Heckmann: In allen öffentlichen Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. So legt es Artikel 59 der hessischen Verfassung fest. Die CDU-Landesregierung unter dem mittlerweile nur noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch hat vor zwei Jahren dennoch die Einführung von Studiengebühren durchgesetzt. 500 Euro pro Semester müssen seitdem die Studierenden in Hessen berappen. Der Mehrheit von SPD, Grünen und Linken war es trotz eines ersten Anlaufs nicht gelungen, das ungeliebte Projekt zu kippen. Mit einem Formfehler hatte man sich einen Strich durch die eigene Rechnung gemacht. Aber: SPD und Grüne hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt, unterstützt von Studierenden, Gewerkschaften und Elterninitiativen. Heute hatte der hessische Staatsgerichtshof zu entscheiden. Doch das Urteil: das ist keine gute Nachricht für die Gebührengegner.
Am Telefon begrüße ich Detlef Müller-Böling. Er ist der Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Guten Tag Herr Müller-Böling!
Müller-Böling: Guten Tag Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Müller-Böling, die Studiengebühren in Hessen verstoßen also nicht gegen die Verfassung. Ein gutes oder ein schlechtes Signal für die Hochschullandschaft?
Müller-Böling: Das eine ist die rechtliche Frage. Die ist jetzt erneut geklärt, schon vor Jahren ja auch durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil für Deutschland insgesamt. Die andere Frage ist eine politische und die wird in Hessen ja noch einmal entschieden werden. Ich glaube, dass wir ohne Studienbeiträge zukünftig in der Finanzierung der Hochschulen nicht auskommen. Im Übrigen sind sie auch gerecht.
Heckmann: Weshalb kommen wir ohne diese Gebühren aus Ihrer Sicht nicht aus?
Müller-Böling: Weil wir die Lehrsituation verbessern müssen und es zeigt sich ja sehr wohl, dass sich jetzt in den Hochschulen, in denen tatsächlich Studienbeiträge erhoben werden - einige Länder haben dies ja in Deutschland -, die Studiensituation erheblich verbessert.
Heckmann: Und die Gebühren - das kann man ablesen - werden auch so sinnvoll eingesetzt wie das versprochen wird?
Müller-Böling: Ja, das ist überwiegend der Fall. Natürlich gibt es am Anfang hier und da Schwierigkeiten in der Verwendung, aber im Wesentlichen werden - und es gibt nur ganz, ganz wenige Gegenbeispiele - sie an den Hochschulen sinnvoll eingesetzt.
Heckmann: In welche Bereiche wird das Geld gesteckt?
Müller-Böling: Das wird in die Ausstattung gesteckt. Das wird in mehr Bücher gesteckt. Das wird in mehr Tutorien gesteckt und es wird auch in mehr Personal gesteckt.
Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, die Gebühren seien auch sozial gerecht. Aber ist es nicht so, dass sie auch abschreckend wirken? Ist es nicht auch so, dass junge Leute, Abiturienten, die aus sozial benachteiligten Familien kommen, sich abschrecken lassen, dann wirklich ein Studium aufzunehmen?
Müller-Böling: Wir haben in Deutschland ohne Studiengebühren die niedrigste Beteiligungsquote aus ärmeren Schichten, die in den Industriestaaten überhaupt vorhanden ist. Insofern hängt dies nicht mit den Studiengebühren zusammen, sondern ist eine Frage, wie begleitend etwa durch Darlehen solche Studiengebühren eingeführt werden. Überall in der Welt zeigt sich, dass diese Einführung nicht abschreckend sein muss - ob das jetzt Österreich ist, ob das Australien gewesen ist. Es hat nicht zu einer Verringerung der Studierenden aus einkommensschwachen Familien geführt.
Heckmann: In Baden-Württemberg hat man da offenbar andere Zahlen und zwar soll dort die Studierquote von Abiturienten, deren Eltern eben keine Akademiker sind, von 62 auf 50 Prozent gesunken sein.
Müller-Böling: Das mag durchaus sein, dass dies im Übergang in der ersten Phase der Fall ist. Sie hören ja auch ständig in Deutschland dieses Argument und das mag durchaus auch im Anfang verfangen. In Österreich hat man ähnliche Tendenzen gehabt. Aber nach zwei, drei Semestern ist das wieder aufgefangen worden.
