"Ich entstamme einer Familie von Opfern des Völkermords an den Armeniern, und ohne deshalb zwanghaft am Vergangenen festzuhalten, lebe ich doch im Schatten meiner Vergangenheit."
1924: Frankreich ist noch immer traumatisiert von den Schrecken des "Großen Krieges". Sieben Jahre zuvor hat die Türkei an der Bevölkerung Armeniens furchtbare Massaker verübt, bei denen anderthalb Millionen Menschen getötet wurden. Mischa Aznavourian und seine Frau Knar haben sich retten können. Mit ihrem ersten Kind Aida kommen sie nach Paris. Am 22. Mai wird ihr Sohn Shahnourh geboren, der - weil kein Franzose seinen Namen aussprechen kann - sich später umbenennt in Charles Aznavour.
"Als ich klein war, bestand die Familie Aznavourian aus gerade mal vier Menschen - um nicht zu sagen vier Überlebenden."
Multitalent
Der kleine Junge mit den lebendigen haselnuss-farbenen Augen entpuppt sich als wahres Multitalent: Schauspieler, Autor, Sänger, Komponist. Aznavour wird das französische Chanson revolutionieren.
Mit neun Jahren habe er einen Beruf ergriffen und dem sei er gefolgt. Als Armenier wurde man damals ein guter Schuster oder Schneider. Das kam für ihn nicht in Frage. Sein zentrales Thema wird:
"Die Zeit, die vergeht, die wir nicht festhalten können."
Charles hasst die oft banalen, manchmal auch vulgären Lieder seiner Epoche. Nächtelang schreibt er an einer neuen Art von Chansons und rennt von einem Musikverlag zum anderen, um sie zu verkaufen.
"Ein Chanson ist nicht ein Wort
Zu einem Ton,
auch nicht ein Ton
zu einem Wort,
es ist eine Idee,
ein Gefühl,
ein Nachdenken,
eine Geschichte,
ein Spiel mit Worten."
Zu einem Ton,
auch nicht ein Ton
zu einem Wort,
es ist eine Idee,
ein Gefühl,
ein Nachdenken,
eine Geschichte,
ein Spiel mit Worten."
Autodidakt und Arbeitstier
Mischa Aznavourian hat in Paris ein Café gepachtet. Gegenüber liegt eine Schauspielschule. Auf die schickt man Charles und seine Schwester Aida. Als der Vater sich freiwillig zum Militärdienst meldet, muss der Sohn die Familie ernähren.
Die Eltern seien wie Kinder gewesen. Gott sei Dank. Der Erwachsene in der Familie war er. Nie verhätschelt wurde er, er war das Arbeitstier.
"Ich bin ein Autodidakt, und zwar ein echter! Alles, was ich weiß, habe ich mir selbst beigebracht. Ich war nie auf einem Gymnasium oder einer Universität. Meine Bildung habe ich mir auf der Straße und in Büchern angeeignet."
Charles spielt Theater, mit zwölf ist er schon beim Film, doch seine Jugend hat er nie beschönigt. Alles scheint gegen ihn: seine Herkunft, sein Aussehen, seine Stimme. Gegen alle Anfechtungen von außen in den ersten Jahren seiner Karriere hilft ihm seine Familie.
"Unser Emigrantenleben hätte die Hölle sein können - ohne den Humor und die Heiterkeit, die meine Eltern verbreiteten. Ja, bei uns ging es fröhlich zu, besaßen wir doch ein Grammofon."
Begleiter von Edith Piaf
Nervös, witzig, charmant, den Pariser Akzent rasend schnell sprechend - so erobert Charles die Sympathien Edith Piafs. Für acht Jahre wird er ihr Berater, Chauffeur, Kofferträger und Seelentröster; die Piaf wird seine Mentorin - nur nicht seine Geliebte.
"Chansons galten als niedere Kunst. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat man angefangen, sie ein bisschen ernster zu nehmen."
"Ein Chanson ist die Folklore eines Landes. Das Leben in einem Land. Was im Kino zwei Stunden braucht, erzählt das Chanson in drei Minuten."