Freitag, 29. März 2024

Archiv

Catherine Gore: „Der Geldverleiher
Rachefeldzug eines Kapitalisten

Die Aristokratie straft ihn mit Verachtung, dabei ist er der einzige ökonomisch solide Mann in ganz London: „Der Geldverleiher“, Titelfigur eines Romans der viktorianischen Schriftstellerin Catherine Gore; eine provokative Abrechnung mit dem Antisemitismus der englischen Aristokratie.

Von Maike Albath | 20.02.2022
Catherine Gore: „Der Geldverleiher. Ein viktorianischer Roman“
Catherine Gore: „Der Geldverleiher. Ein viktorianischer Roman“ (Porträt: imago/United Archives International/Topfoto, Buchcover: Die Andere Bibliothek)
Was treibt ein junger Aristokrat an einem trüben Londoner Herbstabend im Jahr 1823? Nun, die Privatloge von Lady Winterfield im Theater bietet sich an. Anschließend könnte man im Hause Maitland oder bei Herzog Rochester speisen, wo die diamantengeschmückten Damen in Abendroben zu Tisch bitten und selbst die Diener livriert sind. An den Wänden der prachtvollen Häuser hängen alte Meister, es werden erlesene Speisen und kostbare Weine gereicht. Später vergnügen sich die Herren an den Spieltischen.
„‘Viertausend am Dienstag, dreitausend vorige Woche‘, sprach Oberst Loflus. – ‚Armer Grinsel! Es ist aus mit ihm! Er erzählte mir selbst, vergangenen Monat zwölftausend aufgenommen und hiermit seine Quellen erschöpft zu haben; – verpfändet bis zum letzten Guinea, seine Güter in Irland bis auf den letzten Stein dahin! Armer Grinsel!‘ ‘Er hat schließlich zum A.O. seine Zuflucht genommen‘, erwiderte Captain Blencowe ernst. ‚Der versteht die Pfiffe und Kniffe um einen herunterzubringen!‘ ‚A.O.? Ist das nicht dieselbe Person, dem mein Onkel, der Herzog von Rochester, dreißigtausend Pfund schulden soll?‘ rief ein Fähnrich."
Dekadenz der Oberschicht
A.O., der mit vollständigem Namen Abednego Osalez heißt, ist das mysteriöse Zentralgestirn des viktorianischen Romans „Der Geldverleiher“, die Titelfigur, auf die alles zuläuft und deren wechselvolles Schicksal sich erst im letzten Kapitel vollständig aufklärt. Um Osalez und seine immensen Geldmittel kreisen sämtliche Gerüchte. Der Kitt, der London zusammenhält, so macht die Verfasserin Catherine Gore schon auf den ersten Seiten ihres scharfsinnigen Gesellschaftsporträts klar, sind vor allem Schulden. So wohlklingend die Namen der großen Familien sein mögen und so aufwendig ihre Haushaltsführung auch wirkt: Kaum jemand kann sich die vielen Liegenschaften, verschwenderischen Empfänge, Heerscharen von Angestellten, kostbaren Garderoben, eleganten Kutschen und Pferde aus eigener Tasche leisten.
Zumal die Maitlands, Rochesters und Blencowes im Unterschied zum neuen Industriebürgertum nicht arbeiten, sondern dem Müßiggang frönen. Nur Osalez wirtschaftet solide. Gore, ökonomisch bewandert und in der narrativen Gestaltung sozialer Fragen bereits durch eine Vielzahl von Romanen erfahren, präsentiert den Geldverleiher aus der Perspektive eines jungen Gardeleutnants.
Irgendeine Rettungsquelle
Der gutherzige Basil Annesley stammt aus verarmtem Adel. Sein Vater ging an ruinösen Geschäften zugrunde, seine Mutter, die kühle Lady Annesley, führt seither ein bescheidenes Dasein auf ihrem Landsitz. Basil, der sich zwar an die Etikette hält und die Einladungen in die einschlägigen Häuser wahrnimmt, kann mit der Prasserei seiner Freunde wenig anfangen. Sein Herz schlägt für einen deutschen Maler namens Verelst, bei dem er während eines Aufenthalts in Heidelberg Zeichenunterricht nahm und dessen Frau und Töchter Basil liebevoll pflegten, als er krank wurde. Nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 fand der liberale Verelst dann in London Zuflucht; und nun besucht Basil den begabten, aber erfolglosen Maler beinahe täglich, woran die Tochter Esther ihren Anteil hat. Und dass der Gardeleutnant bei dem berüchtigten Abednego Osalez um einen Kredit von 400 Pfund nachsucht, liegt an den Nöten der Familie.
