Liminski: Der Mitgründer und Führer der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland, August Bebel, gab seinen Genossen folgenden Rat mit auf dem Weg: lobt dich der Gegner, dann ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg. Sein heutiger Nachfolger, Gerhard Schröder, kann sich über Kritik und Beschimpfung seitens der Opposition nicht beklagen. Ist er deshalb auf dem richtigen Weg? Wird er auch heute im Bundestag wieder beschimpft werden, wenn er seine Regierungserklärung abgibt, und zwar von seinem Widersacher im Hohen Haus, Fraktionschef Friedrich Merz? Den haben wir nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Merz.
Merz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Merz, werden Sie heute den Kanzler beschimpfen oder versuchen, ihn durch Lob zu verwirken?
Merz: Es gibt in der Opposition nicht nur Kritik an der Regierung, sondern es gibt dort, wo es immer möglich ist, Übereinstimmungen. Wir haben in der Außenpolitik nach den Anschlägen in Amerika - glaube ich - unter Beweis gestellt, dass wir das können. Und wenn wir heute über die Zukunft der EU diskutieren, dann wird es auch da Übereinstimmungen geben, neben einiger Kritik, die notwendig und begründet ist. Aber die Richtung dieses Gipfels, über den der Bundeskanzler heute berichten wird, stimmt. Es muss in Europa weitergehen. Es muss ein Verfassungsvertrag gemacht werden. Und - wenn ich es so sagen darf - der Bundeskanzler hat vieles von dem übernommen, was in der Union in den letzten Wochen und Monaten entwickelt worden ist, und dagegen kann sich unsere Kritik ja nun wirklich nicht richten.
Liminski: Was wird denn Ihrer Meinung nach der Gipfel in Laeken bringen? Bisher waren ja die Gipfel nicht immer so ergiebig.
Merz: Das ist wahr. Die letzten großen Treffen auf europäischer Ebene - insbesondere der sogenannte Nizza-Vertrag - sind alles andere als eine Erfolgsgeschichte, zumal der Nizza-Vertrag bis heute nicht verabschiedet ist, bis heute nicht in Kraft getreten ist, und jetzt gehen sie sozusagen trotzdem an das nächste große Werk heran. Es ist richtig, dass die belgische Ratspräsidentschaft mit dem Vorhaben in diesem Jahr abschließt, ab dem nächsten Jahr einen Konvent zusammenzurufen, der sich über die zukünftige Gestalt der Europäischen Union Gedanken machen muss. Hier gibt es praktisch eine Aufbauarbeit für die Europäische Union von Grund auf an. Es wird ein sogenannter Grundvertrag oder Basisvertrag - wir sagen in Deutschland Verfassungsvertrag - entwickelt werden, der die Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten neu regelt. Und diese Regelung ist dringend erforderlich, denn die Menschen in Deutschland und Europa müssen wissen, wer ist eigentlich wofür zuständig, und genau das soll geregelt werden.
Liminski: Zum Thema Terror, Herr Merz, das in Laeken in der Debatte vielleicht doch eine Rolle spielen könnte. Hier stützt sich die Regierung auf breite Unterstützung in der Bevölkerung. Was hat sie falsch gemacht? Wäre da ein Lob drin?
Merz: Nein, die Bundesregierung hat ja nach den Terroranschlägen vom 11. September eine ganze Reihe von Vorschlägen übernommen, die wir schon seit Monaten anmahnen, in der Kriminalitätsbekämpfung, in der Terrorismusbekämpfung. Und hier gibt es sicherlich noch einige Wünsche mehr, die wir hätten. Wir werden ja im Deutschen Bundestag auch darüber debattieren. Es wird dann die zweite und dritte Lesung am Freitag stattfinden, mit einem entsprechenden Gesetz. Der sogenannte Otto-Katalog zwei wird verabschiedet. Wir werden diesem Gesetz zustimmen, auch wenn August Bebel das vielleicht nicht gefallen hätte, weil es im Kern das richtig macht, was wir schon seit langer Zeit fordern, nämlich eine sehr viel stärkere und bessere Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus in Deutschland.
Liminski: Eine Frage an den Politiker, die man zwei Wochen vor Weihnachten mal stellen darf. Was bedeutet für Sie Weihnachten?
