"Merkel muss weg!". Dieser Sprechchor ist auf fast jeder Veranstaltung der AfD zu hören. Der Ruf nach dem Abgang der "Kanzler-Diktatorin", wie Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland Merkel genannt hat, ist für die AfD eine Art Klebstoff, der die höchst heterogene Partei mit ihren vielen Strömungen, internen Machtkämpfen und Reibereien zusammenhält. Er könne noch kein Konzept erkennen, wie die AfD auf den Teilrückzug ihres Feindbildes reagieren wolle, sagt der Sozialwissenschaftler David Bebnowski vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. "Ich glaube, das könnte zu einer gefährlichen Situation für die AfD führen, je nachdem sich die CDU und die Union neu aufstellen", sagt Bebnowski, der die AfD seit ihrer Gründung 2013* beobachtet.
Genugtuung über Merkels Rückzug
Die Reaktionen der Partei- und Fraktionsspitze nach Merkels angekündigtem Rückzug von der CDU-Spitze sprachen Bände. "Es hätte diesen Tag ohne die AfD nicht gegeben", sagte Alexander Gauland am Montag voller Genugtuung. Er reagierte aber auch hämisch, als er auf den vielleicht berühmtesten Spruch der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise 2015 erinnerte: "Wir schaffen das! Der Spruch passt vielleicht hier."
Wenig später nahm Gauland gemeinsam mit seiner Co-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel den Überraschungskandidaten Friedrich Merz ins Visier. Der habe "seine Partei in schwierigen Zeiten verlassen" und sei gegenüber der CDU "illoyal" gewesen, erklärte Weidel in Anspielung auf Merz‘ Rückzug aus der aktiven Politik im Jahr 2009. Deshalb stelle sich die Frage, ob Merz die "richtige Person sei, um die Partei zu führen", vielleicht auch in zukünftige Wahlkämpfe.
Merz könnte der AfD Anhänger abjagen
Für den AfD-Experten Bebnowski ist die heftige Reaktion auf den ehemaligen Unions-Fraktionschef alles andere als eine Überraschung. Merz sei die "größte Gefahr für die AfD", denn dessen Wahl zum neuen Parteivorsitzenden wäre ein deutliches Signal, dass sich die CDU wieder konservativer aufstellen würde. Und damit eine Chance, der AfD bürgerliche, wirtschaftsliberale Anhänger wieder abzujagen. Merz ist überzeugter Europäer und Transatlantiker - beides alles andere als Steckenpferde der AfD. Trotzdem könne Merz insbesondere Wechselwähler wieder in Bewegung bringen, meint Bebnowski: "Das kann die AfD einige Prozentpunkte kosten".
Auch Spahn bereitet Gauland Sorgen
Auch Jens Spahn, der zweite konservative Kandidat im Rennen um den CDU-Vorsitz, bereitet der AfD-Spitze durchaus Sorgen. "Wir hätten es schwerer, wenn Herr Spahn mit seinen Positionen Parteivorsitzender würde", gibt Alexander Gauland unumwunden zu. Hauptgrund: der 38 Jahre alte Gesundheitsminister hat sich bislang am deutlichsten von der Flüchtlingspolitik Merkels abgesetzt - zuletzt in einem Gastbeitrag für die FAZ. Diese Kritik könnte weit in das Lager der AfD-Wähler hineinwirken. AfD-Parteichef Gauland wirft Spahn nach dessen Zeitungsbeitrag deshalb vor, er liefere zwar "eine richtige Analyse", aber "keine Lösungen" für unkontrollierte Zuwanderung.
Vergleichsweise sanft geht die AfD-Spitze mit der dritten prominenten Kandidatin um: CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer – die mutmaßliche Wunschnachfolgerin von Angela Merkel an der Parteispitze. Sie sehe "keinen großen programmatischen Unterschied zwischen den beiden", sagt Fraktionschefin Weidel. Die AfD sehe in Kramp-Karrenbauer vielleicht "gar keinen Gegner", sagt der Sozialwissenschaftler David Bebnowski – muss dabei aber schmunzeln. Kramp-Karrenbauer steht nicht für einen klaren Bruch mit Merkels Flüchtlingspolitik, aber für einen ähnlich ruhigen, vermittelnden Politikstil. Der AfD, die von Emotionen lebt, könnte das in die Hände spielen. Wenn die CDU so weitermache, werde es für die AfD leichter, sagt Bebnowski voraus.
Wer die CDU künftig anführt, entscheidet sich am 7. Dezember auf dem Parteitag in Hamburg. Eines ist aber sicher: die AfD wird gebannt hinsehen.
*An dieser Stelle hieß es zunächst, die AfD sei 2003 gegründet worden. Richtig ist 2013.