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Charité-Studie zur Bahnnutzung
Kein höheres Corona-Risiko in Zügen

Bahnreisende sind keinem erhöhten Corona-Risiko ausgesetzt – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Berliner Charité, die die Deutsche Bahn vorgestellt hat. Mit guter Belüftung und Verteilung der Reisenden in den Zügen will der Konzern das Risiko zudem weiter minimieren. Einige Fragen bleiben dennoch.

Von Sebastian Engelbrecht | 09.09.2020
Schatten von Masken tragenden Fahrgästen an einem ICE Intercity Express im Hauptbahnhof Frankfurt, Hessen, Deutschland.
Die Auslastung der Fernverkehrszüge steigt langsam und liege derzeit im Schnitt bei etwa 40 Prozent, so die Deutsche Bahn (imago / Ralph Peters)
Die Bahn machte im Sommer zusammen mit dem Berliner Universitätsklinikum Charité Corona-Tests bei Zugbegleitern, Lokführern und Instandhaltungstechnikern. Insgesamt 1.072 Mitarbeiter wurden getestet. Bei einem Techniker ohne Kundenkontakt wurde das Coronavirus nachgewiesen. Mit Bluttests wurden bei 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Corona-Antikörper nachgewiesen. Dabei waren 1,3 Prozent der Zugbegleiter betroffen, prozentual weniger als die anderen Berufsgruppen. Für Beschäftigte der Bahn in Fernzügen bestehe also kein erhöhtes Risiko, an COVID-19 zu erkranken, sagt Berthold Huber, Vorstand für Personenverkehr der Deutschen Bahn:
"Wir ziehen die Schlussfolge, dass normale Reisende, die die ICEs benutzen, natürlich auch keinem erhöhten Infektionsrisiko unterliegen. Die Zugbegleiter sind bis zu acht oder neun Stunden im Zug. Insofern gibt es Hinweise darauf, dass ein erhöhtes Infektionsrisiko in unseren Zügen nicht gegeben ist."
Belüftung und Sitzplatzordnung sollen Risiken geringhalten
Allerdings sind Reisende, die über Stunden neben einem infizierten Fahrgast sitzen, dessen Aerosolen intensiver und länger ausgesetzt als der Schaffner. Der Einwand sei berechtigt, meint Martin Seiler, Vorstand für Personal und Recht bei der Bahn.
"Das ist natürlich richtig. Wenn ich mehrere Stunden unmittelbar neben einem anderen Fahrgast sitze, dass ich da ein entsprechend anderes Risiko habe, aber das wollen wir minimieren, insbesondere durch gute Belüftung, gute Klimaanlagen und auch entsprechende Verteilung der Reisenden in den Zügen."
Klimaanlagen in den Zügen seien nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung, finden die Bahn-Verantwortlichen. Aerosole schwebten nicht lange im Innenraum des Waggons, weil die Luft von oben nach unten abgesaugt werde. Alle sieben Minuten werde sie komplett durch Frischluft ausgetauscht.
Blick auf die Sitze und den Mittelgang im Inneren eines neuen ICE 4 auf dem Bahnhof Gesundbrunnen in Berlin
Wie sicher sind Klimaanlagen in den Zügen?
In den Zügen der Deutschen Bahn reisen wieder mehr Menschen. Trotzdem haben viele Fahrgäste ein ungutes Gefühl dabei. Doch das Ansteckungsrisiko ist möglicherweise kleiner als gedacht.
Reservierungspflicht "kontraproduktiv"
Züge seien keine "Infektionshotspots", so das Ergebnis der Charité-Studie. Deshalb, so Bahn-Vorstandsmitglied Huber, müsse auch keine Reservierungspflicht eingeführt werden.
"Die Reservierungspflicht entzieht dem System Kapazität. Wir brauchen aber mehr Kapazität, um eine bestimmte Anzahl von Reisenden möglichst flexibel im Gesamtsystem zu verteilen. Deswegen ist die Reservierungspflicht kontraproduktiv und führt nicht zu einer Reduzierung des Risikos."
Die Auslastung der Züge liege zurzeit bei 40 Prozent – bezogen auf die Gesamtzahl der Sitzplätze. Huber plant, durch neue Züge bis zum Jahresende 13.000 zusätzliche Sitze im Fernverkehr zur Verfügung zu stellen. So könnten mehr Menschen Bahn fahren, die Auslastung bleibe aber niedrig – bei relativ großen Abständen zwischen den Reisenden.
Desinfektionsspender oft nicht aufgefüllt
Für den Fahrgastverband "Pro Bahn" gibt Karl-Peter Naumann zu bedenken, die Studie sage nichts aus über das Geschehen in voll besetzten Regionalzügen und S-Bahnen.
"Es sagt aber nichts aus, was passiert in vor allem S-Bahnen und U-Bahnen – das geht ja nicht nur die Deutsche Bahn was an – wenn Leute dicht gedrängt stehen und wenn vor allen Dingen auch noch Leute angerannt kommen und dann schnell atmend noch schnell in die S-Bahn oder die U-Bahn springen."
Zudem, so Naumann, müsse die Bahn darauf achten, dass Toiletten in Zügen funktionierten und dass Desinfektionsmittelspender auch gefüllt seien. Das sei oft nicht der Fall.