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Chile
Valparaíso - bunt, laut, brodelnd

Valparaíso gilt sie als die Kunst- und Kulturmetropole Chiles. Musiker, Schriftsteller, Fotografen und Street-Art-Künstler aus der ganzen Welt zieht es in die Hafenstadt an der Pazifikküste. Kunst findet vor allem in den Straßen statt.

Von Sophia Boddenberg | 17.09.2017
    Valparaiso in Chile, fotografiert am 23.11.2015.
    Ort der Inspiration - die Hafenstadt Valparaiso in Chile. (imago stock&people)
    "Ich werde ein Lied spielen, dass nur wenige in Valparaíso kennen, es heißt La Joya del Pacífico. Das spiele ich um die zehn Mal am Tag, manche können es schon nicht mehr hören. In der ersten Strophe geht es darum, wie schön, wundervoll, prächtig mein Valparaíso ist. Ich komme aus Valparaíso und bin verrückt nach meiner schönen Stadt. In der zweiten Strophe geht es um Liebe. Ein Seemann verliebt sich in ein Mädchen aus Valparaíso, aber sie will nichts von ihm wissen. Sie zieht von Hügel zu Hügel und er immer hinter ihr her, bis er ihr den Namen Joya del Pacífico - Schmuckstück des Pazifiks gibt. Und so entstand dieses emblematische Lied."
    Historischer Stadtkern ist Unesco-Weltkulturerbe
    René León ist um die 60 Jahre alt, hat weiße Haare und lacht rau und herzlich. Er spielt Gitarre, seit er 14 Jahre alt ist. Er ist einer der wenigen Straßenmusiker, die in Valparaíso geboren und aufgewachsen sind. Er spielt jeden Tag im Paseo Atkinson, einem Aussichtspunkt im Cerro Concepción, einem der 46 Hügel Valparaísos. Die Stadt ist bekannt für ihre vielen bunten Häuser, die an den steilen Hügeln zu kleben scheinen. Cerro Concepción und Cerro Alegre gehören zum historischen Kern der Stadt, der von der Unesco 2003 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde.
    Weltkulturerbe Brandkatastrophe in Valparaíso
    Hier kommen viele Touristen hin und werfen René León Münzen in seinen Gitarrenkoffer. Er sagt, dass dieser Ort für ihn magisch ist, denn hier hat er sich verliebt und hier hat er viele Lieder geschrieben.
    "Valparaíso ist ein schöner Ort, um Musik zu machen. Alles, was Kunst ist, ist in Valparaíso willkommen. Das hat mit unseren Wurzeln zu tun. Viele Menschen haben in Valparaíso eine Quelle der Inspiration gefunden für Lieder, Bilder, Poesie, Fotografie."
    Musiker auf der Suche nach Inspiration
    Nicht nur aus Chile, sondern aus der ganzen Welt kommen Musiker nach Valparaíso auf der Suche nach Inspiration. So auch Tomás aus Frankreich, Ende zwanzig, strubbelige Haare, Drei-Tage-Bart und abgenutzte Lederjacke. Er lebt seit vier Jahren in Chile. Nach Valparaíso ist er aus Zufall gekommen. Mit seiner Band "Charly Chaplin Orchester" zieht er durch die Stadt.
    "Wir sind eine Musikgruppe, die hier in Valparaíso angefangen hat. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, in unserer Band gibt es einen Franzosen, einen Peruaner, einen Argentinier und einen Chilenen. Wir sind hier, weil es uns gefällt, es ist für uns auch ein Zuhause. Valparaíso ist ein besonderer Ort für Musiker, aber noch mehr für Maler und Dichter, die hier mehr Raum haben. Für die Musiker gibt es zwar auch Raum, aber er ist begrenzt."
    Hinauf zum Haus von Pablo Neruda
    Ein Merkmal Valparaísos sind die sogenannten 'ascensores', die Aufzüge. Sie erinnern an Bahnwaggons und fahren die Bewohner für umgerechnet 20 Cent die Hügel hinauf und herunter. Alternativ zu den Aufzügen kann man auch eine der zahlreichen Treppen nehmen, die wie Kunstwerke anmuten. Eine von ihnen ist die Treppe Héctor Calvo.
