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Charta der Laizität

Der französische Bildungsminister Vincent Peillon hat eine "Charta der Laizität in den Schulen" vorgelegt. Bis Ende September sollen die Leitsätze in allen staatlichen Schulen aushängen und im Unterricht behandelt werden.

Von Bettina Kaps | 16.09.2013
    Ein Gymnasium in Champigny, östlich von Paris. Zwei Mädchen laufen durch die Aula. Sie tragen lange Gewänder, die ihren Körper verhüllen. Sobald sie das Schultor passiert haben, ziehen beide auch ein muslimisches Kopftuch über. Für die Schulleiterin Helene Menard sind die auffälligen Kleider ein Problem.
    "Etwa zehn Schülerinnen tragen neuerdings das islamische Kleid. Sie beteuern, dass es kein religiöses Kleidungsstück sei, weil sie in der Schule Gesicht, Hals und Hände frei legen. Gleichzeitig haben wir immer mehr Schüler, die große Rosenkränze um den Hals tragen. Ich muss sie auffordern, diese unter ihr Oberteil zu stecken."

    [ Seit 2004 gilt in Frankreich ein Gesetz, dass auffällige religiöse Zeichen in staatlichen Schulen verbietet. ] Indem sie ihren Kopf frei machen, halten sich die muslimischen Schülerinnen zwar buchstäblich an das Gesetz, sagt die Direktorin, sie testen aber auch seine Grenzen. Genauso wie die Schüler mit den Rosenkränzen. Sie stammen vor allem aus Portugal.
    "Die Charta kommt also genau richtig für uns. Sie hilft uns, die Schüler darüber nachdenken zu lassen, was Laizität konkret bedeutet, und welche Grenzen sie nicht überschreiten dürfen."

    Die Charta besteht aus 15 kurzen Artikeln, die wie farbige Papierschnitzel auf einem Poster verteilt sind. Sie erklärt in einfachen Worten, was Laizität konkret bedeutet und warum sie wichtig ist. Zum Beispiel: "Die Laizität schützt alle Schüler vor Bekehrungseifer und Druck, damit sie ihre eigene Wahl treffen können." Ein anderer Artikel betont, dass die Laizität allen Schülern den Zugang zu einer gemeinsamen Kultur ermöglicht.

    Samia und Fatima sind Abiturientinnen in Champigny. Samia trägt ein schwarzes muslimisches Kleid und Kopftuch, ihre Freundin enge Jeans und roten Lippenstift. Beide glauben, dass sich die neue Initiative vor allem gegen ihre Religion richtet.

    Samia: "Ich frage mich: Warum veröffentlichen sie jetzt aus heiterem Himmel eine Charta der Laizität?"

    Fatima: "Denen geht es um den Islam. Im Gegensatz zum religiösen Anhänger ist das muslimische Kopftuch sehr auffällig. Die Charta haben sie doch speziell für die Muslime verfasst."

    Diese Kritik haben auch Vertreter der muslimischen Religionsgemeinschaften geäußert. Thierry de Valence ist Lehrer für Geschichte und Geografie. Er hält den Vorwurf für unbegründet.

    "Die Charta ist sehr positiv formuliert, sie stigmatisiert niemanden. Sie erlaubt es uns vielmehr, daran zu erinnern, dass die Schule ein Ort des Dialogs und der Freiheit bleiben muss."

    Auf De Valences Lehrplan stehen Themen, die bei Schülern aus anderen Kulturkreisen gelegentlich auf Widerstand stoßen, zum Beispiel die Kreuzzüge oder der Nahostkonflikt. Von Biologie-Lehrern ist zu hören, dass manche Schüler die Evolutionstheorie oder den Sexualkundeunterricht boykottieren. Die Charta unterstreicht, dass kein Schüler aus religiöser oder politischer Überzeugung gegen das Unterrichtsprogramm protestieren darf. Die Lehrer müssen diese Grundsätze jetzt auch in den Unterricht einfließen lassen. De Valence hält das für unerlässlich.

    "Unser Gymnasium liegt in der Banlieue. Die Schüler kommen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen. Um das Zusammenleben zu ermöglichen, müssen wir immer wieder an die grundlegenden Werte erinnern, sonst nehmen die Spannungen überhand."

    Aber genau da liegt die eigentliche Gefahr: Immer mehr Schulen in den sozial benachteiligten Stadtteilen entwickeln sich zu so genannten Ghetto-Schulen, wo Kinder mit Migrationshintergrund unter sich sind. Vor allem dort häufen sich identitätsbezogene Forderungen und Verstöße gegen die Laizität. Eine Charta kann da wenig ausrichten.