Dienstag, 19. März 2024

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Cem Özdemir
"Ich will Erdogan an die unangenehmen Themen erinnern"

Beim Staatsbankett in Berlin hofft Cem Özdemir auf ein Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. "Wir sollten das Interesse der Türken vertreten, die nicht auf der Erdogan-Seite sind", sagte der Grünen-Politiker im Dlf. Viele Bundestagsabgeordnete werden dem Bankett aus Protest fernbleiben.

Cem Özdemir im Gespräch mit Dirk Müller | 28.09.2018
    Özdemir am Rednerpult.
    Grünen-Politiker Cem Özdemir hätte einen Arbeitsbesuch des türkischen Präsidenten in Berlin angemessener gefunden als ein Staatsbankett. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Dirk Müller: Staatsbankett für Präsident Erdogan heute Abend im Schloss Bellevue. Festlicher Abend, Garderobe für die Damen und für die Herren. Zahlreiche Oppositionspolitiker haben abgesagt, nehmen nicht teil – aus Protest. Ganz anders Grünen-Politiker Cem Özdemir. Er ist ausdrücklich dabei, sitzt mit am Tisch. "Ich will da jetzt nicht den Schwanz einziehen, sondern zeigen, dass es in Deutschland eine Opposition gibt", sagt er ausdrücklich. Über seinen Auftritt wollen wir mit Cem Özdemir jetzt persönlich sprechen. Guten Morgen!
    Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Werden Sie die Hand des Präsidenten ganz besonders fest drücken heute Abend?
    Özdemir: Ich weiß nicht genau, wie der Ablauf sein wird. Leider ist es ja ein solcher Staatsempfang und nicht ein Arbeitsbesuch, den ich angemessener gefunden hätte. Dann hätte es wahrscheinlich auch mehr Formate gegeben für eine Diskussion. Denn dass es genug Gesprächsthemen gibt, auch sehr unterschiedliche, das ist offensichtlich. Aber jetzt ist es nun mal so. Ich bin weder Bundespräsident, noch bin ich die Bundesregierung. Bundesregierung und Bundespräsident haben sich für diesen Weg entschieden. Ich wollte da nicht durch mein Fernbleiben ihm ermöglichen, dass er nicht erinnert wird an all die unangenehmen Themen, sondern ich will ihn daran erinnern, gerne auch persönlich, wenn ich es darf.
    "Das türkische Unterdrückungssystem gilt hier nicht"
    Müller: Aber Sie können jetzt ja nicht von Tisch 14, 15, 16 – ich weiß nicht, wo Sie sitzen – dann aufstehen und sagen: Herr Präsident, ich habe was zu sagen!
    Özdemir: Es gibt die Möglichkeit am Anfang und danach wohl noch mal beim Empfang zu sprechen. Und gehen Sie mal davon aus: Ich werde meine Möglichkeit versuchen.
    Müller: Die Sicherheitskräfte von Erdogan werden Sie ja vermutlich mit besonderen Argusaugen beobachten, wie bei der Münchener Sicherheitskonferenz. Da war ja fast von Rangeleien die Rede und es waren auch Bilder im Fernsehen zu sehen. Haben Sie da keine Gamaschen vor?
    Özdemir: Ich bin in Deutschland. Ich gehe mal davon aus, dass in Deutschland, auch wenn das Herr Erdogan und seine Schergen etwas anders gerne sehen würden, immer noch deutsche Gesetze gelten. Seine Security ist bekannt. Er rekrutiert die ja zum Teil auch aus dem kriminellen Milieu. In den USA wurde ja sogar gegen die ermittelt, nachdem sie Leute zusammenprügeln lassen haben bei einer Demonstration.
    Ich hoffe, dass die Bundesregierung genau geschaut hat, ob da irgendwelche Leute dabei sind, die in den USA beim Einsatz dabei waren. Es kann ja wohl nicht sein, dass Leute in Deutschland hier frei herumlaufen dürfen, nach denen in den USA gefahndet wird. Ich hoffe, dass die Bundesrepublik Deutschland bei jeder sich bietenden Gelegenheit hier Erdogan klarmacht, hier ist Deutschland, das türkische Unterdrückungssystem gilt hier nicht.
