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Chemie in zwei Dimensionen

Der Anruf aus Stockholm dürfte sein schönstes Geburtstagsgeschenk gewesen sein: Der Physiker Gerhard Ertl wird mit dem Nobelpreis für Chemie 2007 ausgezeichnet. Zeit seines Lebens hat Ertl sich mit den Prozessen beschäftigt, die stattfinden, wenn Gase an Oberflächen reagieren. Deutschlandfunk-Redakteurin Grit Kienzlen im Gespräch mit dem Laureaten.

    Grit Kienzlen: Das Rosten ist eine solche Reaktion, wo Sauerstoff das Eisen an der Oberfläche oxidiert. Aber was passiert da genau zwischen den Molekülen und Atomen an der Grenze zwischen Gas und Feststoff. Das wollte Gerhard Ertl herausfinden. Dass er dafür noch den Nobelpreis bekommen würde, damit habe er nicht gerechnet, jedenfalls nicht fest, sagte er uns im Interview.

    Gerhard Ertl: Ich habe nicht damit gerechnet. Ich wusste, dass ich zu den Kandidaten zähle, das gebe ich ohne weiteres zu. Aber man rechnet natürlich nicht damit, denn man weiß auf der anderen Seite, dass ein Dutzend andere Leute sozusagen ihn auch verdient hätten.

    Kienzlen: Die Arbeit, für die Sie heute ausgezeichnet worden sind, wie lange liegt die zurück?

    Ertl: Das ist nicht eine einzelne Arbeit, das ist sozusagen ein Lebenswerk. Das, kann man sagen, sind einige Jahrzehnte, die ich damit zugebracht habe.

    Kienzlen: Sie haben sich ja beschäftigt mit der Interaktion zwischen festen Oberflächen und Gasen.

    Ertl: Ja.

    Kienzlen: Was hat Sie interessiert seinerzeit an dieser Interaktion?

    Ertl: Das ist eine Chemie, die sich nur in zwei Dimensionen abspielt, wo deswegen dann auch ganz andere Gesetzmäßigkeiten gelten, auch ganz andere Methoden einzusetzen sind. Und als ich damit begann, war das mehr oder weniger noch Neuland. Es gab zwar sehr viele praktische Anwendungen, aber die direkte Untersuchung der Vorgänge auf atomarer Skala war noch weitgehend Neuland gewesen. Das war das Faszinierende daran.

    Kienzlen: War Ihnen klar, welches Anwendungspotenzial darin steckt?

    Ertl: Das war nicht sozusagen die Motivation, sondern es war einfach die Neugierde herauszufinden, wie geht das.

    Kienzlen: Wenn Sie sich beschäftigt haben mit dieser Interaktion - Sie haben genauer hingeschaut als andere. Was haben Sie da genau gemacht?

    Ertl: Es gibt eine ganze Reihe neuer physikalischer Methoden, die im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt worden sind, die es einem ermöglichen, solche chemischen Vorgänge an Festkörperoberflächen auf atomarer Skala zu beobachten, zu verfolgen auf kurzer Zeitskala, auf atomarer Skala, und auf die Weise sozusagen genau zu lernen, was sich da abspielt.

    Kienzlen: Und warum ist das so wichtig, das genau zu wissen. Warum kann ich nicht einfach sehen, aha, da passiert was, und dann nutze ich das aus?

    Ertl: Sehen Sie, das ist etwas, was jeden Forscher, glaube ich, motiviert: Er will etwas genau wissen. Als Otto Hahn mal gefragt wurde: Warum macht Ihr denn das alles? Weil es uns interessiert. Es ist, glaube ich, etwas ganz Menschliches, die Neugier etwas herauszufinden, etwas, was man noch nicht weiß, genauer verstehen zu wollen.

    Kienzlen: Jetzt ist uns aber mitgeteilt worden, dass es so besonders wichtig war, diese Prozesse zu verstehen, um sie auch für die Anwendung nutzen zu können.

    Ertl: Natürlich.

    Kienzlen: Warum musste man es denn so genau verstehen?

    Ertl: Es gibt großindustrielle Prozesse wie die Haber-Bosch-Synthese - das ist sozusagen die Basis der ganzen Düngemittelindustrie -, die seit beinah 100 Jahren sozusagen schon durchgeführt wird, wo man aber immer noch nicht wusste, wie funktioniert das Ganze. Das heißt also, wenn Sie etwas besser verstehen, können Sie auch damit rechnen, dass Sie dann vielleicht etwas noch besser machen können.

    Kienzlen: Vielleicht noch eine persönliche Frage: Verbinden Sie einen besonderen Wunsch an die Forschungspolitik, an die Forschungslandschaft in Deutschland heute an diesem Tag?

    Ertl: Die Forschungspolitik in Deutschland ist meiner Ansicht nach optimal. Ich sage das ganz offen. Gemessen an Situationen in anderen Ländern können wir uns nicht beklagen: Wir haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Was zu beklagen ist, ist vielleicht die Situation an Hochschulen. Aber die Forschung insgesamt hat meiner Ansicht nach sehr gute Randbedingungen

    Kienzlen: Kompliment von Gerhard Ertl an die deutsche Forschungslandschaft. Ertl hat diese Forschungslandschaft - auf seinem Gebiet - erheblich geprägt. 1936 in Bad Cannstadt bei Stuttgart geboren, begann er 1955 in Stuttgart Physik zu studieren. Zwölf Jahre später habilitierte er sich an der TU München bereits mit dem Thema der Untersuchung von Oberflächenreaktionen. Noch im gleichen Jahr wurde er damals 31-jährig der jüngste deutsche Ordinarius der Naturwissenschaften in Hannover. Es folgte ein Wechsel, zur TU München und Gastprofessuren in den USA, bevor er 1986 Leiter des Fritz-Haber-Instituts in Berlin wurde. Er ist zweifacher Vater und dreifacher Großvater.