„‘So waren es also lediglich meine Zeitungsannoncen, die Eure Aufmerksamkeit auf mich lenkten?‘ ‚Nicht sie allein‘, entgegnete Basil. ‚Mehrere meiner Kameraden hatten in ähnlicher Verlegenheit Euren Beistand nachgesucht. So lernte ich die Art und Weise Eures Geschäfts kennen, und…‘ ‚Sie rieten Euch ab‘, unterbrach ihn der Geldverleiher, ‚zu mir Eure Zuflucht zu nehmen, wenn Eure Lage nicht eine ganz verzweifelte sei! Nicht wahr, so sprachen sie. ‚Hüte Dich vor A.O.‘, so wird’s geheißen haben, ‚wenn Dir noch irgendein Ausweg, irgendeine Rettungsquelle zu Gebote steht‘. Nannten sie mich nicht: Haifisch, Vielfraß, Geier, Wucherer, Jude? Am Mittagstisch der Offiziere bin ich’s gewohnt, unter derlei Titeln besprochen zu werden.‘“
Schwarzer Schlamm und Kot
Abednego Osalez macht sich keine Illusionen über die antisemitische Haltung seiner Kundschaft. Auch Basil, der sich nach und nach mit dem Geldverleiher anfreundet und ihm bald darauf bei einem Fieberanfall zur Seite steht, bekommt die tiefe Abneigung zu spüren. Sogar Lady Annesley lässt sich zu einer Hasstirade gegen Juden hinreißen. Wie sehr das vermeintlich progressive England von Antisemitismus durchdrungen ist, bestimmt dann vor allem die breit angelegte Coda des Romans: Osalez setzt zu einer leidenschaftlichen Generalbeichte an und legt Basil seine tragische Herkunftsgeschichte dar. Aber dass Catherine Gore, 1799 als Tochter einer Kaufmannsfamilie in Retford geboren und schon als Dreißigjährige eine der meist gelesenen und produktivsten Autorinnen des viktorianischen Englands, dieses Thema überhaupt aufgriff, hing mit ihrer allmählichen Politisierung zusammen. Auch die ärmeren Viertel geraten in ihren Blick.
„Schwarzer Schlamm und Kot bedeckte die Straßen, und Luft und Himmel schienen lediglich eine Verdünnung desselben Stoffes zu sein. Die Häuser in Paulet-Street boten einen traurigen Anblick dar. Die Haustür nahm fast die ganze Breite des Hauses ein und das Fenster daneben, in dem sich statt der Scheiben oft verschossene Mousseline-Lappen befanden, pflegte auch Papierzettel zur Schau zu stellen, wo man denn mancherlei Ankündigungen wie 'Zimmer für einzelne Herrn', 'man wünscht ein Kind zu stillen', 'hier wird sauber gewaschen' u.d.m. lesen konnte.“
Silbergabel-Romane
Gore galt zuvor als Queen der ‚silver-fork-novel’, der „Silbergabel-Romane“, wie William Hazlitt das Genre 1827 naserümpfend taufte; gemeint waren Werke mit eskapistischem Charakter, die um die Angelegenheiten der ‚upper class’ kreisten, wozu nach seinem Dafürhalten vor allem der richtige Umgang mit Fischbesteck gehörte. Adressiert an eine aufstrebende Mittelschicht, lieferten diese Bücher weitschweifige Schilderungen von prunkvollen Besitztümern, Ausstattungen und adligem Zeitvertreib und bedienten ein voyeuristisches Interesse. Der forcierte Wandel des „age of industry and empire“, das 1830 zur Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie geführt hatte und völlig neue Erfahrungen von Beschleunigung vermittelte, verstärkte die nostalgische Verklärung einer traditionsverhafteten Klasse. Zu den „Silbergabel“-Romanciers zählten Benjamin Disraeli und Edward Bulwer Lytton. Auf Catherine Gore, deren Werk siebzig Romane und einige gefeierte Theaterstücke umfasst, trifft diese Einordnung nur bedingt zu.