    Denunziations-App "ein absoluter Hammer"
    Müller: Herr Özdemir, ist das nicht wie beim amerikanischen Präsidenten, dass sich die Staatschefs da nicht reinreden lassen, mit wem sie anreisen und mit wem nicht?
    Özdemir: Das sind nicht alles Dinge, die man im Deutschlandfunk klärt, sondern die man im direkten Gespräch klärt. Aber gelegentlich habe ich schon den Eindruck, dass die Bundesregierung vor allem in der Vergangenheit da nicht deutlich genug klargemacht hat, was geht und was nicht geht. Übrigens auch in der Gegenwart hat Herr Erdogan ja immer noch ein paar Dreingaben dabei. Denken Sie an die App, die jetzt kürzlich freigeschaltet wurde, mit der man beispielsweise auch aus Deutschland heraus Oppositionelle denunzieren kann, quasi ans Messer ausliefern kann. Die erfahren nichts davon. Wenn sie in die Türkei einreisen, werden sie rausgefiltert, an der Einreise gehindert oder festgesetzt.
    Das ist natürlich ein absoluter Hammer und ich kann nur allen sagen, die in Deutschland leben und türkischer Herkunft sind: Wer sich an dieser App beteiligt, mitmacht, Leute ans Messer liefert, richtet sich gegen die Bundesrepublik Deutschland. Und ich hoffe, dass die Bundesregierung bereits prüft, welche rechtlichen Mittel es gibt gegen die Leute, die das machen, und dass man Erdogan vor allem klarmacht, dass das eine extrem aggressive, unfreundliche Geste gegen Deutschland ist.
    Müller: Wenn Sie ihn heute Abend direkt ansprechen können, wenn Sie die Gelegenheit haben, Herr Özdemir, werden Sie ihn da gleich auf Türkisch ansprechen?
    Özdemir: Ich bin der Sprache mächtig. Daran wird es nicht scheitern. Aber die Gesprächsthemen werden lang. Das ist ja nicht nur die App. Das ist beispielsweise auch der Osman-Prozess in Stuttgart. Schauen Sie, ich komme aus einer muslimischen Familie. Ich habe da nicht gelernt, dass Prostitution zum Islam gehört. Ich habe auch nicht gelernt, dass Drogenhandel zum Islam gehört. Ich habe auch nicht gelernt, dass Waffenschmuggel, Zuhälter, Schlägertrupps dazugehören. Aber wir wissen ja aus Abhörungsprotokollen, dass ein ehemaliger Abgeordneter seiner Partei, Metin Külünk, sich mit diesem Osman getroffen hat, ihnen sogar den Auftrag gegeben hat, in Deutschland Demonstrationen durchzuführen. Aus dem Abhörprotokoll geht hervor, dass Erdogan persönlich sogar in die Telefonate eingeschaltet war. Danach würde ich ihn gerne fragen, wie er das eigentlich mit seinem Glauben vereinbaren kann.
    "Erdogan hat eine klare Agenda"
    Müller: Was soll der Präsident eigentlich alles mit seiner Zeit machen? Unglaublich, wo er überall aus deutscher Sicht, aus europäischer Sicht mit involviert sein soll. Auch in diese Spionage-App, in alle Dinge. Hat der Mann so viel Zeit, sich um solche Details zu kümmern?
    Özdemir: Er hat jedenfalls eine klare Agenda. Ob wir auch immer wissen, was wir wollen, da würde ich mal ein großes Fragezeichen dahinter machen. Gelegentlich hatte ich das Gefühl, dass die Türkei-Politik zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt morgens immer erwürfelt wurde. Aber er weiß, was er will, wie immer bei autoritären Herrschern. Die wissen ganz genau, was sie wollen. Sie wollen erst mal in der Türkei an der Macht bleiben, Erdogan, und in Deutschland hätte er gerne eine Art fünfte Kolonne in der türkischen Community.
    "Die Angst greift mittlerweile auch in Deutschland zunehmend um sich"
    Das muss man übersetzen als eine massive Bedrohung für all diejenigen, die nicht seiner Meinung sind. Und dass da nicht zimperlich vorgegangen wird, davon können Ihnen viele Leute ein Lied erzählen. Die Angst greift mittlerweile auch in Deutschland zunehmend um sich. Menschen haben Angst, sich fotografieren zu lassen, löschen die Einträge bei Facebook, bevor sie in die Türkei reisen, weil man mittlerweile davon ausgehen muss, dass die Sicherheitsbehörden da reinschauen. Das sind einfach unerträgliche Zustände.
