Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Chemie-Nobelpreis
"Dinge sehen, die man vorher einfach nicht sehen konnte"

Der Chemie-Nobelpreis geht in diesem Jahr an den deutschen Physiker Stefan Hell sowie die beiden US-Wissenschaftler Eric Betzig und William Moerner. Die Forscher wurden für die Entwicklung der hochauflösenden Fluoreszenz-Mikroskopie ausgezeichnet. Im Deutschlandfunk sagte Hell, seine Methode ermögliche die Entdeckung neuer Dinge, die letztlich zur Bekämpfung von Krankheiten genutzt werden könnten.

Stefan W. Hell im Gespräch mit Ralf Krauter | 08.10.2014
    Stefan W. Hell trinkt in Göttingen bei einer kleinen Feier mit seinen Mitarbeitern ein Glas Sekt.
    Ein Glas Sekt auf den Nobelpreis: Stefan W. Hell in Göttingen (picture alliance / dpa / Swen Pförtner)
    Ralph Krauter: Hallo! Hier ist Ralf Krauter vom Deutschlandfunk in Köln.
    Stefan Hell: Guten Tag!
    Krauter: Herr Professor Hell, herzlichen Glückwunsch zum Chemie-Nobelpreis. Wie fühlen Sie sich?
    Hell: Ja, wunderbar. Es ist natürlich immer schön, wenn man ausgezeichnet worden ist oder wenn eine Arbeit, die doch sehr riskant war, sehr viele Mühen gemacht hat, am Ende zum Erfolg geführt hat, und dass der Erfolg natürlich auch anerkannt wird.
    Krauter: Kam es überraschend?
    Hell: Ja. Ich war schon überrascht. Natürlich wusste ich, dass diese Überwindung der Beugungsgrenze - das heißt, dass man Lichtmikroskope deutlich schärfer machen konnte, als das, was man 100 Jahre lang geglaubt hat - wichtig ist. Aber mit einem Nobelpreis kann man nicht rechnen. Da ist einfach der Wettbewerb zu hart. Das ist - nein, ich habe damit nicht gerechnet, wenn das Ihre Frage ist.
    "Ich habe ein paar Minuten gebraucht, um das zu realisieren"
    Krauter: Wo hat Sie die Nachricht ereilt?
    Hell: Ich war hier im Labor. Ich war mit einer Sache beschäftigt und war konzentriert auf ein bestimmtes Problem, und dann klingelte das Telefon, und ich nahm es ab, und da war der Sekretär der Nobel-Stiftung dran, der Nobel-Kommission. Und im ersten Moment dachte ich, hm, ist das echt oder ist das ein Witz, aber ich kannte seine Stimme, weil ich ihm schon mal begegnet bin vor zwei Jahren, und da waren dann auch andere Mitglieder der Kommission da, und dann ist mir klar geworden, das ist wirklich echt. Aber ich habe ein paar Minuten gebraucht, um das zu realisieren.
    Krauter: Nun sind Sie ja Physiker, werden von Arbeitskollegen, die Sie gut kennen, auch als brillanter Physiker beschrieben - ist es da jetzt freudig oder weniger freudig, den Chemie-Nobelpreis zu bekommen?
    Hell: Nein. Also wissen Sie, das Problem, an dem ich gearbeitet habe, war in der Tat ein physikalisches Problem. Das ist ohne Frage so. Aber es ist so, dass die Entwicklungen gezeigt haben - und das ist sicherlich auch mein Verdienst gewesen -, dass man dieses physikalische Problem zunehmend in ein chemisches Problem sozusagen überführen kann. Ich kann Ihnen das in einfachen Worten sagen. Man hat gedacht, man wird nicht schärfer, weil man das Licht nicht besser bündeln kann. Und ich habe herausgefunden, dass man das trennen kann. Nicht, weil man das Licht besser bündeln müsste, sondern weil man Moleküle zwischen zwei verschiedenen Zuständen an- und ausschalten kann. Und das ist in letzter Konsequenz ein molekulares Problem, und als molekulares Problem ist es natürlich auch ein chemisches Problem. Und deswegen der Grund für den Chemie-Nobelpreis. Das ist absolut nachzuvollziehen. Obwohl, Sie haben recht, meine Konzepte und so weiter waren sehr physikalisch. Ich habe ein physikalisches Problem gelöst. Aber noch mal: Mittlerweile beschäftigen sich mehr Chemiker mit dem Problem als Physiker.