Heckmann: Gibt es Tendenzen zwischen den Bundesländern, dass junge Leute, die studieren wollen, abwandern in solche Bundesländer, die eben keine Gebühren erheben?
Müller-Böling: Auch das wird versucht, aus den Zahlen immer wieder herauszulesen, ist aber meines Erachtens statistisch überhaupt noch nicht gesichert ablesbar. Da muss man sehr viel längere Zeiträume betrachten. Im Übrigen ist die Studierquote, ob jetzt mehr oder weniger studiert wird, von sehr vielen Faktoren abhängig. Die sind zurzeit nicht wirklich durchschaubar.
Heckmann: Herr Müller-Böling, blicken wir noch einmal nach Hessen. SPD, Grüne und Linke möchten ja in dem Gesetz, das jetzt wieder neu in den Landtag eingebracht werden soll, auch die Gebühren für Langzeitstudenten abschaffen. Ist das sozial gerecht aus Ihrer Sicht?
Müller-Böling: Die Gebühren für Langzeitstudierende sind die ungerechtesten Gebühren, die es überhaupt gibt, denn damit wird ja die Schuld für ein langes Studium eindeutig den Studierenden zugewiesen und nicht der schlechten Ausstattung. Sie helfen auch nicht der Studienzeitverkürzung. Insofern sind wir nie für Langzeitstudiengebühren eingetreten. Nein: Studiengebühren vom ersten Semester helfen den Studierenden im ersten Semester und dann haben sie auch vernünftige Studienbedingungen, die es ihnen erlauben, im entsprechenden Zeitraum zu studieren.
Heckmann: Rechnen Sie damit, dass das Urteil eine gewisse Wirkung auf die bundesweite Debatte um Studiengebühren hat?
Müller-Böling: Ich hoffe, dass das Urteil zumindest zu einer Versachlichung beiträgt und wieder zu Argumenten führt und nicht nur zu einem Austausch von Stereotypen, dass man sagt das eine ist ungerecht oder das andere wäre ungerecht. Dass die Richter sagen, wie ja erfreulicherweise auch schon das Bundesverfassungsgericht, das ist eine politische Entscheidung. Natürlich müssen sie sozial abgefedert sein. Die Zumutbarkeit muss politisch geregelt werden. Aber das ist möglich und wird ja dann auch zumindest für den hessischen Fall und bei 500 Euro Studiengebühren von den Richtern toleriert.
Heckmann: In Hamburg, Herr Müller-Böling, haben sich CDU und Grüne auf das so genannte "Hamburger Modell" verständigt. Demnach werden Studiengebühren erst fällig, wenn das Studium beendet ist und auch der entsprechende Kandidat eine Arbeit hat, die es ihm ermöglicht, diese Gebühren zurückzuzahlen. Ist das ein Modell, das möglicherweise konsensfähig sein könnte?
Müller-Böling: Die entscheidende Frage ist, ob diejenigen, die bezahlen müssen, ob jetzt oder später, auch jetzt bereits den Nutzen davon haben. Das heißt ob der Staat hier dann entsprechend vorfinanziert. Bei einem Darlehensmodell ist es ja nichts anderes. In allen anderen Bundesländern, wo es diese Darlehensmodelle gibt, ist ja auch nichts anderes praktiziert. Man zahlt dieses Darlehen erst zurück, wenn man über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Das entspricht dem, was jetzt in Hamburg propagiert wird. Ich weiß noch nicht - es gibt nur eine politische Entscheidung dahingehend -, was jetzt substanziell verändert ist gegenüber den anderen Ländern.
Heckmann: Das heißt Sie würden sagen, der Trend geht ganz eindeutig in ganz Deutschland Richtung Studiengebühren, auch in den Ländern, die von der SPD regiert werden - auf lange Sicht zumindest gesehen?