Merz: Weihnachten bedeutet für mich, dass wir uns wieder auf die Grundlagen unseres menschlichen Daseins besinnen, dass wir uns auch mit der Geburt Christi wieder daran erinnern, dass wir als Politiker eben nur die vorletzten Dinge des Lebens regeln und nicht die letzten. Und es ist für mich die Gelegenheit, diese Besinnung im Kreis der Familie für einige Tage abseits von der Hektik des politischen Betriebes zu suchen, und ich muss sagen, ich freue mich in diesem Jahr besonders darauf, denn nach einem solchen Jahr 2001 - so empfinde ich das für mich - habe ich es nötig.
Liminski: Geburt Christi, Menschwerdung Gottes, das ist ja politisch ein heißes Eisen. In der Verkündigungsbasilika in Nazareth befindet sich auf dem dortigen Marmoraltar eine Inschrift mit den Worten, "hier ist das Wort Fleisch geworden". Bethlehem, also Weihnachten, kommt biopolitisch gesehen eigentlich neun Monate zu spät. Die Grundfrage lautet ja, ab wann ist der Embryo ein Mensch. Wo stehen Sie in dieser Frage?
Merz: Das ist in der Tat eine der Fragen, die wir - gerade jetzt über den Jahreswechsel - nochmals alle in Ruhe überdenken sollten. Wir werden ja im Januar - und insofern kommt das Weihnachtsfest gerade richtig - über diese Frage im Parlament eine Entscheidung zu treffen haben, wenn es darum geht, den Import von embryonalen Stammzellen nach Deutschland zu erlauben oder nicht zu erlauben. Ich habe auf dem Bundesparteitag in der letzten Woche in Dresden dazu meine Meinung gesagt. Ich meine, wenn es keine andere Definition gibt, die zuverlässig etwas darüber aussagt, wann der Mensch beginnt, Mensch zu sein, dass dann die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der Zeitpunkt ist, der für uns maßgebend bleiben sollte. Und dann verbietet sich von diesem Zeitpunkt aus auch eine Manipulation, und dann verbietet sich insbesondere die verbrauchende Forschung an befruchteten Eizellen. Das ist meine Position. Ich weiß, dass es darüber - quer durch alle Fraktionen des Deutschen Bundestages - sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich glaube, dass die Mehrheit der Auffassung ist, wie ich sie gerade formuliert habe. Es gibt mit beträchtlichen, guten Argumenten auch Auffassungen, die das anders sehen, und hier müssen wir zu einer sorgfältigen Abwägung kommen, aber meine Auffassung ist die, auch was das Thema Präimplantationsdiagnose betrifft. Wir kommen hier an eine Grenze dessen, was ethisch und moralisch noch vertretbar ist, und wir dürfen sie meines Erachtens nicht überschreiten, wer sollte das lauter sagen als diejenigen, die sich in einer christlich-demokratischen, christlich-sozialen Partei befinden?
Liminski: Herr Merz, die unvermeidliche K-Frage. Gestern hat sich der saarländische Ministerpräsident in der Fraktion erklärt. Es heißt, Peter Müller hätte - ich zitiere hier einen Teilnehmer - " von Ihnen, dem Vorsitzenden, eine mittlere Abreibung bekommen." Das wäre verständlich - immerhin hat Müller ja auch Ihren Posten zur Verfügung gestellt -, ist die Fronde gegen Frau Merkel damit erledigt?
Merz: Zunächst einmal das Letzte, es gibt keine Fronde gegen Frau Merkel. Und ich habe Peter Müller gestern in der Fraktion gesagt, dass das, was er in der letzten Woche hier in Berlin angerichtet hat, völlig überflüssig war. Und er hat es auch eingesteckt. Jeder von uns macht mal Fehler, auch ich mache Fehler, auch andere machen Fehler. Man muss dann auch dazu stehen und sagen, es war falsch. So ist es gestern gelaufen und damit ist das Thema erledigt. Wir konzentrieren uns jetzt auf die Sachthemen, auf die Sachauseinandersetzungen mit der Rot-Grünen Bundesregierung, und da haben wir in einem zentralen Punkt - und das war die überwiegende Zeit, die wir miteinander verbracht haben, das Thema - mit Peter Müller festgestellt, dass wir uns hier nicht mit der Bundesregierung einig sehen, nämlich in der Frage der Zuwanderungsregelung, so wie es die Rot-Grüne Bundesregierung in dieser Woche in das Parlament einbringt. Und da hat es eine große Übereinstimmung in der Sache mit Peter Müller gegeben, und das war übrigens auch das Thema, das uns gestern zu der gemeinsamen Sitzung in Berlin zusammengebracht hat.
