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CDU-Politikerin befürchtet Lockerung der Stammzellengesetzgebung

Lange: Frau Böhmer, diese Zuversicht von Herrn Winnacker, die teilen Sie nicht. Warum?

    Böhmer: Wir haben schon beim Stammzellengesetz ähnliche Argumentationsmuster gehört, wie sie jetzt die Bundesjustizministerin vertritt. Damit kommen wir zum Punkt: Ab wann ist menschliches Leben zu schützen? Der Bundestag hat wiederholt gesagt: von Anfang an. Anfang bedeutet die Verschmelzung der Ei- und Samenzelle. Dann entsteht menschliches Leben und ab da kommt ihm voller Schutz zu, auch der Schutz der Menschenwürde. Dieses stellt jetzt Frau Zypries in Abrede. Damit öffnet sie die Tür zur Willkür. Das geht nicht!

    Lange: Aber das bestehende Gesetz soll ja bestehen bleiben. Sie sagt es geht um die Auslotung des Spielraums, den dieses Gesetz bietet. Warum ist das aus Ihrer Sicht trotzdem bedenklich?

    Böhmer: Es ist bedenklich, weil sie bei der Grundlage dieses Gesetzes ansetzt. Die Grundlage ist das, was im Grundgesetz niedergelegt ist: der Schutz menschlichen Lebens. Wenn man die Axt an die Grundlage legt, dann ist auch vieles andere im Wanken. Insofern teile ich auch nicht die Auffassung, die Professor Winnacker eben geäußert hat, dass hier kein Dammbruch damit verbunden wäre. Man kann beim menschlichen Leben nicht sagen, es gibt einen halben Schutz. Entweder schützt man menschliches Leben oder man gibt es frei. Uns hat die Sorge im Bundestag umgetrieben und wir haben damals eine klare Entscheidung getroffen, dass kein Embryo für die Forschung in Deutschland getötet werden soll. Das ist die Maßgabe, die sich mit dem Stammzellengesetz verbindet. Wir haben Forschern durch eine Ausnahmeregelung für existierende Stammzelllinien die Möglichkeiten gegeben, Grundlagenforschung unter sehr restriktiven Bedingungen zu machen, und die Forscher haben uns immer wieder gesagt, diese Regelung reicht aus. Ich verstehe nicht, warum man jetzt nach anderthalb Jahren erneut auf diesen Punkt zurückkommt. Das bedeutet man will das Gesetz lockern und man will die grundgesetzlich verbriefte Menschenwürde in Frage stellen.

    Lange: Frau Böhmer, beseitigt diese Neubewertung durch die Justizministerin nicht eine sagen wir zwiespältige Moral, die von vornherein in dem Gesetz auch angelegt ist, dass man Stammzelllinien importieren darf, aber aus überschüssigen Embryonen selbst keine gewinnen darf?

    Böhmer: Der Kern des Gesetzes ist ja der, dass wir Embryonen schützen wollen, schützen, weil Embryonen sich nicht zu Menschen entwickeln, sondern sich schon als Mensch entwickeln. Das volle Programm des Menschen ist gegeben. Wir können die Tötung nicht mehr rückgängig machen für die Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen worden sind, die vor dem 1. 1. 2002 existieren. Ich weiß um diese Problematik. Das war uns sehr wohl bewusst. Wir haben damit aber auch eine klare Grenzziehung gemacht, dass keine neuen Embryonen getötet werden sollen, ob sie jetzt überzählig sind oder auf andere Art und Weise erzeugt worden sind. Vor allen Dingen muss man bedenken, wenn von therapeutischer Anwendung immer wieder die Rede ist. Das ist Zukunftsmusik und wir wecken hier Hoffnungen bei Schwerstkranken, die lange nicht zu erfüllen sind und möglicherweise überhaupt nicht einzulösen sind. Wir haben aber Alternativen, die jetzt schon in der Krebstherapie eingesetzt werden, im Bereich der adulten Stammzelltherapien. Wir haben die Möglichkeit, auf andere Art und Weise Stammzellen zu gewinnen, und es geht darum, das medizinisch Mögliche und das ethisch Vertretbare in unserem Land nach vorne zu bringen und sich darauf zu konzentrieren, statt immer wieder die Diskussion um die embryonalen Stammzellen zu führen.

