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CDU-Innenpolitiker zu G20-Krawallen
"Hier geht es um Tötungs- beziehungsweise Mordvorsatz"

Beim Thema Linksextremismus habe man in der Vergangenheit zu viel Nachsicht und Gleichgültigkeit erlebt, sagte Ansgar Heveling, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, im Dlf. Wer Gehwegplatten oder Gullideckel von Häusern werfe, nehme Menschenleben in Kauf. Umso wichtiger sei es, auf EU-Ebene eine gemeinsame Extremistendatei aufzubauen.

Ansgar Heveling im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.07.2017
    Ansgar Heveling (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, aufgenommen am 21.12.2016 vor Beginn der Sitzung des Innenausschusses zum Terroranschlag am Breitscheidplatz.
    Ansgar Heveling (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags (picture alliance/dpa - Michael Kappeler)
    Tobias Armbrüster: In Hamburg, da wird immer noch aufgeräumt, drei Tage nach dem G20-Treffen. Da müssen Brandschäden beseitigt werden, Straßen werden neu gepflastert und viele Bürger fragen sich, wer eigentlich jetzt die Rechnung übernimmt, wenn sie sich ein neues Auto kaufen müssen, weil das alte abgebrannt ist. Fest steht: Dieses Krawall-Wochenende, dieses G20-Wochenende, das sitzt vielen noch in den Knochen, auch vielen Politikern in Berlin. Zuerst mal müssen jetzt die Gewalttäter identifiziert und ausfindig gemacht werden, und das ist nicht ganz leicht, wenn man weiß, dass diese Männer und Frauen aus ganz Europa angereist sind.
    Am Telefon ist jetzt Ansgar Heveling von der CDU, der Vorsitzende im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Morgen.
    Ansgar Heveling: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Heveling, diese Idee mit der europäischen Koordination, warum kommt die erst jetzt?
    Heveling: Es gibt bereits europäische Zusammenarbeit. Das haben wir etwa beim G7-Gipfel in Elmau gesehen, wo zahlreiche Einreiseverbote ausgesprochen worden sind. Es ist aber sicherlich sinnvoll, dass man sie jetzt institutionalisiert und eine gemeinsame Datei aufbaut, in der automatisiert Informationen auch weitergegeben werden können.
    Armbrüster: Hätte man aber ja schon seit Jahren machen können.
    Heveling: Das ist ohnehin das Grundproblem bei europäischen Dateien, dass man sich auf gemeinsame Standards und gemeinsame Informationszugänge einigen muss.
    Zu wenig Druck beim Thema Linksextremismus
    Armbrüster: Der Fehler liegt also bei der EU?
    Heveling: Der Fehler liegt teils bei der EU, teils bei den Mitgliedsstaaten, aber sicherlich auch bei der Frage, ob die nötige politische Unterstützung auch immer in den Einzelstaaten gegeben war.
    Armbrüster: Wer hat es denn hier bei uns in Deutschland an Unterstützung mangeln lassen?
    Heveling: Die Frage von Datenaustausch ist immer ein zähes Thema gewesen und gerade was das Thema Linksextremismus angeht haben wir, glaube ich, in der Vergangenheit auch an manchen Stellen zu viel Nachsicht und Gleichgültigkeit erlebt. Ich erinnere da nur an die Demokratieklausel, die Ministerin Kristina Schröder eingeführt hat, und es war dann das erste Ziel von Familienministerin Manuela Schwesig, die wieder abzuschaffen. Da ist der nötige politische Druck vielleicht auch zu wenig gemacht worden.
    Aufbau einer Datei intensivieren
    Armbrüster: Jetzt muss ich aber sagen, auch von dieser Extremistendatei, von dieser gemeinsamen europäischen, die da jetzt gefordert wird, davon haben wir vor diesem G20-Gipfel auch nichts gehört, auch nicht von der CDU.
    Heveling: Wie gesagt, es gab ja schon eine Zusammenarbeit der europäischen Länder. Beim G7-Gipfel Elmau hat es funktioniert. Da sind entsprechende Maßnahmen ja auch auf Austausch von einzelnen Datensätzen erfolgt. Insofern gibt es ja schon etwas, worauf man aufbaut. Man muss jetzt einfach intensivieren.
    Armbrüster: Kann es denn sein, dass die deutschen Sicherheitsbehörden vor diesem G20-Gipfel in Hamburg gedacht haben, das kriegen wir alleine hin?
    Heveling: Das ist nicht so gewesen, denn auch vor dem G20-Gipfel hat es einen entsprechenden Austausch mit anderen Ländern gegeben. Es sind auch da Informationen aus den anderen Ländern weitergegeben worden …
    Armbrüster: Aber entschuldigen Sie, Herr Heveling! Warum war es dann trotzdem möglich, dass diese Krawallmacher aus ganz Europa so einfach unbehelligt nach Hamburg reisen konnten, teilweise in Sonderzügen, über die ja auch öffentlich berichtet wurde?
    Heveling: Es ist so, dass die Rädelsführer dieser Aktivitäten, dieser kriminellen Taten auch hoch konspirativ arbeiten und natürlich sich Taktiken überlegen, wie sie solche Einreiseverbote und Möglichkeiten umgehen. Das wird man jetzt auch auf jeden Fall aufarbeiten müssen, ob da zu wenig gemacht worden ist, denn es hat wie gesagt Grenzkontrollen gegeben. Es ist dann im Einzelfall natürlich eine Sache, kann ich jemanden zurückweisen, oder kann ich das nicht tun, wenn ich in dem Moment unmittelbar nicht die Gewaltbereitschaft erkennen kann.
