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Causa Edathy
"Das öffentliche Misstrauen wächst"

Ein immer größeres Durcheinander und immer neue Ungereimtheiten - für den Politikwissenschaftler Emanuel Richter besteht großer Aufklärungsbedarf. "Ich verstehe gut, dass man jetzt die Kanzlerin versucht aus dem Spiel zu halten, aber vielleicht geht diese Rechnung gar nicht auf", sagte er im Deutschlandfunk.

Emanuel Richter im Gespräch mit Dirk Müller | 18.02.2014
    Blick auf das Bürgerbüro von Sebastian Edathy: links ein Schild mit der Aufschrift "SPD - Sebastian Edathy - Mitglied des Bundestages - Bürgerbüro" - rechts davon der Eingang.
    Blick auf das Bürgerbüro des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) in Stadthagen (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Dirk Müller: Wir reden von Verdächtigungen, wir reden von Vorverurteilungen, war gestern in Berlin an vielen Stellen zu hören, quer durch alle Parteien, quer durch alle Fraktionen. Wie korrekt oder nicht korrekt gehen Justiz, Politik und auch die Medien mit dem Fall Sebastian Edathy um?
    Über die politische Dimension im Fall Sebastian Edathy wollen wir nun sprechen mit Professor Emanuel Richter, Politikwissenschaftler von der RWTH in Aachen. Guten Tag.
    Emanuel Richter: Guten Tag, Herr Müller!
    Müller: Herr Richter, wir haben eben die Berichte von unseren Korrespondenten aus Berlin gemeinsam gehört. Sie waren so freundlich, so früh auch dabei zu sein. Muss auch jetzt die SPD Opfer bringen?
    Richter: Na ja, in der Tat müsste sie irgendwie mal etwas eindeutiger und profilierter reagieren, weil das Durcheinander wird immer größer, die Ungereimtheiten werden immer größer, es widersprechen sich Aussagen und es wäre zumindest auf Seiten der SPD jetzt angesagt zu klären, wer ist von wem wann unterrichtet worden und wie ist das weitergegeben worden.
    Da steht auch Herr Gabriel als SPD-Vorsitzender in der Pflicht, denn er ist ja auch unterrichtet worden, und dann wäre die Frage, an wen hat er es wiederum weitergegeben. Jetzt wird ja gerade kolportiert, dass Herr Edathy doch informiert gewesen sei im Vorfeld, und dann wird die Frage auftauchen, wer hat das getan, woher hat er wiederum seine Informationen bekommen. Insofern ist da noch eine große Menge, vielleicht sogar eine wachsende Menge an Aufklärungsbedarf.
    Müller: Reden wir noch mal über Sigmar Gabriel. Da können viele nicht verstehen, wenn er, der Parteichef, diese Information weitergibt, warum das eine andere Dimension sein soll, als wenn Thomas Oppermann es weitergegeben hat oder Hans-Peter Friedrich. "Nur", weil er kein Amtsträger ist?
    Richter: Na ja, ich würde das jetzt nicht unbedingt mit dem Problem des Amtes verbinden, sondern es ist einfach die Frage, wenn es wirklich unter Umständen straffällige Ermittlungen sind, dann gilt natürlich das Verbot, diese weiterzugeben, und das ist ganz offenkundig an mehreren Stellen gebrochen worden. Und da ist natürlich Herr Oppermann zunächst einmal im Visier als derjenige, der sehr früh vermutlich schon mit dem BKA-Chef Ziercke telefoniert hat, was er eigentlich auch nicht hätte tun dürfen. Da ist ja auch der Verdacht, dass es irgendwie eine Art von Kumpanei ist, zwei SPD-Genossen reden mal miteinander.
