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CDU wirft Fischer in der Visa-Affäre Lügen vor

Heinlein: Nach langem Schweigen also gestern die Flucht nach vorn. "Übernehme die politische Verantwortung für mögliche Fehler seiner Behörde", so Außenminister Fischer. Doch damit kein Schlussstrich unter die Visa-Affäre. Erst in einigen Monaten soll Fischer vor dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Die Affäre scheint ein geeignetes Mittel, den populären Außenminister in Misskredit zu bringen. Schon gibt es Rücktrittsforderungen. Vor den beiden Landtagswahlen hat die Opposition ihr Thema gefunden. Immerhin: der Bundeskanzler stärkte gestern seinem Stellvertreter den Rücken und auch die Grünen sind fest entschlossen, ihren heimlichen Parteichef gegen alle Angriffe zu verteidigen. Bei mir am Telefon ist jetzt der CDU-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss Eckart von Klaeden. Guten Morgen!

Moderation: Stefan Heinlein |
    von Klaeden: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr von Klaeden, die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat gerade erst begonnen. Dennoch haben Sie sich gestern bereits weit aus dem Fenster gelehnt und Joschka Fischer der Lüge bezichtigt und ihn als Täter in der Visa-Affäre bezeichnet. Warum diese Vorverurteilungen?

    von Klaeden: Eine Vorverurteilung ist das nicht, sondern ich habe einfach das ausgewertet, was uns und der Öffentlichkeit heute schon bekannt ist. Herr Fischer hat ja behauptet, er habe sich mit der Visa-Affäre erst in der Vorbereitung auf den Untersuchungsausschuss beschäftigt und wir wissen von Zeugenaussagen aus den stattgefundenen Strafverfahren gegen Schleuser, von Zeugenaussagen von Mitarbeitern des auswärtigen Amtes, dass der Schleuser-Erlass in Besprechungen vorbereitet worden ist, an denen Bundesminister Fischer teilgenommen hat. Der Erlass beginnt mit dem ungewöhnlichen Hinweis, er sei auf seine Weisung hin erfolgt. Es hat Briefe von Otto Schily an ihn gegeben. Es hat auf der Tagesordnung des Kabinetts gestanden. Man hat für die Strafverfahren auch seine Genehmigungen für Mitarbeiter des auswärtigen Amtes erteilen müssen und schließlich hat ja auch die "Rheinische Post" jetzt herausgefunden, dass es Ministervorlagen gegeben hat, in denen Fischer auf die katastrophalen Zustände an den deutschen Botschaften hingewiesen worden ist. Das sind alles so viele Hinweise, dass man ihm schlicht nicht glauben kann, dass er erst jetzt von den Vorgängen gehört hat, zumal sich das Parlament ja seit einem Jahr mit den Fragen schon beschäftigt in den Ausschüssen und dem Plenum.

    Heinlein: Also bevor die eigentlichen Untersuchungen begonnen haben sind Sie sicher: Joschka Fischer hat gelogen?

    von Klaeden: Was diesen Aspekt angeht hat er nicht die Wahrheit gesagt. Das ist jedenfalls nach meiner forensischen Erfahrung eine Tatsache.

    Heinlein: Kann ein Lügner weiter deutscher Außenminister sein?

    von Klaeden: Wissen Sie ich möchte jetzt gerne erst einmal die Sachverhalte weiter aufklären und Herrn Fischer dann als Zeugen im Untersuchungsausschuss vernehmen, wo er unter den Regeln der Strafprozessordnung gezwungen ist, die Wahrheit zu sagen, also nicht wie bisher schweigen kann oder auch damit rechnen muss, dass wenn er nicht die Wahrheit sagt gegen ihn ein Verfahren eingeleitet wird. Dann möchte ich weitere Konsequenzen von seiner Vernehmung abhängig machen.

    Heinlein: Warum wollen Sie dann Fischer erst Ende des Jahres oder vielleicht sogar Anfang kommenden Jahres vor dem Untersuchungsausschuss aussagen lassen?

    von Klaeden: Ob er so spät aussagen muss, das werden die Untersuchungen zeigen. Er hat jetzt ja ein Jahr lang oder über ein Jahr verpasst, sich im Parlament oder in der Öffentlichkeit mit den Sachverhalten zu beschäftigen. Er hat das immer an seine Staatsminister delegiert und selber geschwiegen. Jetzt ist die Phase erreicht, wo man in einem Untersuchungsausschuss ihn zur Aussage zwingen muss und auch zur Wahrheit zwingen muss. Es liegt aber nicht in der Hand der Opposition, wann er aussagen wird, wann er vernommen wird, sondern das entscheidet Rot-Grün mit ihrer Verfahrensmehrheit. Wenn die zum Beispiel entscheiden würden, er solle in der nächsten oder übernächsten Sitzungswoche bereits aussagen, dann würde ich das vom Ablauf des Untersuchungsausschusses für nicht sehr sinnvoll halten, aber er würde natürlich dann kommen.

