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Chile
Massenproteste zeigen Wirkung

In Chile haben die Massenproteste politische Folgen: Präsident Sebastián Piñera hat alle seine Minister entlassen und unter anderem höhere Mindestrenten und Mindestlöhne versprochen. Doch noch ist nicht klar, ob sich die Demonstranten mit seinen Versprechen zufriedengeben.

Von Ivo Marusczyk | 27.10.2019
Protest in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile gegen die Regierung am 23. Oktober. Menschen mit Plakaten in der Hand.
Protest in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile gegen die Regierung (imago / Aton Chile)
Die Massenproteste in Chile haben das Land verändert. Und sie haben politische Folgen. Präsident Piñera gab sich beeindruckt und geläutert.
"Wir haben die tief greifende Botschaft der Chileninnen und Chilenen gehört, die eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft verlangen."
Piñera feuerte sein ganzes Kabinett - wie er sagte - damit ein neuer Ministerrat sich mit den neuen Forderungen aller Chilenen auseinandersetzen kann. Damit erspart er sich unter anderem die Peinlichkeit, seinen Cousin Andrés Chadwick zu entlassen - der war als Innenminister wegen unnötiger Brutalität der Polizei in die Kritik geraten. Piñera erneuerte sein Versprechen, mit einem umfangreichen Sozialprogramm Forderungen der Demonstranten zu erfüllen. Er selbst will aber im Amt bleiben.
"Wir haben alle die Botschaft gehört, wir alle haben uns geändert, jetzt müssen wir die Kräfte bündeln, um ehrliche, schnelle und verantwortungsbewusste Antworten auf diese sozialen Forderungen aller Chilenen zu geben."
Eine friedliche, machtvolle Massenbewegung
Am Freitag hatte allein in der Hauptstadt Santiago mehr als eine Million Menschen friedlich demonstriert. Sie forderten einen Wechsel in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Chile ist zwar wirtschaftlich das erfolgreichste und stabilste Land Südamerikas - aber gleichzeitig das Land mit der größten sozialen Ungleichheit. Das Wirtschaftsmodell stammt noch aus der Zeit der Diktatur. Auch am Samstag versammelten sich wieder Demonstranten an der Plaza Italia, aber die Kundgebung fiel wesentlich kleiner aus. Aber die Stimmung hat sich geändert. Aus gewalttätigen Ausschreitungen ist eine friedliche, aber machtvolle Massenbewegung geworden.
"Das war ein Wendepunkt. Eine so große soziale Demonstration hat es in den letzten 30 Jahren nicht gegeben. Damit beginnt eine neue Zeitrechnung."
"Die sollten auf die Leute hören, die friedlich demonstriert haben. Hier sind alle zusammengekommen, egal aus welcher politischen Ecke, sogar Fans verfeindeter Fußballvereine, alle sind auf die Straßen gegangen."
"Ich hoffe, es gibt weitere Kundgebungen, damit die da oben begreifen, dass die Chilenen aufgewacht sind und aufbegehren. Denn bis jetzt interessiert die Senatoren und Abgeordneten doch nur, wie sie am meisten Geld auf die Seite schaffen können."
Chile: Gastgeber des Weltklimagipfels
Präsident Piñera hatte unter anderem höhere Mindestrenten und Mindestlöhne versprochen, und eine staatliche Krankenversicherung, die bei bestimmten schweren Krankheiten einspringen soll - im Gegenzug werden die Bezüge von Politikern und Spitzenbeamten gekürzt und die Steuern für höhere Einkommen erhöht. Noch ist nicht klar, ob die Demonstranten sich mit diesen Zusicherungen zufrieden geben.
Viel internationale Aufmerksamkeit ist Chile in den nächsten Wochen gewiss: Anfang Dezember ist das Land Gastgeber des Weltklimagipfels, schon in drei Wochen sollen die Regierungschefs der Pazifik-Anrainerstaaten sich in Santiago treffen.