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Chemiewaffen-Einsätze "nur ein kleiner Teil des großen Dramas"

Es gebe viele Hinweise darauf, dass die syrischen Regierungstruppen Giftgas eingesetzt haben, sagt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften an der CAU zu Kiel. Auch der Bericht der Waffeninspekteure lege dies nahe. An eine zeitnahe Lösung des Syrien-Konflikts glaubt er allerdings nicht.

Joachim Krause im Gespräch mit Jürgen Liminski | 17.09.2013
    Tobias Armbrüster: Wochenlang wurde darüber spekuliert, gestern Abend haben die UNO-Waffeninspekteure nun die Erkenntnisse ihrer Reise durch Syrien veröffentlicht. Das Ergebnis: Ja, in einem Vorort von Damaskus wurde Ende August tatsächlich das Nervengas Sarin eingesetzt, und zwar im großen Stil. Von wem diese Raketen abgefeuert wurden, von Regierungstruppen oder von Rebellen, darüber können die Inspekteure allerdings - wie erwartet - keine Auskunft geben. Dennoch befeuert dieser Bericht jetzt natürlich die Spekulationen und den Kampf um die Deutungshoheit.

    Mein Kollege Jürgen Liminski hatte gestern Abend Gelegenheit, mit Joachim Krause zu sprechen, dem Direktor des Instituts für politische Wissenschaft in Kiel. Zunächst wollte er von ihm wissen, ob dieser Bericht der UNO-Waffeninspekteure tatsächlich Neues bringt.

    Joachim Krause: Er bringt inhaltlich nicht wesentlich Neues, außer dass es jetzt wirklich Nachweise von Sarin gibt, aber das haben vorher unabhängige Gruppen eigentlich auch schon gebracht, und es gibt auch Hinweise auf die Waffensysteme, die eingesetzt wurden. Das sind hauptsächlich Raketen, die von Mehrfach-Raketenwerfern verbracht worden sind, und ein etwas größeres Kaliber, von dem nicht ganz klar ist, wo es herkommt. Aber das ist alles vorher schon bekannt gewesen.

    Jürgen Liminski: Die C-Waffen wurden also mittels kleiner Raketen eingesetzt. Kann man auch feststellen, von wo sie abgeschossen wurden und damit die Urheberschaft in etwa belegen?

    Krause: Aus dem UN-Bericht geht das offensichtlich nicht hervor. Aber die Amerikaner und die Franzosen haben durch Satellitenaufklärung doch relativ klar nachweisen können, dass es aus Gebieten kam, in denen die syrische Armee operiert, und auch die Videos, die man so im Internet findet, weisen doch im Wesentlichen darauf hin, dass es sich hier nicht um Rebelleneinheiten gehandelt hat, die geschossen haben.

    Liminski: Es handelt sich um ein kompliziertes Waffensystem. Sind die Rebellen überhaupt in der Lage, wären sie kompetent genug, um dieses System einzusetzen? Das ist ja die These der Russen, dass die Rebellen sozusagen damit eine Provokation verüben wollten.

    Krause: Ja das wäre schon eine sehr zynische Provokation. Also man kann das nicht ausschließen, dass die Rebellen auch diese Waffen einsetzen könnten, obwohl sie müssen ja erst mal zusammengemischt werden, weil sie werden binär gelagert. Ich kann es aus der Ferne nicht beurteilen, ob sie dazu in der Lage sind oder nicht. Das erschließt sich nicht einer Ferndiagnose. Aber es ist für mich relativ unwahrscheinlich, dass die Rebellen das selber eingesetzt haben. Das ist natürlich ein Argument der Russen, mit dem sie versuchen, ihre schützende Hand über Assad zu halten.

    Liminski: Die westlichen Vetomächte üben sich im Schulterschluss. Die Militäroption sei unverzichtbar auch für eine politische Lösung. Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Russland einer robusten Resolution zustimmt, die eben diese militärische Option einschließt?

    Krause: Ich glaube kaum, dass Russland einer Resolution zustimmt, die irgendwie als Instrument genutzt werden könnte, um einen Militärschlag der USA und Frankreichs zu legitimieren. Dazu haben die Russen doch einige Erfahrungen gemacht, schon im Kosovo, später Libyen, die sie dazu bringen werden, hier zu mauern. Also ich denke nicht, dass es eine Resolution gibt, die wirklich militärische Maßnahmen erlaubt.

    Liminski: Was heißt dann robuste Resolution, wenn diese Option nicht dabei ist?

    Krause: Ja das ist so eine Floskel der Diplomatiesprache, wo ich nicht derjenige bin, der das nun alles genau erklären kann. Aber robust kann auch manchmal heißen, dass man androht, dass es dann Konsequenzen gibt. Aber diese Konsequenzen sind allein völkerrechtlich gesehen völlig belanglos.

    Liminski: Alle reden von Russland und den USA und höchstens noch von den zwei anderen Westmächten. Was ist eigentlich mit China? Wie ist Pekings Position einzuschätzen?

    Krause: Die Position Chinas ist eigentlich ähnlich derjenigen Russlands, obwohl sie eigentlich in der Region noch weniger Interessen haben als Russland selber. Aber auch die Chinesen fühlen sich verunsichert durch, sagen wir mal, zu viele Aktivitäten westlicher Staaten in der Region und pochen eigentlich eher darauf, auf die Wahrung der Souveränität von Staaten und darauf, dass sich alles sozusagen originär im Land selber entwickeln muss und nicht von außen installiert wird.

    Liminski: Herr Krause, wie schätzen Sie die Lage insgesamt ein? Wie geht es denn jetzt überhaupt weiter?

    Krause: Ja das weiß eigentlich keiner, denn im Augenblick geht es ja nur um die Chemiewaffen-Einsätze, aber das ist ja nur ein kleiner Teil des großen Dramas, das sich dort abspielt. Man rechnet mit mehr als 100.000 Toten, Tote, die dieser Konflikt gefordert hat, und diese ein- bis zweitausend Toten sind ja nur ein kleiner Prozentsatz. Selbst wenn es zu einer militärischen Bestrafungsaktion käme, es würde sich an der eigentlichen Lage in Syrien nicht sehr viel ändern; und ich befürchte, das wird noch eine ganze Zeit so weitergehen.

    Liminski: Das heißt, man muss einfach zuschauen, wie die Menschen sich da gegenseitig umbringen?

    Krause: Das würde ich so nicht formulieren, aber sofern sich keiner bereit erklärt, Syrien zu übernehmen im Sinne einer internationalen Intervention, die dann dort einen neuen Staat schafft – und ich sehe nicht, dass das irgendeiner will oder kann -, wird uns, glaube ich, nichts anderes übrig bleiben, als diesem furchtbaren Massaker zuzuschauen und zu beklagen. Aber ich wüsste nicht, wer hier ein anderes Konzept hat.

    Liminski: Eine Nation, von der auch fast niemand redet in diesem Zusammenhang, ist Israel. Sollten die syrischen Chemiewaffen tatsächlich vernichtet werden, wäre Israel doch der Gewinner der Aktion.

    Krause: Ja, das muss man sagen, denn die große Furcht Israels ist es, dass Hisbollah oder andere Terrorgruppen, auch islamistische Terrorgruppen in den Besitz von Chemiewaffen geraten, und das wäre natürlich für Israel eine erhöhte Bedrohung.

    Armbrüster: Soweit Joachim Krause, der Direktor des Instituts für politische Wissenschaft in Kiel, gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.