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"Chega" in Portugal
Neue rechte Partei wartet auf Erfolg

Parteien am rechten Rand sind in Portugal meist vor allem eines: erfolglos. Ein junger TV-Kommentator und ehemaliger Stadtrat hat jetzt eine Partei gegründet: Chega – "Jetzt reicht's" – will zur neuen rechtspopulistischen Kraft werden.

Von Tilo Wagner | 03.05.2019
Der portugiesische Politiker André Ventura
Bei den Kommunalwahlen 2017 in Portugal war der Jurist André Ventura noch als Spitzenkandidat der Mitte-rechts-Partei PSD zum Stadtrat von Loures im Norden Lissabons gewählt worden. Inzwischen hat er die rechte Partei "Chega" gegründet. (Imago/ Antonio Pedro Santos)
Bei Suppe und gebratenem Hähnchen mit Reis sitzen knapp 100 Gäste in einem Restaurant im Villenviertel des Küstenortes Cascais, rund 20 Kilometer westlich von Lissabon: Männer in frisch gebügelten Hemden, Frauen mit Schmuck auf der Bluse, hier und da ein paar weißhaarige Senioren. Ein Mann in dunklem Anzug und gestreifter Krawatte steht auf und hält eine kurze Tischrede.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Kein Rechtspopulismus in Portugal - Warum das Land den Rechten trotzt.
André Ventura, 35 Jahre alt, Markenzeichen Fünftage-Bart, ist die neue politische Hoffnung für die Gäste im Saal. Den meisten mag der promovierte Jurist und ehemalige Finanzbeamte aus dem Fernsehen bekannt sein: Ventura spricht regelmäßig auf dem sensationsgierigen Privatsender CMTV über Kriminalität und Fußball. Bei den Kommunalwahlen 2017 war Ventura als Spitzenkandidat der Mitte-rechts-Partei PSD zum Stadtrat von Loures im Norden Lissabons gewählt worden – doch vor einem halben Jahr legte er sein Amt nieder, trat aus der PSD aus und gründete seine eigene Partei: "Chega" – "Jetzt reicht’s!"
Lebenslange Haft für Mörder und Kinderschänder
"Ich würde unsere Partei als demokratische Rechte bezeichnen. Unsere politischen Gegner werfen uns vor, wir seien rechtsextrem. Ist man rechtsextrem, wenn man lebenslange Haft für Mörder und Kinderschänder fordert? Nun, dann wären Spanien und Großbritannien auch rechtsextrem. Wir sind einfach gegen diese Etikette, die die Leute in ihrem Denken einfach nur einschränken."
Das Wahlprogramm von Chega liest sich wie ein Protestschrei gegen das politische System in Portugal: Die Partei fordert weniger Steuern, ein wesentlich kleineres Parlament, eine Reform des Justizsystems mit härteren Strafen für verurteilte Täter und ein Ende der Sozialhilfen für Menschen, die nicht arbeiten wollen.
"Portugal ist ein mulitkulturelles und multiethnisches Land. Wir haben nichts gegen andere Ethnien, aber sie müssen arbeiten wie wir. Ich habe nichts gegen Zigeuner, aber nur 15 bis 20 Prozent der Zigeuner arbeiten – und diese Nummern sind wahrscheinlich noch zu hoch. Was ist also mit den anderen? Wovon leben sie? Ich sage es Ihnen: Sie leben von unseren Steuern. Das kann nicht sein, egal, ob sie Zigeuner sind oder aus Afrika oder aus Osteuropa kommen."
Ventura spielt die Schwachen gegeneinander aus
Und so zeichnet André Ventura ein Bild, das auch viele andere Rechtspopulisten bemühen: Auf der einen Seite stehen die vermeintlich faulen, arbeitslosen Migranten, die den Staat ausnutzen und auf der anderen diejenigen, die der Staat angeblich vernachlässigt – und die meist keine Migranten sind:
"Wir wollen Menschen helfen: den Behinderten oder den alten Menschen, die nicht mehr arbeiten können und nur 200 Euro Rente beziehen. Aber wir wollen nicht diesen Leuten helfen, die nur zu Hause rumhocken und fernsehen. Das will ich auch, aber niemand bezahlt mich dafür. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern mit Gerechtigkeit."