Der Herausgeber der Neuausgabe von „Der Geldverleiher“ Iwan Michelangelo D’Aprile, Literaturwissenschaftler und Verfasser einer der faszinierendsten Fontane-Biographien, erläutert in seinem klugen Vorwort den historischen Kontext. Gore bediente sich in ihrem Frühwerk freimütig bei Jane Austen, griff zu Handlungsgefügen, Familienkonflikten und mitunter sogar Personal und verlagerte es vom Land in ein städtisches Umfeld. Die selbstgefällige Dekadenz der Oberschicht prangerte sie schon damals an. Gleichzeitig vermittelte die Autorin ihrer Leserschaft ein angenehmes Gefühl der moralischen Überlegenheit – denn erstrebenswert war die Haltung der „upper class keineswegs. Aber 1842 kam noch etwas anderes hinzu. Als Catherine Gore damals begann, ihr neues Manuskript „Der Geldverleiher“ in Fortsetzungen herauszubringen, war sie gerade von einem knapp achtjährigen Parisaufenthalt zurückgekehrt.
Ein mürrisch dreinschauender Mann
In Frankreich hatte sie nicht nur die politischen Umwälzungen nach der Julirevolution von 1830, den Sturz der Bourbonen und die bürgerliche Machtübernahme miterlebt, sondern auch die Feuilletonromane ihrer Kollegen Honoré de Balzac, Alexandre Dumas, Georges Sand und Eugène Sue aufgesogen. Ihr gefiel die spannungsreiche Mischung aus Aufklärung und Unterhaltung und das Interesse an kriminellen Machenschaften. Vor allem Eugène Sue, dessen süffige Unterwelt-Saga „Die Geheimnisse von Paris“ parallel zu Gores „Geldverleiher“ täglich im „Journal des Débats“ erschien und zum erfolgreichsten Zeitungsroman des 19. Jahrhunderts werden sollte, drang in die Randzonen der Legalität ein.
Noch vor Charles Dickens entdeckte Sue einen neuen literarischen Erfahrungsraum, was ihm großen Respekt von Friedrich Engels eintrug. Wo man früher von Königen und Fürsten erzählt habe, stellte Engels fest, widme sich Sue der verachteten Klasse. Catherine Gore stieß zur selben Zeit auf dieses Magnetfeld und erfand sogar den abgefeimten Kunsthändler Mr. Stubbs, der Verelst übers Ohr haut.
„‘Ja, Herr‘, rief ein mürrisch dreinschauender Mann, dessen Bauch an verhältnismäßiger Dicke mit den bauchigen, chinesischen Kannen und Töpfen wetteiferte, die einen seiner Handelsartikel bildeten. ‚Ja, Herr, ich hab‘ Se‘ diese Woche erwartet; wer aber nicht kam, das waren Sie. Wie steht’s mit den Schlachtstücken, die ich im November schon bei Sie bestöllte und die zu Weihnachten fix und fertig sein sollten.‘“
Virtuos inszenierter Plot
Mr. Stubbs, der Verelsts Gemälde als Originale von Salvator Rosa aus dem 17. Jahrhundert verhökert, pflegt ebenso wie die Offiziere in Basils Regiment einen charakteristischen Soziolekt. Die spezielle Tonlage, die den Händler im aufstiegshungrigen Kleinbürgertum verortet, geht auf das Konto des Übersetzers Theodor Fontane. Über die verblüffenden mediengeschichtlichen Voraussetzungen für die Übersetzung gibt D’Apriles Vorwort Aufschluss. Der anglophile Apothekergehilfe Fontane frequentierte während seiner Ausbildung in Leipzig literarische Kreise und veröffentlichte seine ersten eigenen Versuche in der Zeitung „Die Eisenbahn“.
Bezugspunkt dieser Publikation war das schottische „Tait’s Edinburgh Magazine“, eine äußerst fortschrittliche Zeitschrift, die für Liberalismus und Reformbewegungen eintrat und 1842 Catherine Gores „Geldverleiher“ abdruckte. Ein virtuos inszenierter Plot, markante Figuren, verschiedene Sprachregister – Fontane war so hingerissen, dass er mit der Übertragung begann und etliche Milieus sogar an das deutsche Umfeld anpasste.
