Gerd Breker: Die SPD bereitet gemeinsam mit den Gewerkschaften die Einführung tariflicher und gesetzlicher Mindestlöhne für die gesamte Wirtschaft vor. Ein zweistufiges Modell dazu könnte dann in die Beratungen einer Regierungskommission einfließen, die bis Ende Oktober ein Gesamtkonzept für den Niedriglohnsektor erarbeiten soll. Die Pläne gehen aber ausdrücklich über den Koalitionsvertrag hinaus. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Ralf Brauksiepe, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der Unionsfraktion. Guten Tag, Herr Brauksiepe!
Ralf Brauksiepe: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: Herr Brauksiepe, bevor wir zum Umgangsstil kommen, zur Sache selbst. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen einen Mindestlohn?
Brauksiepe: Gegen tarifliche Vereinbarungen spricht aus meiner Sicht überhaupt nichts. Da haben wir auch in Deutschland eine gute Tradition. Deswegen haben wir ja auch vereinbart, die Gebäudereiniger ins Entsendegesetz aufzunehmen. Das ist der im Koalitionsvertrag vorgesehene Weg. Wir haben auch verabredet, dass wir prüfen, weitere Branchen dorthin aufzunehmen, wenn sich soziale Verwerfungen in der Branche nachweisen lassen. Ein staatlich festgesetzter gesetzlicher Mindestlohn ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg.
Breker: Warum nicht?
Brauksiepe: Weil er natürlich bedeuten würde, dass all die tariflichen Vereinbarungen, die abgeschlossen worden sind, dann nicht mehr greifen würden. Für uns hat die Tarifautonomie Vorrang. Wir haben tariflich vereinbarte Löhne. Die liegen deutlich unter allen gesetzlichen Mindestlöhnen, die da diskutiert werden: seien das die 7,50 Euro des DGB, seien es die 6 Euro, die Herr Müntefering ins Gespräch gebracht hat. All diese Tarifverträge, die ja von den Tarifvertragsparteien geschlossen wurden mit Höhen, die darunter liegen, kämen dann nicht mehr zur Anwendung. Ich weiß nicht, wie diese Arbeit dann legal ausgeführt werden sollte, wenn nicht zu den von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Löhnen. Und es kann ja nicht unser Ziel sein, dass diese Beschäftigungsverhältnisse dann wegfallen. Wir wollen mehr Arbeitsplätze schaffen und nicht weniger und ich sehe nicht, wie wir das auf diesem Weg erreichen sollten.
Breker: Aber die Union, Herr Brauksiepe, ist auch der Ansicht, dass ein Mensch, der arbeitet, von seiner Arbeit auch leben können muss?
Brauksiepe: Das sollte der Regelfall sein, wobei man natürlich deutlich sagen muss: Der Unternehmer kann nur einen Lohn zahlen, der der Arbeit entspricht. Natürlich sind wir dafür, dass Arbeit existenzsichernd ist. Das sollte die Regel sein. Aber ein Lohn, der für einen Alleinstehenden existenzsichernd ist, der ist unter Umständen für jemanden, der eine Familie mit vielen Kindern zu ernähren hat, dann nicht existenzsichernd. Das kann nicht der Unternehmer ausgleichen. Der kann für die gleiche Arbeit nur den gleichen Lohn zahlen. Da ist dann der Staat gefordert, mit einem intelligenten Kombilohn dafür zu sorgen, dass auch diese Menschen arbeiten, dass es sich auch für sie lohnt zu arbeiten. Das sind die Themen, über die wir im Herbst sprechen müssen. Grundsätzlich ist aber klar: Vollzeitarbeit sollte existenzsichernd sein und ich gehe davon aus, dass das auch in der Regel über Tarifvertragliche Vereinbarungen möglich ist.
Breker: Wenn das so ist wie nachzulesen ist, Herr Brauksiepe, dass im Westen lediglich 70 Prozent der Unternehmen überhaupt noch organisiert sind, so dass die Tarifparteien da überhaupt agieren können, und im Osten sind es noch weniger, teilweise in manchen Branchen weniger als die Hälfte, muss dann nicht der Gesetzgeber sozusagen für die Tarifparteien einspringen mit einem Mindestlohn?