    Der chilenische Dichter und Nobelpreisträger Pablo Neruda
    Der chilenische Dichter und Nobelpreisträger Pablo Neruda (AP Archiv)
    Sie führt hinauf ins Cerro Bellavista, wo sich das Haus des berühmten chilenischen Dichters Pablo Neruda befindet, der 1971 den Literaturnobelpreis erhielt. Die Treppe ist mit Mosaiksteinen verziert, die Gedichte von Neruda erzählen. Die Treppen in Valparaíso verwandeln sich abends und nachts in Treffpunkte für Jugendliche, die hier trinken, rauchen und sich amüsieren. Das hat schon öfters zu Konflikten mit den Nachbarn geführt.
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    Schlafendes Mädchen mit roten Haaren
    185 Stufen weiter oben treffe ich auf eine junge Frau, die auf einer Leiter steht und ein Wandgemälde malt. Sie heißt Magdalena Cañas, in der chilenischen Street-Art-Szene ist sie unter dem Pseudonym 'Maida K' bekannt. Sie ist 25 Jahre alt, hat die Haare zu zwei Zöpfen geflochten und trägt eine orangefarbene Leggins. Sie malt ein schlafendes Mädchen mit roten Haaren, zugedeckt mit einer grünen Decke.
    "Das ist eine Persönlichkeit, mit der ich seit einiger Zeit arbeite, und die ich in verschiedenen Orten in Valparaíso gemalt habe. Ein riesiges Mädchen. Ich male sie in verschiedenen Aktionen, die eine Nachricht vermitteln. Aus ihrer Perspektive als Mädchen. Naiv, aufrichtig, bescheiden. Ich habe zum Beispiel gemalt, wie sie mit einer Lupe ein Insekt betrachtet und spiele dabei mit der Architektur. Das ist ein Aufruf, die Natur zu beobachten. Es sind Erinnerungen, keinen Nachrichten, die angreifen. Hier wollte ich das Mädchen schlafend porträtieren aufgrund des Kontexts. Auf dieser Treppe wird viel gefeiert, es gibt viel Unordnung nachts und das stört die Leute, die hier wohnen. Das Bild ist eine Erinnerung daran, dass hier Kinder schlafen, dass Leute hier wohnen und zu Hause sind."
    Open Air Kunst boomt
    Valparaíso hat eine faszinierende Graffiti- und Street-Art-Kultur. Die hat wenig mit Schmierereien und viel mit Kunst zu tun. Viele Wandbilder haben einen politischen Hintergrund. Kommunistische Künstler drückten so einst ihren Widerstand gegen die Militärdiktatur Pinochets aus. Seit 1990 erlebt die Open Air Kunst einen starken Boom und ist mittlerweile so anerkannt, dass die Stadtverwaltung sie nicht mehr bekämpft, sondern fördert. Denn die Straßenkunstwerke sind längst zur Touristenattraktion geworden.
    "Ich glaube, dass die Künstler, die immer schon in Valparaíso waren, ihre Kunst auch in den Straßen ausdrücken wollten. Um auf den Zusammenhang zwischen der Kunst und der Architektur der Stadt aufmerksam zu machen, der Kunst in der Umgebung, den Farben. Valparaíso selbst ist visuell ästhetisch, kunstvoll. Und jetzt gibt es immer mehr Wandbilder, alle wollen in Valparaíso malen, aus der ganzen Welt. Das ist ein Teil der Identität dieser Stadt."
    Der Zauber der Stadt
    Magdalena nahm mit 13 Jahren zum ersten Mal eine Spraydose in die Hand. Damals ging es aber mehr ums Sprayen und weniger ums Malen. Nach und nach lernte sie, zu malen, einen eigen Stil und eine eigene Technik zu entwickeln und studierte schließlich Visuelle Künste an der Universität. Seit eineinhalb Jahren wohnt sie in Valparaíso. Hier fing sie an, Wandbilder zu malen. Ob die Stadt sie besonders inspiriert?
    "Ich glaube, dass es jeden Künstler inspiriert, von Kunst umgeben zu sein. Das sind Reize. Farben zu sehen, neue Formen, künstlerische Ideen aus verschiedenen Ländern. Ich komme aus Santiago und dort ist mir nie passiert, was mir hier passiert. Ständig Lust zu haben, raus auf die Straße zu gehen und zu malen."
    Der Reiz Valparaísos entsteht nicht nur durch die bunten Häuser, die bemalten Wände und die Straßen-Musiker. Die Stadt übt einen bestimmten Zauber aus. Auf Bewohner, Touristen und Künstler.