Retardierungen und Verstrickungen
Diese Art von rasanter Unterhaltungsliteratur inklusive Liebesgeschichte kannte er aus Deutschland nicht. Für ihn musste ein gelungener Roman immer auch, wie er seiner Ehefrau später anvertraute, ein „Schmöker“ sein, und damit kam er bei Catherine Gores „Geldverleiher“ auf seine Kosten. Zwar nimmt sich die Dramaturgie im Vergleich zu den Verkettungen in zeitgenössischen Werken von Charles Dickens oder George Eliott einigermaßen konventionell aus und schnurrt wie ein gut geöltes Räderwerk vor sich hin, aber Gore setzt ihre Instrumente effektvoll ein, schürzt Handlungsknoten und entwirrt sie wieder, operiert mit Retardierungen, Verstrickungen und überraschenden Verknüpfungen und regt uns zu Spekulationen über die wahren Verwandtschaftsverhältnisse an, während ihr wackerer Basil noch im Dunkeln tappt. Mitunter kommt es zu regelrechten Slapsticks wie in dem Moment, als Basil Annesley, voller Sorge um den fiebernden Osalez, abends dessen Haus betreten will und von zwei Polizisten gestellt wird.
“’Ick hab’ ihn schonstens seit `ne Viertelstunde uf de Kieke‘, sagt der eigentliche Banditenfänger. ‚Denn ick hatt‘ et jleich weg, dat er een Ooge uf de Fentser von den ollen Juden haben hat. Er pusselte da mit Dietrich’s un allerhand so’n Zeug an de Dhüre rum. Wat meenst Du, soll ick Randal machen? Gepfiffen hatt er all, ick denke mir, er mag da drin sehr jute Jesellschaft haben!‘ ‚`st am Ende een janzet Nest voll drin…‘ ‚Jurjelabschneider und Langefingermacher allens mang enander!‘ schrie der Dritte, und das würdige Kleeblatt hielt Basil so fest am Kragen, dass er, halb gewürgt, kaum zu Erklärungen kommen konnte.“
Fontane als einfallsreicher Übersetzer
Hier läuft Theodor Fontane zu Hochformen auf, schneidert den kämpferischen Polizisten einen berlinischen Dialekt auf den Leib – und scheint bereits für eigene Figurenreden in seinen späteren Romanen zu üben. Bei Fontane ist man mitten im Getümmel, die Bullen brüllen einem regelrecht ins Ohr und sind in der Gossensprache genauso zu Hause wie die Halunken, was übrigens auch im Original der Fall ist. Bei Gore drücken sie sich zwar weniger dialektal als kolloquial aus und betiteln den vermeintlichen Einbrecher mit Vokabeln wie „flesh-cut“ und „Wist-ind-burglar“, was mit „Gurgelabschneider“ und „Langfingermacher“ gut getroffen ist. Noch deutlicher zeigt sich Fontanes Talent bei einem Blick in die andere Übersetzung:
„‘Ich habe ihn diese Viertelstunde lang beobachtet‘, rief der erste Fänger, ,ich sah, dass er ein Auge auf die Fenster des Sprechzimmers des alten Juden hatte. Er hat Dietriche und was sonst noch an der Türe versucht. Ich glaube, wir machen Lärm innen. Nach seinem Hinaufpfeifen mag der Bursche Genossen drinnen haben!‘ ,Ei, ei, ein Raubversuch‘, ‚Jiist, ist der Bursche ein Nachtdieb aus Westend‘ schrie der dritte Polizeimann, und alle drei packten ihn so fest am Halse, dass Basil kaum so viel Atem holen konnte, um eine Erklärung zu geben, die, wenn auch gegeben, durchaus unbeachtet blieb.“
Schon eine Sensation
Was für ein Unterschied! Wo Theodor Fontane mit feinem Ohr und spitzer Zunge die kraftvoll-zupackende Redeweise der Polizisten nachahmt, ist hier mehrfach von „Burschen“ die Rede. Der blutrünstige „flesh-cut“ wird gar als „Nachtdieb“ verharmlost, der Periodenbau wirkt buchhalterisch und hölzern. Diese erste deutsche Ausgabe des „Geldverleihers“, die 1848 erschien und heute nur noch in Bibliotheken aufzufinden ist, stammt aus Wilhelm Hauffs Stuttgarter Werkstatt.
Der berühmte Romantiker der Schwäbischen Dichterschule gab den Rohübersetzungen aber lediglich den letzten Schliff und setzte seinen Namen darunter – die eigentliche Arbeit leisteten Lohnsklaven, die im Akkord fremdsprachige Romane zu deutschen Büchern ummodelten. Theodor Fontane betrachtete das Übersetzen als autodidaktische Schulung. Einen Verleger fand er damals nicht. Dass Fontanes Übersetzung nicht verloren ging, sondern jetzt erstmals sorgfältig ediert in der Anderen Bibliothek vorliegt, ist an und für sich schon eine Sensation.
