Dienstag, 19. März 2024

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CDU-Kandidatensuche
Reul: "Ich kann die ganze Debatte nicht mehr ertragen"

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat das Prozedere der Suche nach einem Parteichef kritisiert. "Die Frage ist, wie wir miteinander umgehen, und nicht, in welcher Methode wir das machen", sagte Reul im Dlf. Er erwarte von Führungskräften in der CDU, dass sie sich zusammentun und gemeinsam überlegten.

Herbert Reul im Gespräch mit Stefan Heinlein | 19.02.2020
Herbert Reul bei der Vorstellung der neuen Streifenwagen der Polizei NRW
Herbert Reul: "Im Gegensatz zu dem, was die SPD angeboten hat, müssen wir uns ja jetzt nicht zerfleischen" (imago / J. Krick)
Es bleibt spannend bei der CDU. Immer neue Turbolenzen, neue Wendungen - kaum ein Tag vergeht derzeit ohne frische Nachrichten aus dem Lager der Christdemokraten. Der Versuch von Annegret Kramp-Karrenbauer, die Nachfolge-Kandidatensuche als Moderatorin schiedlich, friedlich zu begleiten, scheint inzwischen hinfällig. Nach der überraschenden Ankündigung von Norbert Röttgen, ebenfalls ins Rennen zu gehen, wächst der Druck.
Mögliche Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, Jens Spahn, Norbert Röttgen und Armin Laschet
Wer wird neuer Parteivorsitzender?
Nach dem angekündigten Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Parteivorsitz stellt sich für die CDU die K-Frage. Mehrere Kandidaten bringen sich dafür in Stellung. Heute beginnen die ersten Gespräche. Doch wer steht für welche Positionen?
Für viele Seiten nun kaum vorstellbar, dass die CDU noch über Wochen und Monate weitermacht mit der parteiinternen Nabelschau. Eine Lösung allerdings ist bislang nicht in Sicht.
Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, merkt an, dass bei der Kanzlerkandidatur-Frage eine Mitgliederbefragung nichts helfe, da auch die CSU beteiligt werden müsse.

Stefan Heinlein: Hat die Kandidatur von Norbert Röttgen die Suche nach einem CDU-Parteivorsitzenden aus den Hinterzimmern geholt?
Herbert Reul: Ich kann diese ganze Debatte nicht mehr ertragen, Hinterzimmer, nicht Hinterzimmer. Wissen Sie, die SPD hat alles im Vorderzimmer gemacht und hat sich über Monate zerfleischt und ist jetzt, weiß ich nicht, bei ein paar Prozent noch. Die Methode der Wahl ist nicht das Entscheidende. Wir haben letztes Mal eine sehr ausgewogene, breite Debatte in der Partei über den Parteivorsitz gehabt. Kramp-Karrenbauer hat gewonnen und nachher haben diejenigen, die verloren haben, trotzdem weiter aus den Hecken geschossen. Die Frage ist, wie wir miteinander umgehen, und nicht, in welcher Methode wir das jetzt machen, sondern ob wir miteinander gemeinsam eine gute Lösung suchen und ob das jeder mitmachen will.
"Das kann man nicht auf dem Marktplatz machen"
Heinlein: Wie kann die Suche nach dieser guten Lösung, wie Sie sagen, aussehen, damit in Zukunft niemand mehr aus den Hecken schießt?
Reul: Ich erwarte von Führungskräften in der CDU, ob sie im Bund sind oder in den Ländern, dass sie sich zusammentun und gemeinsam überlegen, und das kann man nicht auf dem Marktplatz machen, das kann man nicht mit Zeitungsinterviews machen und Kandidatenvorstellungen, sondern da muss man in Ruhe nachdenken, mit welchem Kandidaten haben wir die Chance, erstens die meisten Stimmen zu erreichen, denn das interessiert mich, und zweitens die CDU da zu positionieren, wo sie im Moment ist, nämlich als eine Partei der Mitte. Es ist nämlich die einzige, die noch da ist, und das ist ein hohes Gut in einer sehr wackelig gewordenen Gesellschaft.
Heinlein: Ihr Ärger wird deutlich, Herr Reul. Aber dennoch muss es ein Verfahren geben. Wie soll es denn aussehen, die Suche oder die Entscheidung über den richtigen Kandidaten? Ein Parteitag, Regionalkonferenzen – das hatten wir bereits -, oder doch eine Mitgliederbefragung? Was ist aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Reul: In so einer Lage ist garantiert eine Mitgliederbefragung nicht richtig. Ich glaube auch nicht, dass wir zig Konferenzen brauchen, sondern noch einmal: Diejenigen, die Führungskräfte sind, müssen miteinander reden. Das wird dann in der Öffentlichkeit immer als Hinterzimmer desavouiert. Ich halte das für nicht hilfreich, damit so umzugehen, sondern wenn man nicht miteinander redet und überlegt, wie man einen klugen Weg findet, wird man sich öffentlich zerstreiten. Das haben wir selber vorexerziert in der letzten Zeit. Das hat die SPD über Jahre gemacht. Der Erfolg liegt auf der Hand! Ich empfehle uns einen anderen Weg.