    "Ich habe dran geglaubt"
    Krauter: Sie haben letztlich geholfen, ein uraltes Dogma, das ungefähr 100 Jahre mindestens in der Welt war, zu umschiffen, dass man eben nichts optisch abbilden kann, was kleiner ist als die Hälfte der Lichtwellenlänge. Also, es gibt ein ganz berühmtes Beugungslimit nach Abbe benannt, was in jedem Physiklehrbuch steht. Sie wussten das, aber Sie haben sich gesagt, na ja, schauen wir doch mal, ob diese Grenze wirklich eine dauerhafte Grenze sein muss.
    Hell: Exakt. Das war der Reiz. Ich war wirklich interessiert, der Sache nachzugehen und zu gucken, ob es da nicht doch eine Physik gibt – da haben Sie vollkommen recht –, die einem erlaubt, diese Grenze zu knacken. Und ich war auch der Meinung, dass die Physik sich von dem Thema abgewandt hat, weil sie gedacht hat, das ist aus, da ist nichts mehr zu machen. Aber dem war nicht so. Es war in der Tat so, dass es Physik gab, die einem erlaubt, diese Grenze zu durchbrechen. Und das ist sozusagen meine Entdeckung gewesen. Und ich habe dran geglaubt, habe es durchgezogen und habe gezeigt, dass es funktioniert. Und heute kann man es kaufen. Es wird angewandt, es wird eingesetzt - ja.
    Krauter: Das ist ein tolles Beispiel für Grundlagenforschung, die sehr relevant für viele Anwendungen geworden ist. Springen wir aber doch noch mal zurück in diese Anfangsphase. Da waren Sie letztlich relativ allein auf weiter Flur, das klang gerade schon an. Sie waren dann auch mehr oder weniger in der Diaspora, in Finnland. Wie einsam waren Sie da als Forscher?
    Hell: Ja, ich habe versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Es war Anfang der 90er-Jahre, aber das war sehr schwer, ist mir eigentlich fast nicht gelungen, und ich habe auch versucht, Forschungsmittel zu bekommen. Das ist abgetan worden. Und da hatte ich Glück, ein finnischer Kollege war in dem Labor, in dem ich war, und der hat den Eindruck gehabt, das könnte wichtig sein, und hat mich dann nach Finnland vermittelt. Und die Finnische Akademie, das ist so die finnische Förderorganisation, Wissenschaftsförderungsorganisation, hat mir dann Mittel gegeben, um dann erst mal was zu machen. Und da habe ich auch die grundlegende Idee gehabt, für die ich letztendlich ausgezeichnet worden bin heute, die auch vom Nobel-Komitee als Erstes da als Beispiel genannt worden ist.
    Und diese Idee habe ich dann letztendlich nachweisen können, dass sie funktioniert. Das habe ich dann allerdings gemacht in Göttingen. Auch in Finnland ist das Geld irgendwann mal ausgegangen. Und das Göttinger Institut hat sehr früh erkannt, dass ich auf dem richtigen Weg war, hat ein Risiko auf sich genommen, mich hier einzustellen, sage ich mal, erst mal befristet auf fünf Jahre. Ich hatte eine sogenannte Nachwuchsgruppe, und in der Zeit konnte ich dann zunehmend zeigen, dass das funktioniert, und deswegen ist gerade auch dieser Nobelpreis eine große Auszeichnung für die Finnen, die mir damals die erste Chance gegeben haben, aber auch hier für dieses Max-Planck-Institut.
    "Das ist eine ganz große Sache"
    Krauter: Können Sie sich noch daran erinnern, wie das damals war, als der Durchbruch gelang? Das muss ja so um das Jahr 2000 gewesen sein.
    Hell: Ja. Ich wusste schon vorher aus theoretischen Überlegungen heraus, dass es wahrscheinlich gehen muss und habe da fest dran geglaubt. Und es gab auch schon in Finnland erste experimentelle Hinweise, dass man das Prinzip, nämlich zu trennen, indem man benachbarte Strukturen sequenziell an- und ausmacht, dass das gehen würde. Aber so '99, 2000 waren die ersten experimentellen Daten da, die ziemlich klar gezeigt haben, dass das funktioniert. Auch damals war es noch nicht ein kompletter Durchbruch. Da musste noch viel gemacht werden, und das ist dann auch passiert. Aber es hat mir schon das Gefühl gegeben, das ist eine ganz große Sache. Das ist intellektuell sehr spannend. Das war die erste Motivation. Und wenn das wirklich sich alles so machen lässt, wie ich mir das vorgestellt habe, wird es auch sehr wichtig werden, nicht nur für die akademische Welt, für die Forscher, sondern auch für alle, in letzter Konsequenz. Und ich glaube auch, letztlich ist es wichtig gewesen für das Nobel-Komitee, dass da eine Anwendung da ist in den Lebenswissenschaften und, in letzter Konsequenz, in der Grundlagenmedizin.