Liminski: Ich will das Stichwort Zuwanderung nochmals aufgreifen. Nun hat die Ethik-Kommission der CDU ihr Menschenbild genauer definiert. Halten Sie es nicht für problematisch, dass Zuwanderungsfamilien möglicherweise durch Regelungen beim Nachzugsalter auseinandergerissen werden? Der Vorsitzende der Kommission plädiert ja für ein Nachzugsalter von bis zu 18 Jahren.
Merz: An dieser Stelle wird es eben wichtig, genau zu differenzieren. Eine Familie, die im Familienverbund einreist, ist etwas anderes als ein Nachzug der Kinder zu einem sehr späten Lebensalter. Das Auseinanderreißen der Familien findet nicht statt, wenn man das Zuzugsalter nach Deutschland herabsetzt, sondern das Auseinanderreißen der Familien findet statt, wenn die Eltern ihre Kinder im Heimatland verlassen und zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt dann in die Bundesrepublik Deutschland nachziehen lassen wollen. Dieser Nachzug - und darüber sind wir uns einig, da gibt es in der Union auch keine abweichende Auffassung - von Kindern nach Deutschland muss zu einem möglichst frühen Zeitpunkt stattfinden. Wir haben gesagt, spätestens bis zum zehnten Lebensjahr, den spätestens dann - und das weiß jeder, der eigene Kinder hat - ist der Zeitpunkt gekommen, wo man überhaupt noch eine Integration ermöglichen kann. Diejenigen, die dann später kommen, werden die Problemfälle von morgen, weil sie die Sprache nicht mehr lernen, weil sie am Schulsystem nicht mehr teilnehmen, weil sie keine beruflichen Qualifikationen mehr erwerben können. Deswegen bleiben wir dabei, das Nachzugsalter für Kinder, die später kommen als ihre Eltern, muss so niedrig wie möglich angesetzt werden. Ich persönlich halte übrigens aus diesem Grund zehn Jahre schon für eine absolute Obergrenze. Besser wäre es zu sagen, weniger als zehn Jahren, aber bei zehn Jahren könnten wir uns einigen, darüber hinaus sollte es nicht sein.
Liminski: Wird die Zuwanderung zum Wahlkampfthema?
Merz: Das hängt ganz entscheidend davon ab, ob die Bundesregierung bereit ist, die Punkte aufzunehmen, die wir als erste Bundestagsfraktion schon vor den Sommerferien in den Deutschen Bundestag in Form eines ganz konkreten Antrages eingebracht haben. Das Thema Nachzugsalter der Kinder ist eines dieser Themen. Das Thema Zuwanderung in die Sozialsysteme ist ein weiteres Thema. Es gibt eine Reihe von weiteren Punkten. Wir haben insgesamt 79 Änderungsanträge ausformuliert eingebracht, die jetzt der Bundesregierung vorliegen. Wenn die Bundesregierung bereit ist, dem Kern dieser Anträge - es kommt ja nicht auf Punkt und Komma an - zu folgen, dann wird es eine Einigung geben. Wenn die Bundesregierung meint, mit ihrer parlamentarischen Mehrheit das durchzusetzen, was sie will, nämlich eine signifikante Ausweitung der Zuwanderung, dann wird selbstverständlich auch im nächsten Jahr über dieses Thema gesprochen werden müssen, denn es löst Probleme in Deutschland aus, welche die Bevölkerung kennen lernen muss, wo sie wissen muss, was da entschieden worden ist, und dann schließe ich nicht aus, dass darüber natürlich auch im Wahlkampf gesprochen wird. Ich werde jedenfalls keinem Wähler in keiner Wahlversammlung die Antwort auf eine Frage nur deshalb verweigern, weil gerade Wahlkampf ist.
Liminski: Der Kern wäre doch die Begrenzung. Wenn nun die Bundesregierung Begrenzung noch einmal an den Anfang des Gesetzes setzt, um ganz klar deutlich zu machen, hier geht es um Begrenzung, wären Sie dann zufrieden?
Merz: Auch da kommt es eben nicht auf die Verpackung, sondern auf den Inhalt an. Sie können ein Gesetz so schön nennen, wie Sie wollen, wenn das Gegenteil von dem, was im Titel steht, im Gesetz selbst steht, dann gilt das, was im Gesetz selbst steht und nicht was der Titel aussagt. Sie können ein Gesetz zur Verbesserung der Verkehrssicherheit nicht dadurch machen, dass sie die Promille-Grenze im Gesetz selbst für alle Verkehrsteilnehmer aufheben. Dann ist es eben nicht mehr Sicherheit, sondern weniger, und wenn die Bundesregierung eben nur den Titel ändert aber nicht den Inhalt, dann gibt es deswegen noch keine Zustimmung von uns.
