Wagener: Ziemlich kontrovers die bisherige Meinungsbildung sogar in der Spitze der Partei. Verwundert Sie das?
Polenz: Die CDU hat eine Zuwanderungskommission eingesetzt, um die offenen Fragen zu klären. Diese Zuwanderungskommission wird von dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller geleitet. Sie wird bis zum Ende dieses Jahres erste Antworten vorlegen auf die Fragen, über die wir in der Tat Klarheit brauchen. Es geht um Integration der hier lebenden Ausländer, es geht um die Öffnung Deutschlands für die Fachkräfte, die die Wirtschaft braucht, und es geht natürlich darüber hinaus auch um eine Begrenzung der Zuwanderung auf diejenigen, die wegen politischer Verfolgung oder vor Krieg und Bürgerkrieg bei uns Zuflucht brauchen.
Wagener: Sie sagen, diese Ergebnisse der Kommission sollen noch veröffentlicht werden. Aber ist es da nicht erst recht erstaunlich, dass jetzt vor dieser Veröffentlichung schon Stimmen laut werden, und zwar genau von den Leuten, die in der Kommission sitzen wie Peter Müller beispielsweise?
Polenz: Eine demokratische Partei wie die CDU führt eine solche Diskussion natürlich nicht allein hinter verschlossenen Türen, sondern auch in aller Öffentlichkeit. Dass es dort zu den einzelnen Punkten unterschiedliche Auffassungen gibt, ist nicht ungewöhnlich. Wir werden uns aber auf Eckwerte bis zum Jahresende, denke ich, verständigen. Eines ist jedoch ganz sicher, und insofern verstehe ich einen Teil der aufgeregten Stimmen vom vergangenen Wochenende überhaupt nicht: Die CDU ist mit diesen Themen immer verantwortungsbewusst umgegangen und es braucht sich niemand Sorgen darüber zu machen, dass es eine ungute Emotionalisierung geben könnte. Wir wissen schon, dass das Thema der Ausländerpolitik einer besonderen Sensibilität bedarf.
Wagener: Aufhorchen lässt allerdings, dass die CDU, die sich ja in den letzten Jahrzehnten traditionell sehr wirtschaftsfreundlich gezeigt hat, nun doch eine politische Stoßrichtung in dieser Frage zumindest bei einigen Abgeordneten eingenommen hat gegen Argumente der Industrie?
Polenz: Das sehe ich nicht so. Was wir kritisiert haben ist, dass die sogenannte Greencard-Regelung von Schröder nicht ausreicht, dass sie etwa nur die IT-Berufe ergreift und dass sie vor allen Dingen die Fehler der Gastarbeiter-Anwerbung aus den 70er Jahren wiederholt. Hier haben wir eher gemeinsam mit der Wirtschaft für weiteren Nachbesserungsbedarf reklamiert und finden, dass es hier umfassendere Lösungen braucht, als sie die Regierung bisher vorgeschlagen hat.
Wagener: Es gibt ja ein schönes Beispiel aus diesem Sommer. Großbritannien hat sehr schnell und unspektakulär ein Programm zur Rekrutierung von 10.000 Fachkräften aus dem Ausland für das britische Gesundheitswesen aufgelegt, eine sehr rationale Entscheidung, da der eigene Markt ja die Lücken offensichtlich nicht stopfen konnte. Kann man das nicht ähnlich in bestimmten Branchen genauso nachvollziehen, ohne dabei große kontroverse Diskussionen anzustoßen?
Polenz: Man muss natürlich bei diesen Fragen auch schauen, dass wir noch 3,5 Millionen Arbeitslose haben und wir es uns nicht so einfach machen dürfen, dass wir mit den Qualifikationsanstrengungen es halblang gehen lassen und sagen, wir können ja die Lücken dann durch Ausländerinnen und Ausländer schließen und zahlen für unsere arbeitslosen Deutschen dann weiter Arbeitslosenunterstützung. Ganz so einfach, dass überall dort, wo jemand fehlt, man ins Ausland schaut, wird es nicht gehen, zumal natürlich neben den Fragen der Wirtschaft auch die Frage der Integration in unsere Gesellschaft dann zu lösen ist.
Wagener: Jenseits von ökonomischen Notwendigkeiten einer qualifizierten Zuwanderung ist das Thema nicht an sich schon zu gefährlich in der derzeitigen deutschen Situation? Ist nicht die Gefahr der Verkürzung offenkundig, wenn dieses Thema zum Wahlkampfthema wird?
Polenz: Die Notwendigkeit, mit einem solchen Thema wie eigentlich mit den meisten Themen differenziert und sehr sensibel umzugehen, die sehe ich auch. Auf der anderen Seite kann man aber auch Themen, die die Menschen bewegen, nicht einfach in der politischen Diskussion für tabu erklären, wenn man nicht Gefahr laufen will, dass sie dann von ganz anderer Seite politisch instrumentalisiert werden. Also es beschäftigt die Menschen schon, wie wir unsere Zuwanderung steuern, wie wir in Zukunft denjenigen Flucht und Zuflucht gewähren, die politisch verfolgt werden oder vor Krieg und Bürgerkrieg davon laufen müssen und fliehen müssen. Das sind wichtige Fragen, auf die wir noch keine abschließende Lösung haben, vor allen Dingen noch keine europäische, die wir eigentlich auch bräuchten. Darüber müssen wir sprechen, wenn wir gute Lösungen haben wollen.
Wagener: Warum sucht eigentlich die Union jetzt zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl mehr oder weniger auf offenem Markt schon ein Hauptthema?
Polenz: Es ist ja nicht so, dass wir jetzt Wahlkampfthemen suchen würden. Wenn ich es richtig verfolgt habe, ist der Fraktionsvorsitzende anlässlich einer Pressekonferenz zur Halbzeitbilanz der Schröder-Regierung danach gefragt worden, ob auch die Fragen der Ausländerpolitik im Wahlkampf angesprochen werden könnten. Darauf hat er, wie ich finde, zutreffenderweise mit ja geantwortet, weil sich in der Tat nun nicht Themen künstlich aus dem Wahlkampf ausklammern lassen. Die Regierung würde ja am liebsten auch weder über Rente noch EU-Osterweiterung noch andere Themen sprechen. Über was soll man dann überhaupt mit den Menschen sprechen, wenn die Themen, die ihnen wirklich auf den Nägeln brennen, ausgerechnet in Wahlkämpfen nicht angesprochen werden dürften.
Wagener: Inwieweit will oder wird die CDU das Zuwanderungsgesetz, wenn es denn kommt, mit dem Asylrecht verknüpfen?
Polenz: Es besteht auf der einen Seite sicherlich kein unmittelbarer Zusammenhang. Auf der anderen Seite gibt es aber doch Verbindungslinien. Der Bundespräsident hat in einer beachtenswerten großen Rede zur Ausländerproblematik darauf hingewiesen. Die Regierung ist jetzt am Zuge. Sie wollte ja zunächst dieses Thema überhaupt nicht angreifen. Wir haben dann erreicht, dass sie es nicht auf die lange Bank schieben kann. Die Regierung hat nun eine sogenannte Zuwanderungskommission eingesetzt. Wir selbst erarbeiten uns eigene konzeptionelle Vorstellungen und werden die dann auch mit der Regierung über Parlamentsinitiativen zu diskutieren haben.
Wagener: Ruprecht Polenz war das, der Generalsekretär der CDU. - Recht herzlichen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio