Dienstag, 19. März 2024

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Cello-Klavier-Sonaten von Brahms
Gelebte Kommunikation

Die beiden Sonaten für Cello und Klavier von Johannes Brahms sind sehr beliebt, werden oft in Konzerten aufgeführt und auf CD eingespielt. Doch was der Cellist Daniel Müller-Schott und der Pianist Francesco Piemontesi mit ihrer Neuaufnahme vorlegen, übertrifft vieles, was man bisher gehört hat - meint unsere Kritikerin.

Am Mikrofon: Mascha Drost | 09.08.2020
    Ein Mann in Anzug sitzt mit seinem Cello in einem weißen Raum
    Daniel Müller-Schott hat die Cellosonaten von Brahms jetzt zum erstenmal eingespielt. (Uwe Arens)
    Musik: Brahms, Sonate Nr. 1, 1. Satz
    "Eine Sonate, durchaus unschwer für beide Instrumente" – was für eine schnöde Beschreibung für diese seelenvolle Musik. Zu übertriebenen Lobeshymnen hat Johannes Brahms sicher nicht geneigt, aber über die Bezeichnung "unschwer" kann man sicher diskutieren. Technisch ist die 1. Sonate vielleicht ohne große Mühe zu meistern, aber wie oft schleppt sich dieser Anfang mühevoll dahin, knarrt und knurrt es im Cellogebälk. Daniel Müller-Schott und Francesco Piemontesi dagegen lassen die Musik fließen, von Anfang an; ohne dass dunkle, klagende Timbre von e-Moll zu verleugnen und ohne Pathos. Ein natürliches espressivo, warmer Klang und Transparenz zeichnen das Spiel beider Musiker aus und dazu eine glasklare musikalische Diktion.
    Musik: Brahms, Sonate Nr. 1, 2. Satz
    Eine Sonate mit einem "quasi Minuetto", aber ohne langsamen Satz – wie schade, Cello und kein Adagio, seufzte Clara Schumann, und auch der Widmungsträger der Sonate, Josef Gänsbacher, reagierte wohl leicht angesäuert. Nicht zuletzt, weil Brahms ursprünglich wohl tatsächlich einen langsamen Satz komponiert hatte; der flog allerdings raus, zugunsten des letzten und ausgedehnten Schlusssatzes.
    Natürliches espressivo, warmer Klang, Transparenz
    Gänsbacher, Jurist, Gesangsprofessor und anständiger Cellist, bekam also statt seines Adagios ein ruppiges fugenartiges Allegro - Bach läßt grüßen und Cello und Klavier gehen aufs Ganze.
    Musik: Brahms, Sonate Nr. 1, 3. Satz
    Von seiner schroffen Seite zeigt sich das Cello von Daniel Müller-Schott hier - ein Instrument des Venezianers und Cellomeisters Matteo Goffriller. Aber der mit vielen Akzenten versehene Schlusssatz kann das vertragen, wild wird es zwar, aber niemals roh. Über 20 Jahre nach der dunkel und herbstlich gefärbten e-Moll Sonate komponiert Brahms seine zweite Cellosonate im Jahr 1886. Aus dem jungen Mann war mittlerweile ein gesetzter Herr mit Vollbart geworden, die Musik allerdings ist so überschwänglich und auftrumpfend wie ein Jugendwerk. Beeindruckend hier vor allem die Präsenz beider Musiker. Es ist ein Musizieren, das klanglich aus dem Vollen schöpft, das auf souveräne, nicht willkürliche Art, frei und beweglich agiert, wie es nur eine jahrzehntelange Beschäftigung mit einem Werk erlaubt.
    Musik: Brahms, Sonate Nr. 2, 1. Satz
    Kaum zu glauben, dass ein an Einfällen, Stimmungen und Gestaltung überreiches Werk wie die 2. Cellosonate anfangs alles andere als ein Erfolg war. "Reiz- und klanglos, mit undankbarer Cellopartie", schreiben Kritiker, ein "Tohuwabohu" nennt es Hugo Wolf, und so machte sich der Komponist selbst immer wieder für diese Sonate stark, spielte sie selbst am Klavier, wenn auch nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. Er habe das Werk "malträtiert" beklagen sich Freunde. Immerhin brauchte sich niemand über ein fehlendes Adagio zu beschweren. Der zweite Satz hält Kantilenen von unwiderstehlicher Sogwirkung bereit; erst recht bei einem Cellisten mit so virilem Schmelz im Klang wie Daniel Müller-Schott.
    Musik: Brahms, Sonate Nr. 2, 2. Satz
    Auch ein herausragender Cellist wie Daniel Müller-Schott spielt keinen herausragenden Brahms wie diesen allein, zumal es offiziell Sonaten für Klavier und Cello sind, in dieser Reihenfolge.
    Kammermusikalische Idealbesetzung
    Viele Jahren schon spielen er und Francesco Piemontesi als kammermusikalische Idealbesetzung zusammen; zwei Musiker, denen alles Artifizielle fremd ist, deren Spiel atmet, die sich das Wesen eines Stückes zu eigen machen und es trotzdem immer wieder neu betrachten.
    Ihr Zusammenspiel ist gelebte Kommunikation – und Spielfreude entsteht aus höchsten musikalischen Ansprüchen heraus.
    Musik: Brahms, Sonate Nr. 2, 3. Satz
    Zwischen die beiden Originalwerke haben die beiden Musiker eine Bearbeitung gestellt, ebenfalls von Brahms und ebenfalls eine Sonate: die erste für Geige und Klavier. Statt in G-Dur nun in D-Dur, klanglich etwas aufgerüstet und abgedunkelt, aber der lyrische Charakter bleibt bestehen. Und dass das Cello mit seinem tiefen Register niemals im Klangbett des Klaviers untergeht, hat es nicht nur dem Aufnahmestudio zu verdanken, sondern vor allem dem fein austarierten Spiel von Francesco Piemontesi.
    Musik: Brahms, Regenlied-Sonate, 1. Satz
    Werke, die den Cellisten Daniel Müller-Schott seit Jugendtagen beschäftigen, hat er jetzt erstmals eingespielt: die Cello-Sonaten von Johannes Brahms, zusammen mit dem Pianist Francesco Piemontesi. Oft gespieltes Repertoire, das man selten so überzeugend hört wie auf dieser neuen Aufnahme. Erschienen ist die CD beim Label Orfeo.
    Johannes Brahms - The Cello Sonatas
    Daniel Müller-Schott, Cello
    Francesco Piemontesi, Klavier
    Orfeo/ EAN: 4011790979120