Die Argumente könnten ebenfalls vom französischen Front National oder der italienischen Lega Partei stammen. Der Unterschied in Portugal ist aber: Sie sind bisher in der Bevölkerung auf wenig Resonanz gestoßen. Die rechtsradikale portugiesische Partei PNR erreicht bei Wahlen rund ein halbes Prozent der Stimmen. Politikwissenschaftler weisen deshalb daraufhin, dass das rechtspopulistische Lager in Portugal sich auch wegen interner Streitigkeiten bisher nicht als ernstzunehmende politische Alternative präsentieren konnte.
"Das Beste, was uns passieren konnte, war die Krise"
Im Eingang vor dem Restaurant in Cascais sieht eine elegant gekleidete Frau mit langen, blond gefärbten Haaren das ganz anders. Patrícia Uva ist Hobby-Schmuckgestalterin und Ehefrau eines Bankiers. Sie glaubt: Der eigentliche Grund, warum Rechtspopulisten in Portugal bislang wenig erfolgreich waren, ist, dass es dem Land wirtschaftlich lange so schlecht ging:
"Das Beste, was uns passieren konnte, war die Krise. Wir verdienen wenig und können auch den Flüchtlingen nicht viel geben. Deshalb kommen nicht viele, sonst wäre das hier genauso ein Irrsinn wie in Deutschland oder Paris: Diese islamische Migration von jungen Kerlen, die nicht arbeiten, Sozialhilfen beziehen und dann durch die Straßen laufen und Verbrechen begehen. Aber unsere Regierung will Merkel schmeicheln und deshalb nimmt sie Flüchtlinge auf, gerade jetzt wieder so ein paar von einem Schiff aus dem Mittelmeer. Das ist eine Schande!"
AfD und Chega: Zwei Parteien, ein Ziel
Die Partei Chega hat André Ventura zum Spitzenkandidaten für das Europaparlament bestimmt. Für den Parteivorsitzenden sind die Europawahlen ohnehin nur ein Testlauf für Oktober, wenn in Portugal ein neues Parlament gewählt wird. Den Wahlkampf will er trotzdem nutzen, um Kontakte zu andern europäischen Parteien zu knüpfen:
"Mehr Europa heißt für uns mehr Kontrolle an den Außengrenzen. Das ist bisher nicht passiert. Die AfD beschwert sich, dass Flüchtlinge und Migranten völlig unkontrolliert in Scharen nach Deutschland kommen und manchmal gar keine Berechtigung dafür haben. Diese Kritik kann ich nachvollziehen. Natürlich spielen AfD und Chega auf zwei verschiedenen Plätzen, weil Fragen nach Justiz, Migration und Flüchtlingen in unseren beiden Ländern ganz unterschiedlich behandelt werden. Aber wir sind in unserem Appell vereint: Wir haben genug von diesem Zustand!"
Der Start in den Wahlkampf ist André Ventura jedoch zunächst misslungen: Das Verfassungsgericht hat die Wahlzulassung seiner rechtspopulistischen Partei mehrmals aus formellen Gründen abgelehnt. Jetzt steht Chega in einem Bündnis mit zwei kleineren Rechtsparteien auf den Wahllisten.
Es bleibt abzuwarten, ob André Ventura nur ein Aushängeschild für gut betuchte, enttäuschte Rechtskonservative ist oder, ob er hinter seiner neuen politischen Bewegung auch sozial schwächere Portugiesen und Nichtwähler versammeln kann. Denn dann würde auch dem Land, in dem es bisher keinen Rechtspopulismus gab, eine politische Wende drohen.