Brauksiepe: Richtig ist, dass die Bindungskraft der Tarifvertragsparteien nachgelassen hat und genau dafür gibt es ja das Entsendegesetz beispielsweise als eine gesetzliche Regelung, die den Verabredungen von Tarifvertragsparteien höhere Durchschlagskraft verleihen kann. Deswegen haben wir uns ja auch im Grundsatz auf diesen Weg verständigt. Und ich sage noch mal: Wir sind sehr wohl dafür, soziale Verwerfungen in welcher Branche auch immer zu verhindern. Also es kann nicht darum gehen, dass bei uns Dumping-Löhne um sich greifen. Lohndrückerei wollen wir nicht. Das lehnen wir ab. Deswegen haben wir eine ganz klare Verabredung. Wo es solche sozialen Verwerfungen gibt, da können wir auch den Weg über gesetzliche Regelungen gehen. Nur ich bin nicht der Meinung, dass unsere ganze Wirtschaft, sämtliche Branchen unserer Wirtschaft geprägt sind durch soziale Verwerfungen, die von entsendeten Arbeitnehmern ausgelöst worden sind. Das ist nicht mein Eindruck von der deutschen Wirtschaft und deswegen geht es hier nicht um Pauschalen, sondern man muss sich dann die Situation in den einzelnen Branchen ansehen, so wie es vor Jahren in der Baubranche passiert ist, wie wir es jetzt für die Gebäudereiniger verabredet haben, und dann muss man auf die Branchen bezogen entsprechende Lösungen finden. Ich gebe Ihnen Recht: Da wo die Bindungskraft der Tarifvertragsparteien nachlässt, kann der Staat nicht die Augen verschließen und sagen, das geht uns gar nichts an. Wir brauchen aber hier auf die einzelne Branche bezogene sachgerechte Lösungen.
Breker: Sie haben, Herr Brauksiepe, eben die Kombilöhne angesprochen. Die Philosophie der Kombilöhne ist ja eine andere, nicht die, dass man von seiner Arbeit leben soll, sondern die Arbeit hat den Preis und was man zum Leben braucht zahlt der Staat drauf. Das ist eine ganz andere Philosophie als der Mindestlohn.
Brauksiepe: Nein, überhaupt nicht! Ich kann diesen Unterschied nicht sehen, wie Sie den beschreiben.
Breker: Der Unterschied besteht darin, dass man zum einen sagt, man bekommt mindestens den Lohn, damit man davon leben kann, und beim anderen wird gesagt, die Arbeit ist das wert und damit man davon leben kann, zahlt der Staat drauf.
Brauksiepe: Es geht beim Kombilohn um eine intelligente Kombination aus Markteinkommen, das der Unternehmer zu zahlen hat, und einem Transfereinkommen, das der Arbeitnehmer bekommt, damit es auch für ihn lohnenswert ist, diese Arbeit aufzunehmen in seiner ganz konkreten Situation. Darum geht es und das ist das, worüber wir zu sprechen haben.
Breker: Diese Idee allerdings ist nicht neu. Kombilöhne hat es in Modellversuchen schon verschiedentlich gegeben und kaum irgendwo hat es funktioniert.
Brauksiepe: Das ist richtig. Auf der anderen Seite ist das ein Totschlagsargument, das wir für die gesamte Arbeitsmarktpolitik anwenden können. Mit diesem Argument können Sie im Grunde gegen alles sprechen, was wir mit Milliardenaufwand in der Arbeitsmarktpolitik tun. Schon der frühere Wirtschaftsminister Clement hat ja gesagt, gemessen an dem Geld, das wir für Arbeitsmarktpolitik ausgeben, sind wir bemerkenswert erfolglos. Aber das kann uns doch nicht ruhen lassen. Wir sind zwar auf einem guten Weg, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht. Alle Statistiken zeigen das. Aber wir müssen doch versuchen, auch das Instrumentarium, das wir bisher angewandt haben, effektiver einzusetzen oder eben zu ändern. Deswegen wollen wir ja nicht ein neues Kombilohnmodell neben bestehende stellen, sondern wir wollen natürlich die verschiedenen Regelungen, die es schon gibt im Bereich Hartz IV beispielsweise, wo es faktisch ein Kombilohnmodell gibt, das so aber niemand wollte, sinnvoll zusammenführen zu einem neuen Kombilohnmodell, das in sich schlüssig ist und die Menschen, die es erreichen soll, auch tatsächlich erreicht.
