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Cherubinis "Medée" in Salzburg
Patchwork-Elend in der High Society

Kindermord im Nobelmilieu: Simon Stone macht aus der Verzweiflungstat Medeas eine Familientragödie, den Rachefeldzug einer fallen gelassenen Frau. Seine Inszenierung zielt auf Identifikation, ist aber wenig radikal und verfehlt die Tragik des Mythos, so Dlf-Kritiker Christoph Schmitz.

Von Christoph Schmitz | 31.07.2019
Eine Frau in einer Telefonkabine telefoniert mit ihrem Mann. Im Hintergrund des Schlafzimmers machen zwei kleine Jungen eine Kissenschlacht.
Radikal heutig: Medea telefoniert mit Jason in der Salzburger Inszenierung von Simon Stone (SF / Thomas Aurin)
Mit dem großen antiken Mythos der Medea hat diese neue Inszenierung bei den Salzburger Festspielen nichts mehr zu tun. Schon rein äußerlich nicht: Regisseur Simon Stone hat sich für einen radikalen Realismus in unserer Gegenwart entschieden. Seine Médée lebt in einer luxuriösen, hochmodernen Villa mit Seeblick im Salzburger Land. Sie ist verheiratet und hat zwei Jungs. Ein Schwarz-Weiß-Film zeigt uns das verliebte Paar und das glückliche Familienleben, dann wie Jason fremdgeht, die Scheidung und Médées Rückflug in ihre Heimat Georgien. Schön und traurig sind diese bestens ausgeleuchteten Filmszenen, sie könnten glatt von Kinogroßmeistern wie Lars von Trier oder Terrence Malick stammen, nur dass sie hier eleganter sind, elegant wie Werbefilme.
Der Experte für Alte Musik Thomas Hengelbrock dirigiert dazu die Wiener Philharmoniker mit viel Elan, nervös, oft lakonisch und immer prägnant. Und er zeigt dabei, wie wunderbar ausgearbeitet der Orchestersatz dieser Oper ist. Er begleitet die Musik nicht nur, sondern singt, zittert, bebt, denkt und forscht förmlich mit bei dem, was die Figuren auf der Bühne erleiden.
SMS an den Ex-Mann
Der Hyperrealismus der Inszenierung zeigt sich dann im weiteren Ambiente - edel und perfekt für die Bühne geschreinert. Die neue Frau Jasons, Dirke, ist natürlich keine Prinzessin, sondern die Tochter eines schwerreichen Luxushotelbesitzers wie es aussieht. Oder ist dieser Kreon doch ein Politiker? Im Hotel von Dirkes Vater Kreon finden auch Vorbereitung zur Hochzeit und das Fest selbst statt. Dabei wird viel mobil telefoniert und überhaupt über Medien kommuniziert. Médée versorgt ihren Ex aus einem schäbigen Internetcafé in Tiflis mit Sprachnachrichten, die auf die schwarze Leinwand projiziert und anrührend über Lautsprecher gesprochen werden, was zu den besseren Momenten der Inszenierung zählt.
Von ihrem Trennungsschmerz vor allem wegen der Kinder, die beim Vater geblieben sind, erzählt Médée, und dass sie ihre beiden Jungen wiedersehen möchte. Jelena Stikhina spielt und singt die Titelrolle mit ihrem dunkel gefärbten Sopran sehr intensiv. Ihre Kunst überzeugte bei der Premiere am ehesten, trotz einiger Unsauberkeiten.
Trennungsgeschichte wie aus dem Hochglanzkatalog
Médée spricht in Tiflis ins Telefon, Jason antwortet nebenan auf der Bühne in seiner Suite in Salzburg. Geschickt sind die verschiedenen Orte und Räume, wie bei Simon Stone üblich, neben- und übereinandergebaut. Und als Médée zurückkehrt und den Salzburger Flughafen betritt, verbreitet eine Live-Kamera ihre Ankunft samt Klage in die Wohnzimmer rund um die Welt, auch in Jasons Hotelwohnzimmer. Das sieht das Kindermädchen der beiden Jungs und hilft aus Mitleid Médée bei ihrem Rachezug. Der endet damit, dass sie nach dem Mord an Kreon und Dirke an einer Tankstelle sich und das Auto, in dem ihre beiden Kinder schlafen, mit Benzin übergießt und in Brand steckt, was bühnentechnisch allerdings nicht klappt. Die Explosion bleibt aus, es kokelt nur bescheiden. Soviel Realismus gelingt Stone dann doch nicht. Überhaupt gelingt ihm vieles und Entscheidendes nicht. Er bleibt vollkommen an der Oberfläche. Im Grunde liefert er reines Ausstattungstheater mit den Insignien der Gegenwart. Alles sieht aus wie in einem Hochglanzkatalog mit Luxuskramanzeigen. Die Schreckenstat Médées kann Stone nicht glaubhaft machen. Seine Geschichte ist nur eine normale Trennungsgeschichte, aus der die archaische Wucht der Ereignisse nicht einsichtig wird. Von der existentiellen Kraft des Mythos mit seinen anthropologischen Urbildern ist nichts übriggeblieben. Aber genau damit wollten sich die Festspiele in diesem Jahr eigentlich beschäftigen. Schiefgegangen. In Cherubinis Musik ist der Mythos allerdings lebendig.