    Und das andere ist, dass der SPD-Vorsitzende selbst natürlich in der Pflicht ist, an dieser Stelle zu schauen, was mit den Abgeordneten seiner Partei geschieht, in dem Fall, dass unter Umständen Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, und dass er natürlich an der Stelle auch erst mal gegenüber dem eigentlich Beschuldigten zu einer Schweigepflicht verpflichtet ist. Dann würde ich aber an der Stelle übrigens auch noch, was ja im Moment noch gar nicht geschieht, die Bundeskanzlerin mit ins Spiel bringen, denn Herr Friedrich als Innenminister damals hat ja vermutlich – und das hätte er auf jeden Fall tun müssen, vielleicht hat er es auch getan – die Kanzlerin als erste unterrichtet.
    "Man versucht, die Kanzlerin aus dem Spiel zu halten"
    Müller: Sie sagen vielleicht. Beide sagen, sie wussten gegenseitig nichts davon, Friedrich hat nichts der Kanzlerin erzählt.
    Richter: Ja. Das wäre aber eigentlich komisch, denn das wäre doch die erste Adressatin gewesen. Insofern: Ich verstehe gut, dass man jetzt die Kanzlerin versucht, aus dem Spiel zu halten, aber vielleicht geht diese Rechnung gar nicht auf, denn vermutlich war es doch so oder wäre es jedenfalls die Aufgabe gewesen, und es wäre ja vermutlich die sauberste Lösung gewesen, wenn die Kanzlerin von ganz oben, wenn man so will, von der Exekutivspitze aus dann die notwendigen Schritte eingeleitet hätte, das heißt entschieden hätte, wer informiert wird und wer nicht.
    Müller: Herr Richter, Entschuldigung, wenn ich Sie hier unterbreche. Sie haben also erhebliche Zweifel? Einerseits Darstellung Friedrich Richtung Kanzlerin und umgekehrt, wo beide sagen, nein, da haben wir nichts von gewusst, beziehungsweise Friedrich hat nichts weitergegeben, und dann auch bei der Darstellung von Sigmar Gabriel?
    Richter: Ja, genau.
    Müller: Wenn ich das noch mal nachfragen darf? Ich würde mich als Privatperson jetzt hier in diesem Beispiel bezeichnen, wenn wir dieses Rollenspiel mal machen, und Sie sind der Staatsanwalt und Sie sagen mir etwas, dann darf ich das als nicht beteiligte Privatperson, von mir aus auch als SPD-Chef nicht weitergeben?
    Richter: Ja, zumindest dann nicht, wenn es wirklich um ein Ermittlungsverfahren geht, das eingeleitet wird. Das ist natürlich eine tragische Rolle. Aber ich meine, diese Tragik gibt es in solchen öffentlichen Konstellationen und bei Amtspersonen öfter mal, dass man eigentlich etwas hat, was sehr brisant ist, womit man vielleicht dann irgendwie eine noch größere Problematik verhindern könnte, aber aus rechtlichen Gründen das nicht weitergeben darf.
    Müller: Jetzt fokussiert sich ja die gesamte Kritik der Unions-Parteien, namentlich der CSU, vor allem auf Thomas Oppermann. Hat das auch damit etwas zu tun – wir haben das eben zum Teil versucht, zumindest auch schon anzudeuten -, dass man in den vergangenen Monaten, längst vor der Bildung der Großen Koalition, auch massiv verärgert war über das Auftreten von Thomas Oppermann, über sein "scharfes" Auftreten? Das haben die Unions-Kollegen ihm jedenfalls zum Teil vorgeworfen. Sind das alte Rechnungen, sind das Altschulden, die jetzt beglichen werden?
    Richter: Na ja, das was ich jetzt gewissermaßen spannend, um nicht zu sagen auch in gewisser Weise ironisch finde ist, dass sowohl Edathy als auch Oppermann in der SPD als, wenn man so will, scharfe Hunde gelten, also als Leute, die sehr dezidiert auftreten, sehr scharfzüngig sein können. Ich habe Edathy in der Rolle des NSU-Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden übrigens auch sehr geschätzt, fand das sehr gut, wie er das gemacht hat, und Oppermann als Fraktionsvorsitzender erst mal auch.