    Müller: Reden wir noch einmal über die Vorwürfe, die aus Ankara, aus Istanbul kommen, hier in diese Richtung, in die deutsche Richtung: Zu wenig konsequent umgehen mit der PKK, die bei uns auch verboten ist. Das zweite bezieht sich seit vielen, vielen Monaten, seit dem Putsch in der Türkei auf die Gülen-Bewegung. Wie groß ist da die Wahrscheinlichkeit, dass die Deutschen aus türkischer Sicht da nicht konsequent, da nicht konform genug und redlich genug dagegen vorgehen?
    Özdemir: Schauen Sie, die PKK ist in Deutschland verboten. Es gibt ja immer wieder Klagen aus diesem Milieu, dass Deutschland da zu hart vorgehen würde. Und was die Gülen-Bewegung angeht, da gibt es Vorwürfe aus der Türkei, dass sie in den Putschversuch maßgeblich involviert war. Da kann ich nur sagen: Bitte gebt uns dann rechtsstaatlich belastbare Materialien, Informationen, aber nicht unter Folter erwirkte. Die sind in Deutschland ungültig, wie in allen anderen Rechtsstaaten der Welt.
    "Richtig, dass die PKK in Deutschland verboten ist"
    Müller: Sie schließen das nicht aus?
    Özdemir: Wie käme ich darauf, das auszuschließen. Aber ich kann auch nur sagen, bei uns gelten Geständnisse, die willkürlich erzeugt worden sind, unter Folter erwirkt worden sind, die gelten hier nicht vor Rechtsstaaten. Und das ist doch das große Problem, dass die Türkei mittlerweile kein Rechtsstaat mehr ist.
    Müller: Glauben Sie denn, dass die deutschen Behörden ein ernsthaftes Interesse daran haben, mit aufzuklären, mit daran zu arbeiten, die Putschisten und die Motivation der Putschisten in irgendeiner Form dingfest zu machen, die ganze Sache aufzuklären?
    Özdemir: Es gibt viele Gründe, warum ich gerne regiert hätte damals bei Jamaika – nicht nur, um das Chaos jetzt zu vermeiden. Aber einer wäre sicherlich auch gewesen, um mal Zugang zu den Dokumenten zu bekommen, wie beispielsweise die geheimdienstliche Zusammenarbeit und die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei ist. Da gibt es ja auch das eine oder andere Fragezeichen.
    Aber jedenfalls ist klar: Die Gülen-Bewegung, da darf man sich keine Illusion machen, und bei der PKK genauso: Das ist eine Organisation, die Gewalt anwendet, terroristische Methoden angewandt hat, ebenfalls Schutzgeld erpresst hat. Deshalb ist es richtig, dass sie in Deutschland verboten ist, solange sie der Gewalt nicht abschwört. Da muss sich Deutschland, glaube ich, aus der Türkei nichts vorwerfen lassen.
    "Herr Erdogan kommt, weil er über Geld reden möchte"
    Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus. In dem Artikel von Herrn Erdogan steht der Islamismus mit keinem Wort drin. Ist das denn keine Gefahr? Wir wissen, dass ISIS-Kämpfer in der Türkei in Krankenhäusern behandelt worden sind. Can Dündar ist unter anderem deshalb in Deutschland, der ehemalige Chefredakteur der "Cumhuriyet", weil er aufgedeckt hat über seine Zeitung, dass der türkische Geheimdienst Waffen geliefert hat an islamistische Terroristen im Kriegsgebiet von Syrien. Auch dazu sollte sich vielleicht Herr Erdogan mal äußern.
    Und wir haben noch nicht geredet über die deutschen Geiseln in der Türkei, über die ganzen Journalisten, Politiker, Oppositionellen, die im Gefängnis sitzen. Die Liste an Gesprächsthemen ist lang. Herr Erdogan kommt, weil er über Geld reden möchte. Wir sollten das Interesse der Türken vertreten, die nicht auf der Erdogan-Seite sind, und das ist immerhin die Hälfte der Türkei.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.