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CDU-Politiker von Voss: "Schluss mit lustig"

Breker: Am Telefon begrüße ich Rüdiger von Voss, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates. Herr Voss, gibt es von Ihrer Seite aus Beifall für Edmund Stoiber?

Moderator: Gerd Breker |
    von Voss: Es ist ja nicht nur Edmund Stoiber. Es ist die Tariflandschaft der Länder, die sich dazu entschlossen hat, diesen Weg einzuschlagen, und ich bin ganz sicher, dass dies mittelfristig zu einer Spaltung der Gewerkschaften von den Beschäftigten in Deutschland führen wird. Im letzten Jahr haben wir 400.000 Arbeitsplätze verloren, in den letzten beiden Jahren 700.000 Arbeitsplätze. Es ist Schluss mit lustig in Deutschland. Ich glaube, dass die Arbeitszeitverlängerung unvermeidlich ist, wenn Deutschland konkurrenzfähig bleiben will.

    Breker: Daraus lerne ich, dass Sie dafür sind, dass wenn ver.di streikt, die öffentlichen Arbeitgeber es ruhig darauf ankommen lassen können?

    von Voss: Es wird in den Familien der Beschäftigten eine nüchterne Debatte geführt werden: Willst du Deinen Arbeitsplatz behalten, ja oder nein? Wir wissen ja alle, dass Deutschland in der Arbeitszeitfrage im Ranking der vergleichbaren Staaten unten an der Latte steht. Westdeutschland: 1575 Stunden, Amerika: 1904 Stunden. Man kann doch nicht sagen, dass Amerika nicht konkurrenzfähig ist und dass dort die breite Verelendung im Gange ist. Wir Deutschen müssen lernen, auf die ökonomischen Fakten einer globalisierten Welt Rücksicht zu nehmen und deswegen werden wir nicht daran vorbei kommen - wenn wir nicht weitere Wohlstandsverluste haben wollen - die Arbeitszeit in Deutschland schrittweise zu verlängern.

    Breker: Sie bauen also darauf, dass, wie das Meinungsumfrageinstitut Forsa herausgefunden hat, die Mehrheit der meisten Deutschen durchaus bereit ist, mehr zu arbeiten, ohne Lohnausgleich?

    von Voss: Es ist ja nicht nur Forsa. Es sind alle Umfragen, auch die Fernsehumfragen zeigen, dass die Deutschen heute in einer Größenordnung von 70 Prozent wissen, dass Reformen kommen müssen, also auch eine Reform der Arbeitszeit in Deutschland. Und das bedeutet eine schrittweise Verlängerung der Wochenarbeitszeit. Und ich sage ausdrücklich dazu, damit keine Illusionen in Deutschland entstehen: Wenn wir die Alterssicherung in Deutschland auf einer stabilen Grundlage halten wollen, werden wir auch die Lebensarbeitszeit verlängern müssen. Wir sind sicher, dass dies noch in den nächsten Jahren passieren wird, dass die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre erhöht wird.

    Breker: Es droht um die Wochenarbeitszeit nun ein Streik. Ist das der richtige Moment und ist das das richtige Thema, um nun die Gewerkschaftsmacht zu beschneiden?

    von Voss: Dass die Gewerkschaftsmacht in Deutschland auf eine reale Grundlage zurückgeführt werden muss, ist allen deutlich. Einer der Gründe, warum wir Deutschen in eine solche Schwierigkeit geraten sind, ist darin zu sehen, dass wir seit Jahren uns weigern, auf die neuen Realitäten Rücksicht zu nehmen. Das ist ja auch das große Problem der jetzt regierenden Koalition. Die Agenda wird nur dann zu einem Erfolg führen, wenn es zu einer breiten Flexibilisierung der Arbeitszeiten in Deutschland kommt und es wird niemand darunter wirklich zu leiden haben. Die Entscheidung heißt: Verlust des Arbeitsplatzes, oder aber die Bereitschaft, länger zu arbeiten, um den Betrieb, in dem man arbeit, konkurrenzfähig zu halten und keine weitere Abwanderung von Arbeitskräften und Investitionen in uns herumliegende Länder zu riskieren. Diese Entwicklung ist im Gang. Da können sich die Gewerkschaften auf den Kopf stellen, und ich halte diese Art, der Vorgehensweise der Gewerkschaften für verantwortungslos. Man kann im Bereich der Chemie sehen, wie elegant und flexibel dort reagiert wird und darauf könnte auch der Vorsitzende des DGB und vor allen Dingen Herr Bsirske, der ein unverantwortlicher Scharfmacher ist, Rücksicht nehmen. Wir können uns verständigen, indem wir die Arbeitsplätze erhalten. Das ist der beste Konsens, der in Deutschland erreicht werden kann und erreicht werden muss.