Liminski: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Merz.
Link: Interview als RealAudio
Merz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Merz, werden Sie heute den Kanzler beschimpfen oder versuchen, ihn durch Lob zu verwirken?
Merz: Es gibt in der Opposition nicht nur Kritik an der Regierung, sondern es gibt dort, wo es immer möglich ist, Übereinstimmungen. Wir haben in der Außenpolitik nach den Anschlägen in Amerika - glaube ich - unter Beweis gestellt, dass wir das können. Und wenn wir heute über die Zukunft der EU diskutieren, dann wird es auch da Übereinstimmungen geben, neben einiger Kritik, die notwendig und begründet ist. Aber die Richtung dieses Gipfels, über den der Bundeskanzler heute berichten wird, stimmt. Es muss in Europa weitergehen. Es muss ein Verfassungsvertrag gemacht werden. Und - wenn ich es so sagen darf - der Bundeskanzler hat vieles von dem übernommen, was in der Union in den letzten Wochen und Monaten entwickelt worden ist, und dagegen kann sich unsere Kritik ja nun wirklich nicht richten.
Liminski: Was wird denn Ihrer Meinung nach der Gipfel in Laeken bringen? Bisher waren ja die Gipfel nicht immer so ergiebig.
Merz: Das ist wahr. Die letzten großen Treffen auf europäischer Ebene - insbesondere der sogenannte Nizza-Vertrag - sind alles andere als eine Erfolgsgeschichte, zumal der Nizza-Vertrag bis heute nicht verabschiedet ist, bis heute nicht in Kraft getreten ist, und jetzt gehen sie sozusagen trotzdem an das nächste große Werk heran. Es ist richtig, dass die belgische Ratspräsidentschaft mit dem Vorhaben in diesem Jahr abschließt, ab dem nächsten Jahr einen Konvent zusammenzurufen, der sich über die zukünftige Gestalt der Europäischen Union Gedanken machen muss. Hier gibt es praktisch eine Aufbauarbeit für die Europäische Union von Grund auf an. Es wird ein sogenannter Grundvertrag oder Basisvertrag - wir sagen in Deutschland Verfassungsvertrag - entwickelt werden, der die Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten neu regelt. Und diese Regelung ist dringend erforderlich, denn die Menschen in Deutschland und Europa müssen wissen, wer ist eigentlich wofür zuständig, und genau das soll geregelt werden.
Liminski: Zum Thema Terror, Herr Merz, das in Laeken in der Debatte vielleicht doch eine Rolle spielen könnte. Hier stützt sich die Regierung auf breite Unterstützung in der Bevölkerung. Was hat sie falsch gemacht? Wäre da ein Lob drin?
Merz: Nein, die Bundesregierung hat ja nach den Terroranschlägen vom 11. September eine ganze Reihe von Vorschlägen übernommen, die wir schon seit Monaten anmahnen, in der Kriminalitätsbekämpfung, in der Terrorismusbekämpfung. Und hier gibt es sicherlich noch einige Wünsche mehr, die wir hätten. Wir werden ja im Deutschen Bundestag auch darüber debattieren. Es wird dann die zweite und dritte Lesung am Freitag stattfinden, mit einem entsprechenden Gesetz. Der sogenannte Otto-Katalog zwei wird verabschiedet. Wir werden diesem Gesetz zustimmen, auch wenn August Bebel das vielleicht nicht gefallen hätte, weil es im Kern das richtig macht, was wir schon seit langer Zeit fordern, nämlich eine sehr viel stärkere und bessere Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus in Deutschland.
Liminski: Eine Frage an den Politiker, die man zwei Wochen vor Weihnachten mal stellen darf. Was bedeutet für Sie Weihnachten?
Merz: Weihnachten bedeutet für mich, dass wir uns wieder auf die Grundlagen unseres menschlichen Daseins besinnen, dass wir uns auch mit der Geburt Christi wieder daran erinnern, dass wir als Politiker eben nur die vorletzten Dinge des Lebens regeln und nicht die letzten. Und es ist für mich die Gelegenheit, diese Besinnung im Kreis der Familie für einige Tage abseits von der Hektik des politischen Betriebes zu suchen, und ich muss sagen, ich freue mich in diesem Jahr besonders darauf, denn nach einem solchen Jahr 2001 - so empfinde ich das für mich - habe ich es nötig.
