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Chauffeur mit wachem Blick

Technik. - Wer im tagtäglichen Stau steckt, wünscht sich schnell, den Führerschein an einen kompetenten Chauffeur abgeben zu können. Bis der Bord-PC aber diese Aufgabe übernehmen kann, wird es noch dauern. Doch die Systeme machen stete Fortschritte. So brachten Aachener Ingenieure einem Roboter bei, Gedanken zu lesen - und zwar aus der Mimik.

    Konzentriert blickt Ulrich Canzler seinem neuen Diener tief ins Auge - allerdings in ein Kunstauge. Die kleine Kamera thront auf einem Laptop, welcher wiederum mit jenem Rollstuhl verkabelt ist, auf dem der Ingenieur vom Lehrstuhl für Technische Informatik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule sitzt. Auf ein Nicken Canzlers gerät das Vehikel in Bewegung. "Ich drehe jetzt den Kopf nach links, gelange dadurch in ein Menü für das Fahren und wähle dort aus, dass ich vorwärts fahren möchte. Dabei sind auch verschiedene Geschwindigkeiten möglich", erläutert der Wissenschaftler. Kein Joystick, keine Maus und kein Fingerzeig sind dazu nötig, sondern allein ein bestimmter Gesichtsausdruck. Exakt 25 Mal in der Sekunde lichtet die Kamera das Gesicht des Fahrers ab und erfasst dabei minutiös alle Merkmale wie Mundbewegungen, Augen und deren Brauen. Die Bilderkennungssoftware sucht dabei nach charakteristischen Bewegungen, die ein Kommando kodieren. Dazu musste Ulrich Canzler die Software so programmieren, dass sie ein Gesicht als Ganzes erkennt. "Für den Menschen spielen dabei erst einmal die Hautfarbe sowie bestimmte Bewegungen eine große Rolle. Aber auch die Konstellation charakteristischer Kanten wie etwa Augenbrauen, Nase und Mund tragen zur Erkennung bei."

    Auf den ersten Blick sucht die Kamera mittels Hautfarbekarten etwas, das sie als Gesicht akzeptiert. Anschließend berechnet das Programm die Position des Kopfes und erstellt dabei ein dreidimensionales Gittermodell, in dem Schlüsselpunkte wie Augen, Nase und Mund exakt eingetragen werden. Insgesamt nutzt der virtuelle Beobachter rund 70 solcher Punkte, um die Position und Bewegungen des Kopfes zu erheben. Überdies lernt der Robot-Chauffeur mit der Zeit, die anatomischen Eigenheiten seines aktuellen Herrn besser zu interpretieren. Nimmt dagegen ein neuer Fahrgast auf dem Rollstuhl Platz, tut sich die Software schwerer mit ihrer Bewegungsinterpretation. Ein Parcours aus verschiedenen Übungen synthetisiert schließlich für jeden Fahrer ein typisches Profil, anhand dessen die Maschine seine Befehle optimal interpretieren kann. Durch ein hierarchisch strukturiertes Menü werden die Befehle, die der Benutzer sich in Form von Gesten merken muss, auf ein Minimum reduziert. "Das System wird durch mein Nicken aktiviert. Im Menu kann ich auswählen, ob ich etwa die Einstellungen des Rollstuhls verstellen möchte. Drehe ich meinen Kopf leicht in eine Richtung, dann kann ich in einem Menü etwas auswählen, beispielsweise die Sitzfläche anheben." Wie aufmerksam das System seinen Bediener anhimmelt, wird schnell klar: weil Canzler bei seinen Erläuterungen den Mund bewegt, nimmt das System dies alles als verschiedene Kommandos hin und reagiert entsprechend hektisch.

    Doch eben solche Empfindlichkeit ist Ziel des Projektes, denn schließlich soll der Rollstuhl einmal auf die feinen Nuancen in der Mimik von Schwerstbehinderten ansprechen und so quasi jeden Wunsch von ihren Augen ablesen. Allein mit Augenbewegungen ist es möglich, die verschiedenen Ebenen der Menüs zu durchwandern und die gewünschten Befehle für Bewegungen, aber auch für anderweitige Interaktionen aufzurufen. Außerdem kann die Software vielfältig auf ihren Benutzer und dessen gewünschte Mimik oder Steuerbewegungen angepasst werden. Noch arbeitet das System binär in Begriffen wie "Fahren" oder "Nicht fahren". Ulrich Canzler kann sich aber auch vorstellen, dass etwa die Geschwindigkeit über die zunehmende Neigung des Kopfes stufenlos reguliert werden könnte. Doch bis dahin soll der Robo-Chauffeur erst einmal alltagstauglich gemacht werden. Denn bislang fährt das Vehikel nur in der anheimelnden Sicherheit des Labors und weit weg vom Treiben in hektischen Straßen. "Der Rollstuhl ist derzeit noch auf innere Räumlichkeiten spezifiziert. Für den Außenfahrbetrieb müssen wir das ganze System noch umstellen auf den Infrarotbereich, damit es zum Beispiel auch nachts funktioniert und so dem Benutzer ein möglichst autarkes und uneingeschränktes Leben ermöglicht", konstatiert Canzler

    [Quelle: Michael Stang]