    Insofern haben die ein gewisses Rollenverständnis in der Politik, was aber jetzt natürlich ihnen auch ein bisschen um die Ohren schlägt und bei Oppermann tatsächlich so was wie, na ja, kleine Rachegelüste auslöst, weil erst mal ein CSU-Minister stürzt über einer Affäre, die sich eigentlich in der SPD abspielt.
    Müller: Die Kritik bezog sich ja auf die Rolle als Parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann, vor der Zeit der Großen Koalition?
    Richter: Ja, genau.
    "Das Vertrauen schwindet natürlich"
    Müller: Wir hören vielleicht mal, was Angela Merkel zu dem Krisengespräch heute Abend sagt.
    Angela Merkel: "Dieses Gespräch, davon bin ich fest überzeugt, findet heute Abend statt in dem Geist, dass wir alle die gleiche Verpflichtung haben, nämlich den Rechtsstaat so zu leben, dass die Menschen den Eindruck von Transparenz haben und dass die Menschen den Eindruck haben, dass sie Vertrauen in unsere Abläufe haben können."
    Müller: Wenn wir Sie, Herr Richter, richtig verstanden haben, haben Sie in diesem ganzen Prozedere kein Vertrauen in diese drei?
    Richter: Nein. Wenn Sie mich so direkt fragen, muss ich auch sehr direkt antworten: Das Vertrauen schwindet natürlich. Was ich sehr interessant finde – und da muss ich den Medien auch ein gewisses Kompliment aussprechen – ist, dass da eine unnachgiebige Art von investigativem Journalismus stattfindet. Das heißt, man glaubt den verschiedenen Darstellungen nicht und versucht, da irgendwie die Fakten zu recherchieren, und genau über diese Faktenrecherche kommt ja überhaupt erst das Skandalöse zum Ausdruck. Das heißt, das sind Ungereimtheiten, das sind Aussagen, die sich nicht in Übereinstimmung bringen lassen, und es kommen gewissermaßen in jeder Minute, jedenfalls täglich neue Meldungen. Heute haben wir ja die Meldung, dass ein Dienstcomputer von Herrn Edathy gestohlen worden sei, was natürlich auch völlig unglaubwürdig klingt.
    Müller: Er hat das als gestohlen gemeldet.
    Richter: Er hat es als gestohlen gemeldet. Der Verdacht ist natürlich sofort, dass man denkt, na ja, er hat den Computer irgendwie vernichtet und beseitigt. Insofern ist das ein Strom von Details, der jeden Tag auf uns einströmt und von den Medien sehr kritisch aufgegriffen wird, und das öffentliche Misstrauen wächst. Insofern ist es jetzt einerseits natürlich – da hat die Bundeskanzlerin sicherlich recht – eine Frage des Vertrauens innerhalb der Koalition, kann das wiederhergestellt werden. Das andere ist aber, dass die tiefe Vertrauenskrise zwischen der Öffentlichkeit, den Bürgerinnen und Bürgern, und der politischen Exekutive im Moment weg ist.
    Müller: Wir haben jetzt leider, Herr Richter, keine Zeit mehr. Ich muss trotzdem die Frage los werden. Gehen Sie davon aus, dass Sebastian Edathy informiert worden ist?
    Richter: Ja. Das scheint mir, glaube ich, ziemlich evident zu sein, und das ist natürlich tragisch, denn er hat ja schon öffentlich erklärt, dass er nicht informiert worden sei. Wenn dann auch noch solche öffentlich gemachten Lügen ins Spiel kommen, dann wird es schwierig.
    Müller: Bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk Professor Emanuel Richter, Politikwissenschaftler von der RWTH in Aachen. Danke für das Gespräch, Ihnen einen schönen Tag.
    Richter: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.