    Gewalt in einer neuen Qualität
    Armbrüster: Welche Fehler hat denn die Polizei in Hamburg gemacht?
    Heveling: Auch das wird der rot-grüne Senat in Hamburg jetzt analysieren und aufarbeiten müssen. Die Frage ist: In der Situation, wo die gewaltbereiten Täter Katz und Maus mit der Polizei gespielt haben, war es sicherlich nicht anders möglich, als dass sich die Polizei zunächst zurückhält, zum Schutz der Beamtinnen und Beamten. Wir haben einen beispiellosen Gewaltausbruch erlebt. Hier ging es darum, wer Gehwegplatten oder Gullideckel von Häusern schmeißen will, der weiß was er tut und weiß, dass er da auch Menschenleben in Kauf nimmt. Das ist natürlich auch eine neue Qualität gewesen und die Frage ist, hätte man an der Stelle nicht schon Verstärkungskräfte bereit halten müssen. Ich glaube, das ist der zentrale Punkt, an dem die Polizei in Hamburg analysieren muss, hat sie da richtig gehandelt, oder hat sie das Problem vielleicht falsch eingeschätzt.
    Armbrüster: Die Gewerkschaft der Polizei erhebt jetzt massive Vorwürfe gegen die Polizeiplaner. Sie spricht von "schlechter Kommunikation, konfuser Planung und chaotischen Zuständen". Würden Sie sich dem anschließen?
    Heveling: Das ist eine Frage, die von außen schwer zu beurteilen ist. Es hat im Vorfeld des G20-Gipfels eine sehr ausgiebige Planung gegeben. Es hat ja auch ein Großaufgebot von Polizeikräften gegeben. Es sind besondere Aufbauorganisationen aufgebaut worden. Insofern ist eine Menge vorher gemacht worden. Was den Einsatz selbst konkret angeht, muss man das jetzt schauen, ob die Polizei an der Stelle richtig gehandelt hat. Aber von vornherein das so zu beurteilen, ist aus meiner Sicht, aus der politischen Sicht jedenfalls schwierig.
    Armbrüster: Ich meine, Sie sind ja trotzdem jemand, der sich natürlich mit Polizeiarbeit, mit der Arbeit der Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland befasst als Vorsitzender des Innenausschusses. Wir hören jetzt immer wieder den Satz, in anderen Städten, beispielsweise in München wäre so etwas sicher nicht passiert. Sehen Sie das auch so?
    Heveling: Es ist so, dass wir, sprich ich als Vorsitzender des Innenausschusses genauso wie die Fraktionsvertreter im Bundestag von den Bundessicherheitsbehörden im Vorfeld über die Lage natürlich auch informiert worden sind, auch über das, was von Seiten der Bundesbehörden gemacht worden ist. Daneben hat es aber für den Schutz der Stadt die landespolizeilichen Organisationen gegeben, auf die wir nicht unmittelbar den Blick haben. Man kann natürlich festhalten, es hat ja auch anderswo in Deutschland schon Großveranstaltungen und Gipfeltreffen gegeben, wie etwa den G7-Gipfel in Elmau. Da ist im Vorfeld ganz strikt gehandelt worden und da ist nichts passiert.
    Armbrüster: Wo sehen Sie denn dann den großen Unterschied? Ist die Polizei da in Hamburg zu eskalierend, sage ich mal, aufgetreten, zu offensiv?
    "Hier geht es um Tötungs- beziehungsweise Mordvorsatz"
    Heveling: Dass es falsch gewesen sein könnte, zu offensiv aufgetreten zu sein, das glaube ich nicht. Es war richtig, dass die Polizei auch in Hamburg von Anfang an deutlich gemacht hat, dass sie strikt gegen jedwede Gewaltvorbereitung vorgehen wird. Sie hat ja auch versucht, etwa diese Übernachtungscamps zu verhindern. Das ist nicht so gelungen, wie die Polizei das vorhatte.
    Armbrüster: Da sagen jetzt viele, genau das hat diese Situation so eskalieren lassen.
    Heveling: Das würde ich anders sehen, denn es war von Anfang an klar, dass die Polizei robust auftreten wird, und das ist aus meiner Sicht auch das einzige Mittel, um deutlich zu machen, dass man Gewalt im Keim verhindern möchte. Dass dann dieses Katz und Maus Spiel allerdings passiert ist und dieser beispiellose Ausbruch von Gewalt zustande gekommen ist, das ist natürlich eine neue Qualität auch gewesen. Hier geht es um Tötungs- beziehungsweise Mordvorsatz. Das haben wir so extrem natürlich auch in der Vergangenheit noch nicht erlebt.
    Armbrüster: Herr Heveling, kurze Frage mit Bitte um eine sehr kurze Antwort. Kann Olaf Scholz noch Bürgermeister in Hamburg bleiben nach diesem Desastertreffen?
    Heveling: Olaf Scholz wird erklären müssen, wie und was die Polizei gemacht hat und wie die politische Einschätzung im Vorfeld gewesen ist, ob man vielleicht zu sehr darauf vertraut hat, dass nichts passieren wird, das ist letztlich der Punkt, nach dem sich erklärt, wie es in Hamburg auch mit Olaf Scholz weitergeht.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Ansgar Heveling von der CDU, der Vorsitzende im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Vielen Dank, Herr Heveling, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Heveling: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.