Ralf Brauksiepe: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: Herr Brauksiepe, bevor wir zum Umgangsstil kommen, zur Sache selbst. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen einen Mindestlohn?
Brauksiepe: Gegen tarifliche Vereinbarungen spricht aus meiner Sicht überhaupt nichts. Da haben wir auch in Deutschland eine gute Tradition. Deswegen haben wir ja auch vereinbart, die Gebäudereiniger ins Entsendegesetz aufzunehmen. Das ist der im Koalitionsvertrag vorgesehene Weg. Wir haben auch verabredet, dass wir prüfen, weitere Branchen dorthin aufzunehmen, wenn sich soziale Verwerfungen in der Branche nachweisen lassen. Ein staatlich festgesetzter gesetzlicher Mindestlohn ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg.
Breker: Warum nicht?
Brauksiepe: Weil er natürlich bedeuten würde, dass all die tariflichen Vereinbarungen, die abgeschlossen worden sind, dann nicht mehr greifen würden. Für uns hat die Tarifautonomie Vorrang. Wir haben tariflich vereinbarte Löhne. Die liegen deutlich unter allen gesetzlichen Mindestlöhnen, die da diskutiert werden: seien das die 7,50 Euro des DGB, seien es die 6 Euro, die Herr Müntefering ins Gespräch gebracht hat. All diese Tarifverträge, die ja von den Tarifvertragsparteien geschlossen wurden mit Höhen, die darunter liegen, kämen dann nicht mehr zur Anwendung. Ich weiß nicht, wie diese Arbeit dann legal ausgeführt werden sollte, wenn nicht zu den von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Löhnen. Und es kann ja nicht unser Ziel sein, dass diese Beschäftigungsverhältnisse dann wegfallen. Wir wollen mehr Arbeitsplätze schaffen und nicht weniger und ich sehe nicht, wie wir das auf diesem Weg erreichen sollten.
Breker: Aber die Union, Herr Brauksiepe, ist auch der Ansicht, dass ein Mensch, der arbeitet, von seiner Arbeit auch leben können muss?
Brauksiepe: Das sollte der Regelfall sein, wobei man natürlich deutlich sagen muss: Der Unternehmer kann nur einen Lohn zahlen, der der Arbeit entspricht. Natürlich sind wir dafür, dass Arbeit existenzsichernd ist. Das sollte die Regel sein. Aber ein Lohn, der für einen Alleinstehenden existenzsichernd ist, der ist unter Umständen für jemanden, der eine Familie mit vielen Kindern zu ernähren hat, dann nicht existenzsichernd. Das kann nicht der Unternehmer ausgleichen. Der kann für die gleiche Arbeit nur den gleichen Lohn zahlen. Da ist dann der Staat gefordert, mit einem intelligenten Kombilohn dafür zu sorgen, dass auch diese Menschen arbeiten, dass es sich auch für sie lohnt zu arbeiten. Das sind die Themen, über die wir im Herbst sprechen müssen. Grundsätzlich ist aber klar: Vollzeitarbeit sollte existenzsichernd sein und ich gehe davon aus, dass das auch in der Regel über Tarifvertragliche Vereinbarungen möglich ist.
Breker: Wenn das so ist wie nachzulesen ist, Herr Brauksiepe, dass im Westen lediglich 70 Prozent der Unternehmen überhaupt noch organisiert sind, so dass die Tarifparteien da überhaupt agieren können, und im Osten sind es noch weniger, teilweise in manchen Branchen weniger als die Hälfte, muss dann nicht der Gesetzgeber sozusagen für die Tarifparteien einspringen mit einem Mindestlohn?