    Breker: Sie haben die freie Wirtschaft schon angesprochen, der öffentliche Dienst wird hier nur Vorreiter sein. Alsbald haben wir die gleichen Auseinandersetzungen in den einzelnen Wirtschaftsbranchen. Siemens hat ja gerade ein Beispiel gegeben, da wird mit der Drohung, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, verhandelt, sprich, weniger Geld, es soll preiswerter werden. Ist das denn eigentlich wirklich die Lösung, oder ist das nicht zu kurzfristig gedacht, denn eigentlich gewinnt man nur Zeit. Auf Dauer sind Länder wie Ungarn von den Arbeitslöhnen her einfach preiswerter, billiger.

    von Voss: Wir können doch nicht gegen die Realitäten angehen. Ideologie ist doch kein Mittel, um Realitäten zu überspringen. In Ungarn erarbeiten die dort arbeitenden deutschen Unternehmen mit den ungarischen Beschäftigten bereits 40 Prozent des Bruttosozialproduktes dieses Landes. Gehen Sie nach Tschechien, gehen Sie in unsere umliegenden Staaten, nach Polen, überall gibt es qualifiziert Beschäftigte. Und die Unternehmer haben die Pflicht, ihre Unternehmen zu erhalten, also auch Arbeitsplätze. Deswegen wird in Deutschland eine breite Bewegung einsetzen, auch in der Tariflandschaft, dass insbesondere im Mittelstand die Beschäftigten und die Unternehmensleitungen einen neuen Pakt der Beschäftigung schließen. Die Zentralen der Gewerkschaften sind offenbar nicht bereit zu sehen, dass die Beschäftigten bereits mit den Füßen abstimmen, im Interesse der Arbeitsplätze in ihren Unternehmen, im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens, wo sie konkret arbeiten. Das ist keine ideologische Frage, es ist eine praktische Frage der Existenzerhaltung der Sicherung der Lohneinkommen. Insoweit, da bin ich sicher, werden wir an einer breit angelegten Verlängerung der Arbeitszeiten in Deutschland nicht herum kommen, wenn wir dieses Land auf gesunde Füße stellen wollen.

    Breker: Das bedeutet, die Arbeitnehmer müssen den Preis zahlen, eine Art Niedriglohn zu akzeptieren?

    von Voss: Das ist doch gar nicht gesagt. Wer länger arbeitet, erhält seinen Lohn wie bisher. Das haben die Unternehmer nun dauernd gesagt. Lohnsicherung steht im Fordergrund aller Überlegungen. Sicherung der Löhne und Sicherung der konkreten Arbeitsplätze. Niemand beabsichtigt eine Verelendung in Deutschland. Insoweit haben wir aus der Vergangenheit gelernt. Wir haben über lange Zeiten länger gearbeitet, als es heute der Fall ist. In Ostdeutschland arbeiten die Beschäftigten mehr als 100 Stunden im Jahr länger, als wir im Westen. Was muten wir uns eigentlich gegenseitig zu? Ich bin sicher, wir werden an einer vernünftigen Neueinstellung der Arbeitszeiten nicht herum kommen und deswegen ist der 1. Mai, so wie er jetzt von ver.di angelegt wird, ein Kampf der Vergangenheit und nicht ein Kampf für die Zukunft.