    Heinlein: Ist es Ihr Ziel, das Ziel der Opposition, diese Affäre möglichst lange köcheln zu lassen, möglichst bis zu den Bundestagswahlen?

    von Klaeden: Nein, das ist nicht unser Ziel. Selbst wenn wir die Motivation hätten, das in erster Linie in der politischen Auseinandersetzung zu nutzen, so wie Herr Fischer uns das unterstellt, so kann man ja so ein Instrument wie den Untersuchungsausschuss auch nicht überziehen. Also uns geht es darum, möglichst schnell und möglichst gründlich die Dinge aufzuklären und dann nach der politischen Verantwortung von Herrn Fischer, übrigens auch nach der von Bundesinnenminister Schily zu fragen. Wenn man so etwas überzieht, dann verliert die Öffentlichkeit ihr Interesse und dann kommen wir auch nicht mehr zu vernünftigen Ergebnissen.

    Heinlein: Werden Sie Innenminister Schily und vielleicht sogar den Bundeskanzler auch vor den Untersuchungsausschuss laden?

    von Klaeden: Innenminister Schily werden wir auf jeden Fall laden, weil es auch in seinem Ministerium gravierendes Versagen gegeben hat und weil Herr Schily ja auch die Frage beantworten muss, wenn er sagt, er habe immer wieder gewarnt, warum er dann nicht so konsequent gewesen ist, die Dinge auch im Kabinett anzusprechen, sondern wie der "Spiegel" berichtet hat zugelassen hat, dass der Tagesordnungspunkt übergangen wurde, ohne dass man ihn angesprochen hat. Da sind die Informationen oder sind die Aussagen, die Herr Schily bisher zu der Affäre gemacht hat, auch widersprüchlich. Aber ob der Bundeskanzler vor den Untersuchungsausschuss kommen muss, das hängt davon ab, wie die Aussagen von Herrn Fischer und Herrn Schily ausfallen. Wenn es dort einen gravierenden Widerspruch gibt, dann stellt sich natürlich auch die Frage nach der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, aber so weit will ich jetzt noch nicht gehen. Wir müssen jetzt zunächst einmal die Sachverhalte aufklären, dann nach der politischen Verantwortung fragen und dann sehen wir weiter.

    Heinlein: Aber Sie werden sich doch nicht die Chance entgehen lassen, auch den Bundeskanzler ins Visier zu nehmen?

    von Klaeden: Wenn die Aussagen von Herrn Bundesminister Fischer und Herrn Bundesminister Schily einander nicht widersprechen, dann sehe ich heute keine Notwendigkeit, den Bundeskanzler als Zeugen zu hören. Aber wie gesagt: das müssen wir abhängig machen von den weiterem Gang der Untersuchung.

    Heinlein: Welche Auswirkungen hat denn diese Affäre und die Arbeit des Untersuchungsausschusses auf die laufenden Wahlkämpfe in Schleswig-Holstein und dann später auch in Nordrhein-Westfalen?

    von Klaeden: Was die Wahlen in Nordrhein-Westfalen angeht - die sind ja erst im Mai -, da will ich noch keine Einschätzung abgeben können. Bei den Grünen wird ja befürchtet, dass sie sich negativ auswirken auf die Wahlen in Schleswig-Holstein. Das sind aber Dinge, die die Grünen selber zu verantworten haben. Das was wir im Augenblick erleben ist ja nicht so sehr ein Erfolg der Opposition, so sehr mich das auch freuen würde, wenn das gesagt wird, sondern es sind ja vor allem die Fehler des Krisenmanagements der Grünen. Die Grünen haben die Korruptionsaffäre um Herrn Volmer unterschätzt. Sie haben jetzt die Visa-Affäre unterschätzt und sie reden sich jetzt auch mit Dingen heraus, die für jeden, der sich mit der Frage der Visa-Affäre beschäftigt hat, offensichtlich nicht zutreffend sind. Damit verstärkt man eine Krisensituation und kriegt sie nicht in den Griff. Das sind aber Dinge, die die Grünen zu verantworten haben und nicht die Opposition.

    Heinlein: Darf es denn sein, Herr von Klaeden, dass, wenn man es auf den Punkt bringt, kleinkriminelle Schleuser aus der Ukraine einen deutschen Außenminister derart unter Druck setzen und ihn vielleicht sogar dann letztendlich zum Rücktritt zwingen?

    von Klaeden: Ob man Leute, die eigentlich zu acht Jahren Haft verurteilt werden müssen - so das Landgericht Köln - und man dann die Straftat auf fünf Jahre reduzieren muss, weil ihnen das auswärtige Amt und die politische Führung des auswärtigen Amtes das Schleusen so leicht gemacht hat, als Kleinkriminelle bezeichnen kann, das will ich mal dahingestellt lassen. Aber es sind ja auch andere über deutsche Visa in die Bundesrepublik gekommen, zum Beispiel Terroristen aus Tschetschenien, die von Dresden aus dann mehrfach das Attentat auf das Moskauer Musical-Theater vorbereitet haben. Dort sind 143 Menschen zu Tode gekommen. Das kann man glaube ich nicht mehr als Kleinkriminelle bezeichnen.