Liminski: Geburt Christi, Menschwerdung Gottes, das ist ja politisch ein heißes Eisen. In der Verkündigungsbasilika in Nazareth befindet sich auf dem dortigen Marmoraltar eine Inschrift mit den Worten, "hier ist das Wort Fleisch geworden". Bethlehem, also Weihnachten, kommt biopolitisch gesehen eigentlich neun Monate zu spät. Die Grundfrage lautet ja, ab wann ist der Embryo ein Mensch. Wo stehen Sie in dieser Frage?
Merz: Das ist in der Tat eine der Fragen, die wir - gerade jetzt über den Jahreswechsel - nochmals alle in Ruhe überdenken sollten. Wir werden ja im Januar - und insofern kommt das Weihnachtsfest gerade richtig - über diese Frage im Parlament eine Entscheidung zu treffen haben, wenn es darum geht, den Import von embryonalen Stammzellen nach Deutschland zu erlauben oder nicht zu erlauben. Ich habe auf dem Bundesparteitag in der letzten Woche in Dresden dazu meine Meinung gesagt. Ich meine, wenn es keine andere Definition gibt, die zuverlässig etwas darüber aussagt, wann der Mensch beginnt, Mensch zu sein, dass dann die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der Zeitpunkt ist, der für uns maßgebend bleiben sollte. Und dann verbietet sich von diesem Zeitpunkt aus auch eine Manipulation, und dann verbietet sich insbesondere die verbrauchende Forschung an befruchteten Eizellen. Das ist meine Position. Ich weiß, dass es darüber - quer durch alle Fraktionen des Deutschen Bundestages - sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich glaube, dass die Mehrheit der Auffassung ist, wie ich sie gerade formuliert habe. Es gibt mit beträchtlichen, guten Argumenten auch Auffassungen, die das anders sehen, und hier müssen wir zu einer sorgfältigen Abwägung kommen, aber meine Auffassung ist die, auch was das Thema Präimplantationsdiagnose betrifft. Wir kommen hier an eine Grenze dessen, was ethisch und moralisch noch vertretbar ist, und wir dürfen sie meines Erachtens nicht überschreiten, wer sollte das lauter sagen als diejenigen, die sich in einer christlich-demokratischen, christlich-sozialen Partei befinden?
Liminski: Herr Merz, die unvermeidliche K-Frage. Gestern hat sich der saarländische Ministerpräsident in der Fraktion erklärt. Es heißt, Peter Müller hätte - ich zitiere hier einen Teilnehmer - " von Ihnen, dem Vorsitzenden, eine mittlere Abreibung bekommen." Das wäre verständlich - immerhin hat Müller ja auch Ihren Posten zur Verfügung gestellt -, ist die Fronde gegen Frau Merkel damit erledigt?
Merz: Zunächst einmal das Letzte, es gibt keine Fronde gegen Frau Merkel. Und ich habe Peter Müller gestern in der Fraktion gesagt, dass das, was er in der letzten Woche hier in Berlin angerichtet hat, völlig überflüssig war. Und er hat es auch eingesteckt. Jeder von uns macht mal Fehler, auch ich mache Fehler, auch andere machen Fehler. Man muss dann auch dazu stehen und sagen, es war falsch. So ist es gestern gelaufen und damit ist das Thema erledigt. Wir konzentrieren uns jetzt auf die Sachthemen, auf die Sachauseinandersetzungen mit der Rot-Grünen Bundesregierung, und da haben wir in einem zentralen Punkt - und das war die überwiegende Zeit, die wir miteinander verbracht haben, das Thema - mit Peter Müller festgestellt, dass wir uns hier nicht mit der Bundesregierung einig sehen, nämlich in der Frage der Zuwanderungsregelung, so wie es die Rot-Grüne Bundesregierung in dieser Woche in das Parlament einbringt. Und da hat es eine große Übereinstimmung in der Sache mit Peter Müller gegeben, und das war übrigens auch das Thema, das uns gestern zu der gemeinsamen Sitzung in Berlin zusammengebracht hat.
Liminski: Ich will das Stichwort Zuwanderung nochmals aufgreifen. Nun hat die Ethik-Kommission der CDU ihr Menschenbild genauer definiert. Halten Sie es nicht für problematisch, dass Zuwanderungsfamilien möglicherweise durch Regelungen beim Nachzugsalter auseinandergerissen werden? Der Vorsitzende der Kommission plädiert ja für ein Nachzugsalter von bis zu 18 Jahren.
