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Centre Pompidou Metz
Eine Ausstellung über das Erhabene

Das Metzer Centre Pompidou zeigt derzeit eine Ausstellung, die sich mit der ambivalenten Faszination beschäftigt, die von der Kraft der Elemente ausgeht. Mit insgesamt 300 Werken führt die kluge Ausstellung sehr überzeugend vor, wie der "delightful horror" des Sublimen uns bis heute bewegt, findet unsere Kritikerin.

Von Kathrin Hondl | 11.02.2016
    Peitschende Ozeanwellen im Sturm, brodelnde Vulkane, schroffe Bergkuppen – in der Literatur und Malerei der Romantik hatte das Sublime, das Erhabene Hochkonjunktur. Den philosophischen Überbau hatten Denker des 18. Jahrhunderts geliefert: Als "delightful horror", ‚reizvollen Schrecken' beschrieb der Philosoph Edmund Burke die paradoxe Erfahrung des Sublimen angesichts elementarer Naturgewalten. Immanuel Kant sprach von einer "Bewegung des Gemüts" gegenüber dem Erhabenen. Und erhaben sei, so die Definition Kants, "was schlechthin groß ist" und "was über alle Vergleichung groß ist" - Naturereignisse, die uns überwältigen, gleichermaßen faszinieren und ängstigen.
    Dass diese ästhetische Kategorie aus dem 18. Jahrhundert auch heute noch relevant ist, ist die große These der Ausstellung im Centre Pompidou-Metz.
    Und tatsächlich ist es eine Art "delightful horror", der einen gleich am Anfang der Ausstellung erfasst.
    Ein Video des französischen Künstlers Adrien Missika zeigt den Krater von Derweze in Turkmenistan, genannt "Tor zur Hölle". Mitten in einer Wüstenlandschaft aus schwarzem Sand lodert dort ein orangerot leuchtendes Feuer. Der brennende Krater entstand 1971 bei Erdgasbohrungen sowjetischer Geologen: Ein riesiges Loch von 70 Metern Durchmesser, aus dem giftiges Gas strömte. Um die Freisetzung des Gases zu verhindern, entfachten die Geologen damals das Feuer. Doch anders als erwartet verlosch es nicht nach ein paar Tagen, sondern brennt bis heute.
    Die 60er als die größte Zeit der Land Art
    Die Bilder des brennenden Erdgases in Turkmenistan sind ein visueller Paukenschlag, der deutlich macht: Der romantische "delightful horror", der "reizvolle Schrecken" der erhabenen Natur hat im 20. und 21. Jahrhundert seine Unschuld verloren. Zur Faszination angesichts der Urgewalt der Natur ist seit den 1960er-Jahren das Bewusstsein von der menschlichen Zerstörungskraft gekommen. Die 60er sind auch die große Zeit der Land Art, so Ko-Kuratorin Hélène Meisel.
    "Die Künstler intervenieren in der Landschaft, oft in Gegenden, die von der Industrie, von der Ausbeutung des Bodens verwüstet wurden. Robert Smithson zum Beispiel zeigt die nicht mehr rückgängig zu machende Verschmutzung des Bodens."
    Und zwar indem er spektakulär große Mengen Flüssigkeiten wie schwarzen Asphalt oder bräunlichen Klebstoff in die Landschaft schüttete und so markante Bilder einer drohenden Katastrophe schuf.
    Morbide Faszination an eigenem Untergang
    Andere machen mit Aktionen auf die oft nicht sichtbare Umweltzerstörung aufmerksam. Wie Gustav Metzger, der Efeu in eine durchsichtige Kiste packte und Autoabgase hineinpustete bis das Efeu tot war. Oder Barbara und Michael Leisgen, von denen "Pink Depression" zu sehen ist, eine Arbeit aus dem Jahr 1982: Neun Farbfotografien zeigen den bäuchlings in einem Bach treibenden Körper einer pink und rot gekleideten Frau. Eine schaurig-schöne Ophelia, mit der das Künstlerpaar auf die giftigen Abwässer einer belgischen Fabrik aufmerksam machen wollte.
    "Es ist eine Überhöhung. Es ist auch der Versuch, die Menschen damit anzulocken. Immer so der Versuch, die Dinge schön zu machen, damit die Leute gucken und damit die Leute nachdenken. Aber das Grün, wenn man da jetzt mal hinguckt mit diesen Algen, das ist nicht so das schöne Moos des Waldbächleins, das da vor sich hin rieselt, sondern das sind bestimmte Algen, die sich bilden, wenn eben ein Wasser tot ist. Also auch dort gibt es diese Ambivalenz des 'sowohl als auch'."
    Mit insgesamt 300 Werken führt die kluge Ausstellung im Centre Pompidou Metz sehr überzeugend vor, wie der "delightful horror" des Sublimen uns bis heute bewegt - auch wenn, oder vielleicht gerade weil wir Naturkatastrophen mittlerweile als von Menschen gemacht begreifen. Insofern steht das Sublime heute eben auch für eine gewisse morbide Faszination an unserem eigenen Untergang.