"Es ist manchmal klug, in Ruhe miteinander zu reden"
Heinlein: Es wird miteinander geredet. Dann gibt es ein Ergebnis nach diesen Gesprächen und dieses Ergebnis muss die Partei, müssen die Christdemokraten dann in ihrer Mehrheit abknicken.
Reul: Ich glaube nicht, dass sie es abnicken müssen. Das ist schon wieder eine falsche Bewertung, sondern natürlich wird ein Parteivorsitzender auf einem Parteitag gewählt und theoretisch und praktisch kann da jeder auch noch zusätzlich kandidieren. Aber ich glaube, ein Kandidat, der da ins Rennen geht, ist dann stark, wenn er auch eine breite Unterstützung vorher aus wirklich wichtigen Kreisen der Union hat.
Und im Übrigen: Die Kanzlerkandidatur-Frage entscheidet die CDU nicht alleine. Da gibt es ein sehr kompliziertes Verfahren. Dann muss nämlich die CSU beteiligt werden. Da hilft eine Mitgliederbefragung überhaupt nicht. – Es ist manchmal klug, in Ruhe miteinander zu reden, keine Hektik zu verbreiten, nicht nur an sich selber zu denken, sondern mal wirklich nach vorne zu stellen, mit welchem Konzept und Inhalt, mit welcher Person, die zu diesem Inhalt passt, haben wir die bestmöglichen Chancen.
Ich meine, das sind ja alles hochklassige Kandidaten. Im Gegensatz zu dem, was die SPD da angeboten hat, müssen wir uns ja jetzt nicht auch noch zerfleischen.
Heinlein: Stichwort Inhalte, Herr Reul. Welches Profil, welches inhaltliche Profil muss denn der neue CDU-Vorsitzende haben? Was sind da die drei wichtigsten Punkte?
Reul: Das ist relativ einfach. Wenn man als CDU weiter Volkspartei sein will und das Ziel hat, 30 Prozent oder 40 Prozent zu erreichen, dann muss man auch die Breite der Bevölkerung erreichen. Dann kann man nicht Flügelpolitik machen. Das ist relativ einfach. Wenn die CDU mit ihrem Vorsitzenden oder ihrer Vorsitzenden nur die Menschen bedient, die ganz, ganz eng, streng CDU im Kern sind, dann freut das die sehr, aber dann wird das für die Wähler nicht ausreichend sein. Das heißt, eine breite Aufstellung. Volkspartei in der Mitte bedeutet, nach mehreren Seiten Angebote haben.
Ich meine, das wird oft vergessen. Helmut Kohl war exzellent in dieser Frage. Der hatte von Süssmuth über Töpfer, von Geißler bis Blüm bis Dregger eine breite Palette. Das war Volkspartei. In der Partei hat sich auch die Breite der Bevölkerung repräsentiert. Da, glaube ich, kann man noch ein bisschen dran arbeiten.
"Schräg, wenn ich jetzt einen Vorschlag machen würde"
Heinlein: Laschet, Merz, Spahn oder Röttgen – wer hat denn die größte Breite, um die Bevölkerung dann in der Mehrheit zu erreichen?
Reul: Ich wäre irgendwie schräg, wenn ich jetzt einen Vorschlag machen würde.
Heinlein: Aber wäre interessant!
Reul: Das wäre hoch interessant, natürlich für die Medien und so, für die Spekulationen, aber führt nicht zum Ziel und würde uns als CDU nur schaden. Jeder, der jetzt noch mit weiteren Vorschlägen kommt oder selber, sage ich mal, Bewertungen einbringt in die Öffentlichkeit, schadet diesem Prozess. Ich halte es für besser: Lasst uns in Ruhe reden, keinen Stress entfalten und im Kopf haben, was das Ziel der Veranstaltung ist. Dann kann man, wenn man rational vorgeht, glaube ich, auch Lösungen finden. Natürlich muss dann der eine oder andere auch seine persönlichen Interessen zurückstecken. So ist das Leben. Erst das Land, dann die Partei und dann die persönliche Interessenlage.
Heinlein: Glauben Sie, dass die Bereitschaft dieser vier Kandidaten da ist, das persönliche Interesse, die persönlichen Ambitionen zurückzustecken, im Interesse der Partei und im Interesse dann auch des Landes?
Reul: Ich hoffe es. Ich erwarte es auch von Führungsleuten. Sicher bin ich mir nicht, denn das vergangene Jahr hat ja gezeigt, dass es nicht geklappt hat. Es gab ein demokratisches Ergebnis und trotzdem ist weiter gestört und gestritten worden.
Heinlein: Es wurde ja viel geredet, Anfang der Woche, über eine Teamlösung. Können Sie sich denn mit diesen vier Namen, die gerade gehandelt werden, eine Teamlösung tatsächlich vorstellen, dass alle vier Herren (und es sind ja nur Herren) dann zusammenarbeiten?