Nicht zuletzt ist „Der Geldverleiher“ auch ein flirrender Metropolenroman. Catherine Gore fertigt einen regelrechten Stadtplan an, schildert Ballsäle und Clubräume ebenso wie vergammelte Ladenlokale, Polizeiwachen und das hochherrschaftliche Wohnhaus von Abednego Osalez am Russell Square. Zu seiner Verblüffung stößt Basil hier auf eine Elite von Bankiers, die über europäische Politik diskutieren und auf der Seite des Fortschritts stehen. Kurze Zeit darauf sucht Basil seinen Gönner im Handelsdistrikt auf, und wieder kommt ein anderes London zum Vorschein.
„Die City war alsbald erreicht und das Mietspferd schien nicht weniger erstaunt als sein Reiter zu sein, der sich plötzlich zwischen mit Kolonialwaren und Zuckerkisten bepackten Wagen eingeschlossen sah. Die Ballen und Fässer waren von so ungeheurer Größe, dass die Gespanne riesiger Wagenpferde, die einer nach kolossaleren Dimensionen geschaffenen Welt anzugehören schienen, nur im richtigen Verhältnis dazu standen. Das beständige Gerassel der Wagen, das seine Ohren betäubte, dazu das rastlose Jagen nach allem, was ,nützlich‘ und nach so wenigem, was ,schön‘ ist, ließ es ihm fast unmöglich erscheinen, dass irgendein Sterblicher den minder praktischen Anforderungen des Geschäftslebens, dem Rechnen und Schreiben und Buchführen, bei solchem Wirrwarr nachkommen könne.“
Schmöker mit Suchteffekt
Abednego Osalez entpuppt sich im Verlauf des Romans als eine Art Graf von Monte Christo avant la lettre. Mit Alexandre Dumas‘ berüchtigter Hauptfigur Edmond Dantès, der ab 1846 die französische Leserschaft in Atem hielt, teilt Osalez etliche Eigenschaften. Beide erlitten in jungen Jahren eine tiefe Liebesenttäuschung, beide wurden zum Opfer von Ausgrenzung und beide treten einen grausamen Rachefeldzug an. Aufgewachsen im südspanischen Cadiz stammt Osalez, wie er Basil schließlich anvertraut, aus einer wohlhabenden Familie assimilierter Juden. Doch selbst im Mutterland des Liberalismus entkam er dem Antisemitismus nicht, der in Eton ebenso wütete wie später in Oxford oder im Londoner Parlament.
„‘In meinem Namen, Basil, ruht das Geheimnis meiner Bestimmung, er ist der Schlüssel, ohne den nichts erschlossen werden kann, denn er ist der Name eines – Juden. Mag ich leben nach allen Geboten der Lehre Christi, mag ich Gott fürchten und meinen Nächsten lieben wie mich selbst, mag ich wie Paulus als Märtyrer sterben, am Kreuz oder auf dem Scheiterhaufen – es frommt zu nichts, man verschreit mich als einen Juden, weil ich einen jüdischen Namen führe. Mein Vatersname riecht nach der Synagoge! – Ich bin ein Jude, - ich muss ein Jude sein.“
Für ihre Zeit war Catherine Gore trotz teils klischierter Wahrnehmungsmuster eine enorme Provokation und durchaus couragiert. Ihr Appell für Toleranz konnte nur für einen konvertierten Helden gelten, dessen Anpassungsbemühungen nicht belohnt wurden. Iwan Michelangelo D’Aprile verweist auf die historischen Bezüge: Damals kam es in London zu antijüdischen Kampagnen gegen die Vertreter des Bankhauses Rothschild, deren Wahl ins britische Unterhaus von den Konservativen hintertrieben wurde. Somit dokumentiert Gores „Geldverleiher“ auch das Scheitern emanzipatorischer Bestrebungen von bürgerlichen Kaufleuten und Bankiers gegenüber der ständischen Gesellschaft mit ihren Privilegien. „Der Geldverleiher“ ist ein herrliches Fundstück und hat kulturgeschichtlich, politisch und literarisch etliches zu bieten. Auch erlaubt es einen neuen Blick in die Werkstatt des jungen Theodor Fontane. Ein großes Vergnügen ist die Lektüre allemal.
Catherine Gore: „Der Geldverleiher. Ein viktorianischer Roman“
Aus dem Englischen übersetzt von Theodor Fontane
Die Andere Bibliothek, Berlin. 472 Seiten, 44 Euro.