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CDU-Politiker optimistisch im Hinblick auf EU-Verfassung

    Heinlein: In Brüssel begrüße ich jetzt den CDU- Bundestagsabgeordneten Peter Altmaier. Er sitzt für die Union im Europäischen Konvent. Guten Morgen.

    Altmaier: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Altmaier, hat Giscard d'Estaing Recht: wird es morgen einen harmonischen Zieleinlauf geben?

    Altmaier: Das ist jedenfalls der Wille der Beteiligten. Es kann aber keinen Kompromiss um jeden Preis geben. Deshalb verhandeln wir - gestern war es nach Mitternacht und auch heute Morgen wird es wieder sehr früh weitergehen - bis zur letzten Sekunde, um diesen Entwurf so zu verbessern, dass wir ihn dann guten Gewissens zu Hause auch unseren Parlamenten und den Bürgerinnen und Bürgern vorstellen können. Wir sind aufgefordert, mit der Verfassung Probleme zu lösen, vor allen Dingen für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in der Welt, intern, aber auch, was die Transparenz und die Demokratie angeht.

    Heinlein: Kein Kompromiss um jeden Preis, haben Sie gerade gesagt. Könnte es in letzter Minute noch ein Scheitern geben?

    Altmaier: Ich glaube, wir alle wissen, dass ein solches Scheitern die Europäische Union in eine schwere Krise stürzen würde. Deshalb versuchen wir, am Ende zu einem Ergebnis zu kommen, das von der großen Mehrheit aller Delegierten getragen werden kann. Das bedeutet aber auch, dass das Präsidium des Konvents und dass sich der Präsident Giscard d'Estaing in dieser letzten Phase noch bewegen müssen. Ich bin optimistisch, dass es dazu kommt. Wir haben nämlich erreicht, dass die Parlamentarier aus dem Europäischen Parlament und aus den nationalen Parlamenten an einem Strang ziehen und sich damit auch gegen den einen oder anderen Diplomaten durchsetzen können, die versuchen, bestimmte nationale Partikularinteressen dort zu vertreten. Es gibt übrigens einen Bereich, wo ich persönlich eher pessimistisch bin: Das sind die Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik, die eigentlich notwendig wären. Hier zeigt sich aber, dass die nationalen Alleingänge im Vorfeld des Irak-Krieges die Atmosphäre sehr vergiftet und viel Misstrauen gesät haben. Das macht es jetzt schwierig, zu Mehrheitsentscheidungen zu kommen, die ja eigentlich in diesem Bereich notwendig wären.

    Heinlein: Kann also die europäische Außenpolitik weiterhin von einem einzelnen Mitgliedsstaat blockiert werden?

    Altmaier: Das wird im Augenblick nach allen Seiten hin geprüft. Wir versuchen, genau dies zu verhindern. Man darf auch nicht übersehen, dass wir in diesem Konvent sehr große Fortschritte erreicht haben, gerade auch in der Außenpolitik. Es wird einen europäischen Außenminister geben, es wird dazu kommen, dass die Europäische Union in wesentlich mehr Bereichen in der Außen- und Sicherheitspolitik eine eigene Position formulieren kann, allerdings in den meisten Fällen immer noch einstimmig. Das wollen wir versuchen zu ändern. Wir wollen erreichen, dass man zumindest dann, wenn die Europäische Kommission und der europäische Außenminister gemeinsam eine Initiative ergreifen, mit Mehrheit abstimmen kann. Wir werden sehen, was heute im Laufe des Tages möglich ist. Ich bin jedenfalls optimistisch, dass an dieser einen Frage der Konvent nicht scheitern wird.

    Heinlein: Was sind denn die Punkte, wo Sie keinen Kompromiss eingehen werden?

    Altmaier: Entscheidend ist, dass wir erreichen, die Handlungsfähigkeit zu stärken. Hier ist neben der Außenpolitik ganz wichtig, dass wir in fast allen wesentlichen Fragen der europäischen Innenpolitik in Zukunft mit Mehrheit entscheiden. Es gibt wichtige Ausnahmen: Wenn es ums Geld oder um Verfassungsänderungen geht, kann das natürlich nicht der Fall sein, aber in allen täglichen Fragen muss mit Mehrheit entschieden werden. Wir wollen zum zweiten, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Einfluss auf die europäische Politik bekommen, das heißt, dass das Europäische Parlament in Zukunft den Kommissionspräsidenten wählen kann. Das ist ganz wichtig, damit wir in Zukunft bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Wahlkämpfe haben mit Spitzenkandidaten der Parteien in Europa, mit Programmen, mit Mannschaften. Dann wird es so sein, dass die Bürger zwischen unterschiedlichen Politikentwürfen entscheiden können. Der dritte Punkt ist: Wir haben sehr dafür gekämpft, dass es zu einer vernünftigen Kompetenzabgrenzung kommt zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten. Es muss deutlich werden: Wer macht was? Hier ist es gerade auch den Konventsmitgliedern von CDU und CSU gelungen, wesentliche Verbesserungen im Verfassungsvertrag durchzusetzen. Zum Beispiel werden zum ersten Mal die Rechte der kommunalen Selbstverwaltung anerkannt. Es wird klargestellt, dass nationale Parlamente ein eigenständiges Klagerecht am Europäischen Gerichtshof haben, wenn es um das sogenannte Subsidiaritätsprinzip geht. Hier ist sehr viel mehr erreicht worden in den letzten anderthalb Jahren als auf jeder Regierungskonferenz in den letzten zehn Jahren zusammengenommen. Das macht mich optimistisch, dass wir auch heute in den letzten Stunden dieses Konvents noch den nötigen Durchbruch erreichen in den Punkten, wo es noch hakt.

