auftun, erschrickt er jedes Mal und zweifelt an einem fundamentalen Aspekt des Menschen und zwar an seiner Erinnerung. Er fragt sich, habe ich das tatsächlich erlebt oder hat es mir meine Großmutter erzählt? Das ist natürlich ein äußerst destruktiver Aspekt. Das Erinnern macht doch eine Person aus. Er gerät ins Schwanken, seine Erinnerung ist bruchstückhaft, er selbst droht zu zerbrechen."
    Auf die Hypnosetherapie lässt sich der Journalist nur halbherzig ein, unter anderem auch deshalb, weil ihn das Hier und Jetzt fordert, die bevorstehende Rückkehr nach San Salvador und die Trennung von seiner Frau Eva und seiner Tochter Evita. Als Eva ihm gesteht, dass sie eine Affäre mit einem Schauspieler namens Antolin hatte, gebärdet er sich wie ein rachsüchtiger Macho und sucht Unterstützung bei Mister Rábit, einer zwielichtigen Gestalt, die als Waffenschieber für die Guerilla tätig ist. Erasmo Aragón ist zu Tode erschrocken, als er ihm mitteilt, er hätte den Schauspieler umgelegt und heilfroh, als sich das Ganze als makabrer Scherz entpuppt.
    Horacio Castellanos Moya: "Der Machismo des Protagonisten ist nichts Ungewöhnliches. Es ist der Machismo von El Salvador, von Lateinamerika. Sein Verhalten hat nichts Ungewöhnliches. Wenn er ein Problem hat, egal ob in der Liebe, der Politik oder der Familie, macht er das mit sich aus."
    Wie viele andere Romanfiguren von Horacio Castellanos Moya ist Erasmo Aragón ein Scheiternder, der sich seiner Geschichte, die eng mit der von El Salvador verknüpft ist, nur ansatzweise stellt, weil er sich in Alkohol Delirien verliert, fantastischen Träumen nachhängt, sich bei den Treffen salvadorianischer Exilanten in politischen Gesprächen verliert, die immerzu um die gleichen Themen kreisen - Bürgerkrieg, Kleinkrieg der Linken, blutiger Terror der ultrarechten Todesschwadrone, deren Opfer Munecóns Sohn Albertico wurde.
    Horacio Castellanos Moya: "Die heutigen Machthaber sind die Linken, die diesen Krieg führten. Der wurde noch nicht eingehend analysiert, weil sich die Regierung mit Problemen konfrontiert sieht, die seinerzeit unvorstellbar waren: Jugendbanden wie die Maras und der entsetzliche Zerfall der Gesellschaft. El Salvador ist ein eigenartiges Land. Es wird von einer kommunistischen Guerilla regiert, die sich nicht mehr kommunistisch nennt, jedoch die Minister stellt. Gewalt wurde in El Salvador zu einem kulturellen Faktor. Weder die Rechte, die damals an der Macht war, noch die Linke, noch die Vereinigten Staaten noch die anderen, am Friedensprozess beteiligten Länder ahnten, dass es nicht darum geht, die Mechanismen der politischen Gewalt zu desaktivieren, sondern auch, dass in Arbeitsplätze und Bildung investiert werden muss, was nicht geschah. Heute tötet man nicht nur aus politischen Gründen. Man tötet, weil man einer Jugendbande angehört. Zwölf- und dreizehnjährige Jungs müssen töten, wenn sie zu einer solchen Bande gehören wollen. Gewalt und Verbrechen sind weit verbreitet. Man tötet aus Spaß am Töten."
    Horacio Castellanos Moya hat mit dem Roman "Der Traum von Rückkehr" das schonungslose Porträt seiner Generation entworfen, die in den 1980er-Jahren Diktatur und Gewaltherrschaft zu bekämpfen versuchte. Mit schwarzem Humor, grotesker Übertreibung und bis in paranoide gesteigerter Spannung hat er ihre Verstrickungen aufgezeigt. Erasmo Aragón ist der gequälte Prototyp einer Generation, der als Journalist unverdrossen auf die Macht der Worte setzt.
    Horacio Castellanos Moya: "Wir waren eine Handvoll Journalisten, die 1991,1992 zurückkehrten, als der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, um Medien zu schaffen und zwischen zwei Extremen neue Wege zu erschließen. Wer auf seine Unabhängigkeit bedacht war, galt als Feind. Für die Rechte waren wir Kommunisten und für die Linke von der CIA. Die Zeitschrift erschien ein Jahr lang. Finanziell unterstützt wurden wir auch von der Stiftung der Grünen. Wir wollten eine neue öffentliche Meinung schaffen, auch eine neue Form von Journalismus. Der Übergang zur Demokratie, der nach präzisen Vorgaben funktioniert, ist das Eine. Er ging jedoch nicht Hand in Hand mit einem kulturellen Wandel. Man hielt sich weiterhin an Formen des kulturellen Zusammenlebens, die der Modernität des politischen Systems nicht mehr entsprachen."
    Horacio Castellanos Moya: "Der Traum von Rückkehr"
    Übersetzung aus dem Spanischen: Stefanie Gerhold
    S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015, 19,99 Euro