    Heinlein: Aber war es denn tatsächlich vorhersehbar aus Ihrem jetzigen Kenntnisstand, dass diese liberale Handhabung der Visa-Erlasse tatsächlich von Mafia-Strukturen ausgenutzt wurde? In anderen Ländern funktionierte ja diese liberale Handhabung durchaus reibungslos.

    von Klaeden: Mir ist neu, dass das in anderen Ländern reibungslos funktioniert hat, und eine solche Handhabung wie in Deutschland hat es in anderen Schengen-Staaten nicht gegeben. Das geht ja aus den besorgten Berichten der Europäischen Union, der französischen Grenzpolizei, der spanischen Grenzpolizei hervor. Es hat auch schon sehr, sehr früh, schon in den Jahren 1999, 2000, 2001, immer wieder insbesondere aus der Botschaft in Kiew, aber auch aus anderen Botschaften Hilferufe gegeben, diese Praxis zu ändern und wieder zu den alten Verfahren zurückzukehren. Das ist immer wieder vom auswärtigen Amt in Berlin abgebügelt worden. Insofern ist es auch falsch, wenn Herr Fischer behauptet, er müsse sich jetzt vor seine Mitarbeiter stellen. Er hat in Wirklichkeit seine Mitarbeiter im Regen stehen lassen. Versäumnisse seiner Mitarbeiter in der politischen Führung, die mag es gegeben haben und es mag auch so gewesen sein, dass er persönlich überfordert war, aber das sind nicht die ausschlaggebenden Gründe für die Affäre.

    Heinlein: Ist es denn auch falsch, wenn Joschka Fischer jetzt behauptet, im Kern geht es auch um eine machtpolitische Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition?

    von Klaeden: Im Kern geht es meiner Ansicht nach nicht um eine machtpolitische Auseinandersetzung, denn wir beschäftigen uns ja schon seit über einem Jahr mit dieser Frage und die Regierung, insbesondere sein Ministerium, hätte ja die Frage schon wesentlich eher klären können. Aber das schlechte Krisenmanagement von ihm und seinem Haus hat ja geradezu diesen Untersuchungsausschuss provoziert. Dass Politik sich dadurch auszeichnet, dass Sachfragen und Machtfragen immer eng miteinander verbunden sind, ist aber auch eine Binsenweisheit, die wir schon bei Aristoteles nachlesen können.

    Heinlein: Nun hat Fischer, der deutsche Außenminister, auch wiederholt darauf hingewiesen, dass auch Union und FDP im fraglichen Zeitraum eine liberalere Visa-Vergabe gefordert haben. Tragen Sie als Opposition eine Teilschuld an den Geschehnissen?

    von Klaeden: Also das ist ein ganz rührender Versuch, sich herauszureden, glaube ich, die Opposition für die eigenen Entscheidungen verantwortlich zu machen. Wir wissen ja - und das können Sie in den öffentlichen Archiven auch nachlesen -, dass die Regierung sich immer wieder gerühmt hat, eine liberale Visa-Politik eingeführt zu haben, und sich dadurch nach ihrer Ansicht wohltuend von der früheren Regierung unterscheidet. Es ist von einer Visa-Politik hin zu einem weltoffenen Land, von einem modernen Grenz-Management die Rede. Es ist davon die Rede, dass die stark ermessenseinschränkenden Erlasse der Regierung Kohl unter Außenminister Kinkel aufgehoben worden sind. Damit hat man sich gerühmt. Das können Sie alles auch noch nachlesen auf der Homepage von Ludger Volmer. Jetzt so zu tun, als gehe das auf die Anregung der Opposition zurück, ist wirklich barer Unsinn.

    Heinlein: Ihre Prognose: wird Joschka Fischer diese Affäre politisch überleben?

    von Klaeden: Es ist ja so, dass Minister schon aus wesentlich geringeren Anlässen zurückgetreten sind und er auch Ministern schon geraten hat, aus wesentlich geringeren Anlässen zurückzutreten, zum Beispiel der Gesundheitsministerin Fischer der Grünen. Aber ich glaube, dass Verantwortung zu übernehmen, persönlich verantwortlich zu sein und daraus Konsequenzen zu ziehen keine Sache ist, die typisch ist für Joschka Fischer. Deswegen glaube ich wird er im Amt bleiben, weil er für diese Regierung, für diese Koalition einfach zu wichtig ist.

    Heinlein: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk der CDU-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss, Eckart von Klaeden. Herr von Klaeden, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    von Klaeden: Auf Wiederhören!