    Heinlein: Wer stemmt sich denn gegen die Mehrheitsentscheidungen in den Bereichen, die Sie gerade genannt haben? Welche Länder sind das?

    Altmaier: Sie müssen sehen, dass es nicht so sehr eine Frage von Länderinteressen ist. Es ist sehr oft so, dass Diplomaten und Regierungsvertreter als Bedenkenträger versuchen, möglichst viel in der Einstimmigkeit zu behalten, weil das natürlich für jeden Regierungsvertreter einfach ist, mit dem nationalen Veto zu drohen und damit alle anderen zu erpressen. In einer Europäischen Union von 25 oder 27 Mitgliedsstaaten in wenigen Jahren ist aber einfach keine vernünftige Politik zu machen, wenn jedes einzelne Land alles blockieren kann.

    Heinlein: Das wäre also die Fortsetzung der europäischen Kleinstaaterei...

    Altmaier: Das wäre die Fortsetzung der Kleinstaaterei, die Übertragung der deutschen Kultusministerkonferenz auf die europäische Ebene. Das kann nicht funktionieren. Deshalb ist es wichtig, dass man die Möglichkeit schafft, dass ein einzelnes Land überstimmt wird. Das wird in der Praxis übrigens sehr selten vorkommen. Es wird aber dazu führen, dass die einzelnen Minister im Ministerrat wesentlich kompromissbereiter und konstruktiver an die Dinge herangehen. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt, den wir als Regelfall durchsetzen wollen, dass der Europäische Rat und der Ministerrat in der Regel mit Mehrheit entscheiden.

    Heinlein: Ist ein Beispiel für die Kleinstaaterei, die Sie gerade erwähnt haben, auch die Kritik von Ihrer Schwesterpartei, der CSU, die ja sehr lautstark sechzehn Forderungswünsche gestellt hat?

    Altmaier: Ich glaube, hier muss man differenzieren. Es gibt zum Glück und Gott sei Dank jetzt auch eine Diskussion in Deutschland über diesen Konvent und über seine Ergebnisse. Sie wird im Wesentlichen sehr verantwortlich geführt, wie etwa im Beitrag von Michel Klos in der FAZ vor wenigen Tagen. Es gibt allerdings auch Positionen, die in der Sache nicht zutreffend sind. Dazu gehören diese sechzehn Punkte, die zum Teil bereits überholt sind und zum Teil einfach auch rechtlich nicht zutreffend die Dinge darstellen. Sie werden nicht dem gerecht, was Erwin Teufel, Elmar Brok und die üblichen Vertreter von CDU/CSU im Konvent erreicht haben. Wir haben es geschafft, ganz wesentlich dazu beizutragen, dass die Kompetenzabgrenzung in Europa verbessert wird. Wir haben es geschafft, dass auch die Interessen der deutschen Bundesländer in diesem Konvent wesentlich berücksichtigt worden sind. Wir haben erreicht, dass sich Europa auch als Wertegemeinschaft definiert. In einer Welt, die zunehmend globalisiert, die zunehmend säkularisiert ist, ist es wichtig, dass wir deutlich machen: Europa ist mehr als nur ein Binnenmarkt mit freiem Warenverkehr.

    Heinlein: Einen Punkt, Herr Altmaier, konnten Sie aber nicht durchsetzen: den Bezug auf Gott in der Präambel. Können Sie das verschmerzen, Sie und die CSU?

    Altmaier: Wir haben sehr intensiv dafür gekämpft. Was wir erreicht haben, ist ein Fortschritt, der bislang noch in keinem europäischen Vertrag stand, nämlich eine Bezugnahme auf die kulturellen und die religiösen Traditionen in Europa. Das ist ganz wichtig, weil es auf die letzten 2000 Jahre abendländischer Geschichte verweist. Mehr war nicht drin, weil es Länder wie beispielsweise Frankreich gibt, wo zwar die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung katholisch ist, wo es aber eine laizistische Tradition gibt, nach der solche Bezüge in der Verfassung keinen Platz haben. Da haben wir mit allen Mitteln gekämpft. Ich denke, das, was wir jetzt erreicht haben - nämlich eine Anerkennung des rechtlichen Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch die europäische Verfassung und einen Bezug auf die religiösen Traditionen in Europa - ist ein Riesenfortschritt im Vergleich zum jetzigen Zustand. Damit können wir uns auch gegenüber den beiden großen Kirchen in Deutschland sehen lassen.

    Heinlein: Der CDU-Politiker Peter Altmaier heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Brüssel.

    Altmaier: Schönen Dank, Herr Heinlein.

    Link: Interview als RealAudio