    Krauter: Könnte man sagen, dass Sie der Mikroskopie eine neue Dimension eröffnet haben?
    Hell: Das mag jetzt unbescheiden klingen: Ja, ja, sicher, ohne Frage. Wir haben die Lichtmikroskopie grundsätzlich erweitert. Man kann Dinge sehen, die man vorher einfach nicht sehen konnte. Und weil man jetzt Dinge sehen kann, die man nicht sehen konnte, wird man neue Dinge entdecken, die wichtig werden, um Krankheiten zu bekämpfen, ja.
    Krauter: Wozu benutzen Sie Ihre Methodik heute konkret? Welche Objekte nehmen Sie ins Visier?
    Hell: Zum Beispiel in Nervenzellen. Da weiß man sehr, sehr wenig, was diese Nervenzellen zum Beispiel strukturell aufrechterhält. Warum gibt es da bestimmte Fortsätze. Sie kennen das wahrscheinlich mit den Synapsen und Dendriten, das haben Sie schon irgendwann einmal gesehen, vielleicht in einer Werbung von einem Autovermieter oder so. Und da weiß man aber nicht genau, warum sind diese Strukturen so. Warum sind die so groß, warum sind die nicht kleiner? Was hält die sozusagen aufrecht, warum kollabieren die nicht in sich. Oder was sind die Moleküle, die entscheidend sind dafür, dass zwei Nervenzellen miteinander kommunizieren? Wie passiert das alles? Und da kann natürlich so eine hochauflösende Lichtmikroskopie ganz entscheidende Beiträge liefern. Sie kann sozusagen einem helfen, zu entdecken, was da abläuft, bei gesunden Nervenzellen oder bei kranken Nervenzellen, und der Vergleich zwischen beiden wird einem dann helfen zu verstehen, was da tatsächlich vor sich geht.
    "Beide Methoden haben Vor- und Nachteile"
    Krauter: Blicken wir noch kurz auf die Methodik der zwei ausgezeichneten Amerikaner. Inwiefern unterscheidet die sich, und was ermöglicht die, was mit Ihrer Methode nicht möglich ist?
    Hell: Es ist von der Physik her, wenn Sie das auf den Punkt brechen, ist es fast das gleiche Prinzip, dass man Moleküle, die benachbart sind, sequenziell an- und ausschaltet. Bei mir ist es so gewesen, dass ich Moleküle kollektiv an- und ausgeschaltet habe an einem bestimmten Ort, zum Beispiel hier richtig an der Synapse, und dort und nebendran. Und nebendran mache ich die kollektiv gezielt an und aus. Während die haben einzelne Moleküle stochastisch an- und ausgeschaltet. Das ist also ein komplementäres Prinzip, und beide Verfahren haben Vor- und Nachteile, sowohl also dieses gezielte An- und Ausschalten, wie ich das mache, als auch das stochastische Einzelmolekül-basierte An- und Ausschalten.
    Krauter: Sie brauchen wahrscheinlich länger, um Bilder aufzunehmen, durch das Rasterprinzip. Kann man das sagen?
    Hell: Das ist sicher richtig, weil dadurch, dass man an- und ausschaltet, braucht man etwas länger. Es ist aber auch so, dass man die Verfahren, wenn man nicht sehr, sehr große Bildfelder aufnimmt, sehr, sehr schnell machen kann. Aber selbst bei großen Bildfeldern gibt es prinzipielle Möglichkeiten, das Ganze schneller zu machen. Das ist etwas, womit meine Mitarbeiter und ich uns täglich beschäftigen. Wir haben das Prinzip entdeckt, ich habe es gezeigt, dass man das machen kann, und jetzt machen wir es besser und schneller. Und einige haben sich hier ausgegründet, hier in Göttingen, haben eine Firma aufgemacht, um sozusagen der ganzen Welt, allen Forschern der Welt dieses Verfahren kommerziell zur Verfügung zu stellen.
    Krauter: Wie werden Sie den Rest des Tages heute verbringen, Herr Hell?
    Hell: Ach, das war schön – die Mitarbeiter sind draußen bei einem Glas Champagner. Wir freuen uns, diskutieren. Ich fühle mich sehr wohl, sehr entspannt. Das ist ein ganz toller Tag. Große Freude!
    Krauter: Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Zeit, und noch mal Glückwunsch vom Deutschlandfunk!
    Hell: Ja, danke schön, danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.