Reul: Aber da haben Sie ja schon das erste Problem benannt. Ein Führungsteam der Union kann ja nicht nur aus Männern bestehen. Das ist doch relativ klar, dass das nicht geht. Das heißt für mich, es werden noch mehr Leute in dieses Team der Führung der Union gehören. Es geht ja nicht nur um zwei, drei Positionen. Wir brauchen eine Truppe von Leuten in der Führung, die das trägt, das Konzept, und einer wird dann der Vorsitzende sein und einer wird der Kanzlerkandidat sein, oder es ist identisch, das wird man dann sehen. Aber nach dem Motto, wir teilen hier auf und ziehen Stöckchen, damit kann man das Problem mit Sicherheit auch nicht lösen.
"Nicht immer nur seinen dicken Kopf durchsetzen"
Heinlein: Aber wenn es eine Teamlösung gibt, dann kann am Ende ja nur einer der Spielführer sein, der Parteivorsitzende, und jemand landet oder mehrere landen dann auf der Reservebank. Es wird Enttäuschungen geben.
Reul: Ja, so ist das im Leben. Man kann nicht immer nur alles haben wollen. Ich denke, man geht nicht in eine Partei rein, um seine persönlichen Eitelkeiten zu befriedigen. Zumindest habe ich mir das immer so vorgestellt. Sondern es geht darum, ein politisches Projekt voranzutragen, dafür Mehrheiten in der Bevölkerung zu finden, und dafür muss man sich anstrengen und das ist leider nicht leicht. Da kann man nicht immer nur seinen dicken Kopf durchsetzen.
Heinlein: Haben Sie da jemanden besonders im Auge, der seine persönlichen Eitelkeiten pflegt?
Reul: Das kann doch jeder selber bewerten. Dafür bin ich nicht zuständig.
Heinlein: Aber ich stelle Ihnen die Frage.
Reul: Ja, aber ich möchte sie jetzt nicht gerne beantworten.
Heinlein: Okay., Herr Reul. – Egal, wer am Ende den CDU-Parteivorsitz übernimmt – es wird dann die Frage gestellt werden, ob er auch als Kanzlerkandidat ins Rennen geht. Haben Sie darauf schon eine Antwort?
Reul: Das hängt ja miteinander zusammen und ich kann mir vorstellen, wenn die CDU in einem klugen Prozess mit breiter Mehrheit ausgestattet einen Spitzenmann der CDU hat und dann mit der CSU redet, da Herr Söder offensichtlich nicht will – der Mann ist klug geworden in den letzten Monaten -, dann, glaube ich, wird man schon auch da eine gemeinsame Antwort finden. Wahrscheinlich hat dann der neue CDU-Vorsitzende, die neue CDU-Vorsitzende die besten Karten.
Reul: Keinen Sieger mit vielen Verletzten
Heinlein: Wie schnell muss es denn dann gehen? Ein CDU-Vorsitzender wird gefunden in den nächsten Wochen oder Monaten. Muss er dann auch sofort Kanzlerkandidat werden?
Reul: Nein!
Heinlein: Nein?
Reul: Nein! Aber das ist natürlich dann ein Stück Vorprägung. Aber ich kann uns nur raten, erstens jetzt nicht in Hektik uns gegeneinander zu zerreiben und dann am Ende einen Sieger, aber mit vielen Verletzten zu haben, sondern eine kluge gemeinsame Lösung für den Vorsitz, und zweitens auch nicht einen Kanzlerkandidaten ins Fenster zu stellen, der jetzt anderthalb Jahre, ein dreiviertel Jahre von allen angeschossen und beschossen wird. Ich verstehe die Eile überhaupt nicht. Wir haben eine Kanzlerin, die einen Bombenruf hat. Übrigens das war dasselbe vor ein paar Jahren. Da haben alle (übrigens identische Kreise in der Union) an ihr herumkritisiert, sie niedergemacht. Sie hat dann gesagt, das mache ich einfach nicht weiter. Sie macht jetzt den Kanzler, ist die beliebteste Politikerin in Deutschland. Ich frage mich, sind wir eigentlich schräg im Kopf, dass wir solche Pfründe nicht nutzen jetzt in dieser Zeit? Für mich muss die Frau jetzt nicht zurücktreten. Warum denn? Es gibt doch gar keine Not.
Heinlein: Okay. – Laschet, Spahn, Merz und nun auch Norbert Röttgen – ich nenne noch einmal alle vier Namen -, alle kommen aus Ihrem Landesverband, aus Nordrhein-Westfalen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende doch ein Bayer der Kanzlerkandidat der Union wird?
Reul: Da ich kein Prophet bin, das Kaffeesatzlesen ist mir auch fremd – ich weiß es nicht.
Heinlein: Ein Wort noch zu Thüringen, vielleicht ein Satz nur. Raten Sie Ihren Parteifreunden in Erfurt, das Spiel von Bodo Ramelow mitzuspielen, Frau Lieberknecht als Übergangs-Ministerpräsidentin zu installieren?
Reul: Man darf nie das Spiel der anderen spielen, sondern muss eigene Regeln haben, und ich hoffe, dass es Regeln gibt, die zum Konsens führen, weil das ist ein einziges Drama in Thüringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.