    Lange: Ich verstehe Sie so, dass Sie sagen, lasst uns mit dem vorhandenen Gesetzt jetzt so arbeiten. Die Zeit wird vielleicht zeigen, dass wir später an diese Frage gar nicht mehr ran müssen?

    Böhmer: So ist es! Es gibt ja neuere Forschungen auch aus den USA, übrigens von einem deutschen Wissenschaftler, Professor Schöhler, der einen völlig neuen Weg zeigt. Ich war jetzt auch in verschiedenen Forschungsinstituten, habe dort Nabelschnurstammzellbanken kennen gelernt, sehe was sich in der Krebstherapie tut, etwa im Bereich Leukämie bei Kindern, enorme Fortschritte dort in der Bekämpfung, in der Heilung. Das müssen wir stärken. Wir haben immer wieder gesagt, wir wollen Deutschland zu einem Zentrum ausbauen im Bereich der adulten Stammzellenforschung. Die Diskussion, die momentan von Frau Zypries angestoßen ist, die sehe ich als geradezu feindlich für all diese Ansätze an, weil sie die Diskussion um dieses reiche Feld der Bio- und Gentechnologie belastet, erneut belastet, wo wir mit unserem Gesetz, dem Stammzellgesetz, was im Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedet worden ist, einen Konsens hergestellt haben. Von diesem Konsens sollten wir ausgehen und nicht immer wieder dieses Gesetz in Frage stellen.

    Lange: Sehen Sie denn, dass sich im Bundestag die Dinge im Fluss befinden, dass sich das wandelt? Haben die Gegner der Auffassung von der Menschenwürde, wie sie die Justizministerin formuliert hat, noch mehr als hinhaltenden Widerstand zu leisten?

    Böhmer: Wir haben gerade in den letzten Tagen im deutschen Bundestag ja über das generelle internationale Klonverbot debattiert. Wir haben auch darüber debattiert, ob mit deutschen Finanzmitteln die verbrauchende Embryonenforschung auf EU-Ebene gefördert werden darf. Bei dem letzten Punkt gab es eine Abstimmung. Es gab keine einzige Stimme, die dieses im deutschen Bundestag befürwortet hat, außer der Fraktion der FDP. Wir haben hier in der Frage Schutz des Lebens von Anfang an immer einen großen Konsens gehabt, beim Embryonenschutzgesetz, beim Stammzellengesetz, und in dieser Legislaturperiode erneut, als es um das generelle Klonverbot gegangen ist. Wir haben also eine Grundposition, die über die Fraktionsgrenzen hinweg von der großen Mehrheit des deutschen Bundestages gestützt ist.

    Lange: Aber es gibt einen erheblichen Druck aus der Forschungspolitik, auch aus der europäischen Forschungspolitik. Wird man dem Stand halten können?

    Böhmer: Ich glaube es kommt jetzt darauf an, dass wir nicht nur nationale Regelungen haben, sondern dass wir diese Regelung auch auf internationaler Ebene zur Geltung bringen. Wenn wir nach Spanien schauen sieht man, dass dort eine Wende eingeleitet worden ist, dass man sagt es ist klug, so zu handeln wie in Deutschland, dass im Bereich der in-vitro-Vertilisation nur drei Embryonen erzeugt werden dürfen, die dann auch eingepflanzt werden müssen, um schlichtweg dieses Problem der überzähligen Embryonen zu vermeiden. Wir haben mit unserem Gesetz denke ich sehr zukunftsorientiert gehandelt. Als ich in den USA war wurde mir sowohl von politischer Seite als auch von wissenschaftlicher Seite gesagt: das was wir ermöglichen reicht völlig aus, über Jahre hinweg, und es ist für Wissenschaftler viel attraktiver, an den gleichen Stammzelllinien zu forschen, weil damit Vergleichsmöglichkeiten da sind. Neue Stammzelllinien würden eher Verwirrung bringen und sich für die Wissenschaft schleppend auswirken. Insofern haben wir hier ethisch sehr verantwortlich gehandelt, aber auch für die Wissenschaft eine Möglichkeit gegeben zur Vergleichsuntersuchung. Und wir haben gesagt das Ziel von dieser Vergleichsmöglichkeit muss sein, im Bereich der adulten Stammzellforschung schneller voranzukommen, weil ethisch unproblematisch und medizinisch höchst attraktiv.

    Lange: Das war Maria Böhmer, die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. – Danke schön für das Gespräch, Frau Böhmer, und auf Wiederhören!