Merz: An dieser Stelle wird es eben wichtig, genau zu differenzieren. Eine Familie, die im Familienverbund einreist, ist etwas anderes als ein Nachzug der Kinder zu einem sehr späten Lebensalter. Das Auseinanderreißen der Familien findet nicht statt, wenn man das Zuzugsalter nach Deutschland herabsetzt, sondern das Auseinanderreißen der Familien findet statt, wenn die Eltern ihre Kinder im Heimatland verlassen und zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt dann in die Bundesrepublik Deutschland nachziehen lassen wollen. Dieser Nachzug - und darüber sind wir uns einig, da gibt es in der Union auch keine abweichende Auffassung - von Kindern nach Deutschland muss zu einem möglichst frühen Zeitpunkt stattfinden. Wir haben gesagt, spätestens bis zum zehnten Lebensjahr, den spätestens dann - und das weiß jeder, der eigene Kinder hat - ist der Zeitpunkt gekommen, wo man überhaupt noch eine Integration ermöglichen kann. Diejenigen, die dann später kommen, werden die Problemfälle von morgen, weil sie die Sprache nicht mehr lernen, weil sie am Schulsystem nicht mehr teilnehmen, weil sie keine beruflichen Qualifikationen mehr erwerben können. Deswegen bleiben wir dabei, das Nachzugsalter für Kinder, die später kommen als ihre Eltern, muss so niedrig wie möglich angesetzt werden. Ich persönlich halte übrigens aus diesem Grund zehn Jahre schon für eine absolute Obergrenze. Besser wäre es zu sagen, weniger als zehn Jahren, aber bei zehn Jahren könnten wir uns einigen, darüber hinaus sollte es nicht sein.
Liminski: Wird die Zuwanderung zum Wahlkampfthema?
Merz: Das hängt ganz entscheidend davon ab, ob die Bundesregierung bereit ist, die Punkte aufzunehmen, die wir als erste Bundestagsfraktion schon vor den Sommerferien in den Deutschen Bundestag in Form eines ganz konkreten Antrages eingebracht haben. Das Thema Nachzugsalter der Kinder ist eines dieser Themen. Das Thema Zuwanderung in die Sozialsysteme ist ein weiteres Thema. Es gibt eine Reihe von weiteren Punkten. Wir haben insgesamt 79 Änderungsanträge ausformuliert eingebracht, die jetzt der Bundesregierung vorliegen. Wenn die Bundesregierung bereit ist, dem Kern dieser Anträge - es kommt ja nicht auf Punkt und Komma an - zu folgen, dann wird es eine Einigung geben. Wenn die Bundesregierung meint, mit ihrer parlamentarischen Mehrheit das durchzusetzen, was sie will, nämlich eine signifikante Ausweitung der Zuwanderung, dann wird selbstverständlich auch im nächsten Jahr über dieses Thema gesprochen werden müssen, denn es löst Probleme in Deutschland aus, welche die Bevölkerung kennen lernen muss, wo sie wissen muss, was da entschieden worden ist, und dann schließe ich nicht aus, dass darüber natürlich auch im Wahlkampf gesprochen wird. Ich werde jedenfalls keinem Wähler in keiner Wahlversammlung die Antwort auf eine Frage nur deshalb verweigern, weil gerade Wahlkampf ist.
Liminski: Der Kern wäre doch die Begrenzung. Wenn nun die Bundesregierung Begrenzung noch einmal an den Anfang des Gesetzes setzt, um ganz klar deutlich zu machen, hier geht es um Begrenzung, wären Sie dann zufrieden?
Merz: Auch da kommt es eben nicht auf die Verpackung, sondern auf den Inhalt an. Sie können ein Gesetz so schön nennen, wie Sie wollen, wenn das Gegenteil von dem, was im Titel steht, im Gesetz selbst steht, dann gilt das, was im Gesetz selbst steht und nicht was der Titel aussagt. Sie können ein Gesetz zur Verbesserung der Verkehrssicherheit nicht dadurch machen, dass sie die Promille-Grenze im Gesetz selbst für alle Verkehrsteilnehmer aufheben. Dann ist es eben nicht mehr Sicherheit, sondern weniger, und wenn die Bundesregierung eben nur den Titel ändert aber nicht den Inhalt, dann gibt es deswegen noch keine Zustimmung von uns.
Liminski: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Merz.
Link: Interview als RealAudio