Brauksiepe: Richtig ist, dass die Bindungskraft der Tarifvertragsparteien nachgelassen hat und genau dafür gibt es ja das Entsendegesetz beispielsweise als eine gesetzliche Regelung, die den Verabredungen von Tarifvertragsparteien höhere Durchschlagskraft verleihen kann. Deswegen haben wir uns ja auch im Grundsatz auf diesen Weg verständigt. Und ich sage noch mal: Wir sind sehr wohl dafür, soziale Verwerfungen in welcher Branche auch immer zu verhindern. Also es kann nicht darum gehen, dass bei uns Dumping-Löhne um sich greifen. Lohndrückerei wollen wir nicht. Das lehnen wir ab. Deswegen haben wir eine ganz klare Verabredung. Wo es solche sozialen Verwerfungen gibt, da können wir auch den Weg über gesetzliche Regelungen gehen. Nur ich bin nicht der Meinung, dass unsere ganze Wirtschaft, sämtliche Branchen unserer Wirtschaft geprägt sind durch soziale Verwerfungen, die von entsendeten Arbeitnehmern ausgelöst worden sind. Das ist nicht mein Eindruck von der deutschen Wirtschaft und deswegen geht es hier nicht um Pauschalen, sondern man muss sich dann die Situation in den einzelnen Branchen ansehen, so wie es vor Jahren in der Baubranche passiert ist, wie wir es jetzt für die Gebäudereiniger verabredet haben, und dann muss man auf die Branchen bezogen entsprechende Lösungen finden. Ich gebe Ihnen Recht: Da wo die Bindungskraft der Tarifvertragsparteien nachlässt, kann der Staat nicht die Augen verschließen und sagen, das geht uns gar nichts an. Wir brauchen aber hier auf die einzelne Branche bezogene sachgerechte Lösungen.
Breker: Sie haben, Herr Brauksiepe, eben die Kombilöhne angesprochen. Die Philosophie der Kombilöhne ist ja eine andere, nicht die, dass man von seiner Arbeit leben soll, sondern die Arbeit hat den Preis und was man zum Leben braucht zahlt der Staat drauf. Das ist eine ganz andere Philosophie als der Mindestlohn.
Brauksiepe: Nein, überhaupt nicht! Ich kann diesen Unterschied nicht sehen, wie Sie den beschreiben.
Breker: Der Unterschied besteht darin, dass man zum einen sagt, man bekommt mindestens den Lohn, damit man davon leben kann, und beim anderen wird gesagt, die Arbeit ist das wert und damit man davon leben kann, zahlt der Staat drauf.
Brauksiepe: Es geht beim Kombilohn um eine intelligente Kombination aus Markteinkommen, das der Unternehmer zu zahlen hat, und einem Transfereinkommen, das der Arbeitnehmer bekommt, damit es auch für ihn lohnenswert ist, diese Arbeit aufzunehmen in seiner ganz konkreten Situation. Darum geht es und das ist das, worüber wir zu sprechen haben.
Breker: Diese Idee allerdings ist nicht neu. Kombilöhne hat es in Modellversuchen schon verschiedentlich gegeben und kaum irgendwo hat es funktioniert.
Brauksiepe: Das ist richtig. Auf der anderen Seite ist das ein Totschlagsargument, das wir für die gesamte Arbeitsmarktpolitik anwenden können. Mit diesem Argument können Sie im Grunde gegen alles sprechen, was wir mit Milliardenaufwand in der Arbeitsmarktpolitik tun. Schon der frühere Wirtschaftsminister Clement hat ja gesagt, gemessen an dem Geld, das wir für Arbeitsmarktpolitik ausgeben, sind wir bemerkenswert erfolglos. Aber das kann uns doch nicht ruhen lassen. Wir sind zwar auf einem guten Weg, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht. Alle Statistiken zeigen das. Aber wir müssen doch versuchen, auch das Instrumentarium, das wir bisher angewandt haben, effektiver einzusetzen oder eben zu ändern. Deswegen wollen wir ja nicht ein neues Kombilohnmodell neben bestehende stellen, sondern wir wollen natürlich die verschiedenen Regelungen, die es schon gibt im Bereich Hartz IV beispielsweise, wo es faktisch ein Kombilohnmodell gibt, das so aber niemand wollte, sinnvoll zusammenführen zu einem neuen Kombilohnmodell, das in sich schlüssig ist und die Menschen, die es erreichen soll, auch tatsächlich erreicht.