Müller-Böling: Damit wird man rechnen müssen, zumal das ja keine parteipolitische Frage allein ist. In anderen Ländern haben Sozialdemokraten Studiengebühren gerade unter dem Gerechtigkeitsaspekt eingeführt, damit nicht die Kinder reicher Eltern auf Kosten aller Steuerzahler ihr Studium absolvieren können. Insofern ist dies durchaus eine Gerechtigkeitsfrage, die in anderen Ländern von Sozialdemokraten auch anders gesehen wird.
Heckmann: Detlef Müller-Böling, der Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Müller-Böling: Ich danke Ihnen.
Am Telefon begrüße ich Detlef Müller-Böling. Er ist der Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Guten Tag Herr Müller-Böling!
Müller-Böling: Guten Tag Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Müller-Böling, die Studiengebühren in Hessen verstoßen also nicht gegen die Verfassung. Ein gutes oder ein schlechtes Signal für die Hochschullandschaft?
Müller-Böling: Das eine ist die rechtliche Frage. Die ist jetzt erneut geklärt, schon vor Jahren ja auch durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil für Deutschland insgesamt. Die andere Frage ist eine politische und die wird in Hessen ja noch einmal entschieden werden. Ich glaube, dass wir ohne Studienbeiträge zukünftig in der Finanzierung der Hochschulen nicht auskommen. Im Übrigen sind sie auch gerecht.
Heckmann: Weshalb kommen wir ohne diese Gebühren aus Ihrer Sicht nicht aus?
Müller-Böling: Weil wir die Lehrsituation verbessern müssen und es zeigt sich ja sehr wohl, dass sich jetzt in den Hochschulen, in denen tatsächlich Studienbeiträge erhoben werden - einige Länder haben dies ja in Deutschland -, die Studiensituation erheblich verbessert.
Heckmann: Und die Gebühren - das kann man ablesen - werden auch so sinnvoll eingesetzt wie das versprochen wird?
Müller-Böling: Ja, das ist überwiegend der Fall. Natürlich gibt es am Anfang hier und da Schwierigkeiten in der Verwendung, aber im Wesentlichen werden - und es gibt nur ganz, ganz wenige Gegenbeispiele - sie an den Hochschulen sinnvoll eingesetzt.
Heckmann: In welche Bereiche wird das Geld gesteckt?
Müller-Böling: Das wird in die Ausstattung gesteckt. Das wird in mehr Bücher gesteckt. Das wird in mehr Tutorien gesteckt und es wird auch in mehr Personal gesteckt.
Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, die Gebühren seien auch sozial gerecht. Aber ist es nicht so, dass sie auch abschreckend wirken? Ist es nicht auch so, dass junge Leute, Abiturienten, die aus sozial benachteiligten Familien kommen, sich abschrecken lassen, dann wirklich ein Studium aufzunehmen?
Müller-Böling: Wir haben in Deutschland ohne Studiengebühren die niedrigste Beteiligungsquote aus ärmeren Schichten, die in den Industriestaaten überhaupt vorhanden ist. Insofern hängt dies nicht mit den Studiengebühren zusammen, sondern ist eine Frage, wie begleitend etwa durch Darlehen solche Studiengebühren eingeführt werden. Überall in der Welt zeigt sich, dass diese Einführung nicht abschreckend sein muss - ob das jetzt Österreich ist, ob das Australien gewesen ist. Es hat nicht zu einer Verringerung der Studierenden aus einkommensschwachen Familien geführt.
Heckmann: In Baden-Württemberg hat man da offenbar andere Zahlen und zwar soll dort die Studierquote von Abiturienten, deren Eltern eben keine Akademiker sind, von 62 auf 50 Prozent gesunken sein.
Müller-Böling: Das mag durchaus sein, dass dies im Übergang in der ersten Phase der Fall ist. Sie hören ja auch ständig in Deutschland dieses Argument und das mag durchaus auch im Anfang verfangen. In Österreich hat man ähnliche Tendenzen gehabt. Aber nach zwei, drei Semestern ist das wieder aufgefangen worden.
Heckmann: Gibt es Tendenzen zwischen den Bundesländern, dass junge Leute, die studieren wollen, abwandern in solche Bundesländer, die eben keine Gebühren erheben?
Müller-Böling: Auch das wird versucht, aus den Zahlen immer wieder herauszulesen, ist aber meines Erachtens statistisch überhaupt noch nicht gesichert ablesbar. Da muss man sehr viel längere Zeiträume betrachten. Im Übrigen ist die Studierquote, ob jetzt mehr oder weniger studiert wird, von sehr vielen Faktoren abhängig. Die sind zurzeit nicht wirklich durchschaubar.
Heckmann: Herr Müller-Böling, blicken wir noch einmal nach Hessen. SPD, Grüne und Linke möchten ja in dem Gesetz, das jetzt wieder neu in den Landtag eingebracht werden soll, auch die Gebühren für Langzeitstudenten abschaffen. Ist das sozial gerecht aus Ihrer Sicht?
Müller-Böling: Die Gebühren für Langzeitstudierende sind die ungerechtesten Gebühren, die es überhaupt gibt, denn damit wird ja die Schuld für ein langes Studium eindeutig den Studierenden zugewiesen und nicht der schlechten Ausstattung. Sie helfen auch nicht der Studienzeitverkürzung. Insofern sind wir nie für Langzeitstudiengebühren eingetreten. Nein: Studiengebühren vom ersten Semester helfen den Studierenden im ersten Semester und dann haben sie auch vernünftige Studienbedingungen, die es ihnen erlauben, im entsprechenden Zeitraum zu studieren.
Heckmann: Rechnen Sie damit, dass das Urteil eine gewisse Wirkung auf die bundesweite Debatte um Studiengebühren hat?
Müller-Böling: Ich hoffe, dass das Urteil zumindest zu einer Versachlichung beiträgt und wieder zu Argumenten führt und nicht nur zu einem Austausch von Stereotypen, dass man sagt das eine ist ungerecht oder das andere wäre ungerecht. Dass die Richter sagen, wie ja erfreulicherweise auch schon das Bundesverfassungsgericht, das ist eine politische Entscheidung. Natürlich müssen sie sozial abgefedert sein. Die Zumutbarkeit muss politisch geregelt werden. Aber das ist möglich und wird ja dann auch zumindest für den hessischen Fall und bei 500 Euro Studiengebühren von den Richtern toleriert.
Heckmann: In Hamburg, Herr Müller-Böling, haben sich CDU und Grüne auf das so genannte "Hamburger Modell" verständigt. Demnach werden Studiengebühren erst fällig, wenn das Studium beendet ist und auch der entsprechende Kandidat eine Arbeit hat, die es ihm ermöglicht, diese Gebühren zurückzuzahlen. Ist das ein Modell, das möglicherweise konsensfähig sein könnte?
Müller-Böling: Die entscheidende Frage ist, ob diejenigen, die bezahlen müssen, ob jetzt oder später, auch jetzt bereits den Nutzen davon haben. Das heißt ob der Staat hier dann entsprechend vorfinanziert. Bei einem Darlehensmodell ist es ja nichts anderes. In allen anderen Bundesländern, wo es diese Darlehensmodelle gibt, ist ja auch nichts anderes praktiziert. Man zahlt dieses Darlehen erst zurück, wenn man über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Das entspricht dem, was jetzt in Hamburg propagiert wird. Ich weiß noch nicht - es gibt nur eine politische Entscheidung dahingehend -, was jetzt substanziell verändert ist gegenüber den anderen Ländern.
Heckmann: Das heißt Sie würden sagen, der Trend geht ganz eindeutig in ganz Deutschland Richtung Studiengebühren, auch in den Ländern, die von der SPD regiert werden - auf lange Sicht zumindest gesehen?
Müller-Böling: Damit wird man rechnen müssen, zumal das ja keine parteipolitische Frage allein ist. In anderen Ländern haben Sozialdemokraten Studiengebühren gerade unter dem Gerechtigkeitsaspekt eingeführt, damit nicht die Kinder reicher Eltern auf Kosten aller Steuerzahler ihr Studium absolvieren können. Insofern ist dies durchaus eine Gerechtigkeitsfrage, die in anderen Ländern von Sozialdemokraten auch anders gesehen wird.
Heckmann: Detlef Müller-Böling, der Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Müller-Böling: Ich danke Ihnen.